Emanuel Winklhofer
Sehr oft liegt es auch an einem „Gerechtigkeitsprogramm“ bei dem Mitarbeiter, das sich folgendermaßen äußert: „Ja, wenn das jeder machen würde“, „Ich kann ja beim Metzger auch nichts zurückbringen“ etc. Vorsicht, dass die eigenen Erziehungsprogramme nicht zum Maß in der beruflichen Arbeitsweise werden. Hier fällt der Kunde durch das Raster der eigenen Muster, weil er anders ist als wir selbst und wir beginnen mit einem umfassenden Kunden-Erziehungs-Programm. Das funktioniert nie!
Recht haben oder Situation lösen
Um mit so banalen Situationen (Verkaufswert bis 30 €) leichter umgehen zu können, hilft eine ganz einfache Frage: „Was will ich im Moment? Recht haben oder eine Situation lösen?“ Wenn Sie nur Recht haben wollen, dann packen Sie die Keule aus und kämpfen gegen den Kunden nach dem Motto „Dem habe ich es jetzt mal so richtig gegeben.“ Schlacht gewonnen – Kunden verloren ...
Wenn Sie aber eine Situation lösen wollen, kann können Sie zum einen die eigenen Muster zurücklassen (denn der Kunde ist so wie er ist) und zum anderen beginnen, großzügig zu agieren. Ich habe einmal beschlossen, dass ich mich wegen eines Betrags unter 200 € nicht mehr aufrege. Denn jeder Ärger ist teuer. Wir bezahlen dafür an Lebensqualität!
Vor einigen Jahren erlebte ich als Kunde in einer Apotheke eine nette Situation: Bevor ich an die Reihe kam, wurde vom Apothekenleiter noch ein anderer Kunde bedient. Ich bekam nicht mit, was er kaufte. Als ich dann dran war und mit dem Apothekenleiter sprach, kam dieser Kunde plötzlich zurück, regte sich mit lauten Worten auf und äußerte, dass ihm die eben gekauften Bonbons nicht schmeckten. Es sei eine Unverschämtheit, ihm so etwas zu verkaufen! Was dann folgte, war ein Klassiker: Kunde und Apothekenleiter stritten und brüllten sich gegenseitigan. Ich war von dieser kommunikativen Fehlleistung fasziniert. Und all dies wegen 1,50 € ...
Ich will hier nochmals betonen, dass wir nicht alles hinzunehmen haben. Hierzu ein Beispiel: Ein Kunde entwendete ein Blutdruckmessgerät aus der Freiwahlzone. Am nächsten Tag brachte er es wieder in die Apotheke zurück mit den Worten, dass die Schwiegermutter das Gerät doch nicht brauche und er sein Geld zurück haben wolle, den Kassenzettel habe er verlegt. Am Vortag wurde aber in der Apotheke kein Gerät verkauft und im Bestand fehlte eines!? Hier gilt es, Klartext zu reden und eventuell sogar einen Verweis aus der Apotheke mit Hausverbot zu erteilen.
Viele Mitarbeiter reagieren sehr spontan mit Ärger und Abwehrhaltung, wenn sie es mit einer Kundenreklamation zu tun haben: „Muss der sich jetzt auch noch beschweren“, „Damit habe ich nichts zu tun“, „Das war ja nicht mein Fehler“ etc. Sie versuchen, die Beschwerde abzuweisen – oder zumindest, die unangenehme Sache an den „Sündenbock“ oder irgendjemand anderen weiterzugeben. Genau ein solches Verhalten kann Sie wertvolle Kunden kosten!
Es lohnt sich nicht, sich auch nur zwei Minuten über eine Reklamation zu ärgern. Die Arbeitsleistung sinkt bei Ärger in den kommenden Stunden rapide ab, Sie produzieren Stresshormone, die nur den eigenen Körper schädigen. Und: Jeder Ärger kostet gewaltig an Lebensqualität: „Der Preis einer Sache ist diejenige Menge an Lebensqualität, die wir früher oder später im Austausch dafür hergeben müssen.“
Fragen Sie sich im Reklamationsfall, um welchen Deckungsbeitrag es sich hier handelt. Meist ist der Betrag die Zeit gar nicht wert, die Sie dafür aufwenden!
Verstehen und Akzeptieren ist ein großer Unterschied
Ich habe im Leben für vieles Verständnis – akzeptieren will ich einiges davon nicht. Auch wenn Sie genau wissen, dass der Kunde im Unrecht ist, dürfen Sie es ihm nicht gleich an den Kopf werfen. Es mag sein, dass Sie die Situation oder die Gründe nicht akzeptieren, weil z. B. das Produkt, das er zurückgeben will, gar nicht bei Ihnen gekauft wurde oder weil Sie sich genau daran erinnern, dass nur die kleinere Packung verordnet war etc. Verständnis für den Kunden können Sie dennoch zeigen.
Entscheidungs-Kompetenz
Um eine Reklamation zügig und zur Zufriedenheit des Kunden bearbeiten zu können, ist es wichtig, im Vorfeld eine gängige Unternehmens-Leitlinie festzulegen. Das macht in der Regel der Chef. Sie bezieht sich weniger auf die arzneimittelrechtliche Seite als vielmehr auf den (überschaubaren) finanziellen Aspekt.
Jeder Mitarbeiter braucht eine eigene Entscheidungs-Kompetenz. Der Chef dürfte allerdings immer die letzte Instanz sein, wenn es sich um wirklich hochpreisige Artikel handelt.
Mitarbeiter sollten ausdrücklich ohne Wenn und Aber einen Handlungs- und Finanzspielraum (viele Apotheken setzen 30 € Einkaufswert an) haben, der dann auch im QM-Handbuch festgeschrieben wird und damit eine Leitlinie für alle Mitarbeiter darstellt.
Ein übertriebenes Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie würden jede Woche für 100 € Produkte bei Reklamationen erstatten (was in dieser Größenordnung wohl in kaum einer Apotheke in Deutschland vorkommt). Stellen Sie sich weiterhin vor, Sie hätten einen Wareneinkauf von 1,5 Mio. € pro Jahr, dann hätten Sie durch Reklamationen bedingt den Einsatz auf 1.505.200 € erhöht. Spielt das eine tragende Rolle für Ihr Betriebsergebnis oder gäbe es andere Möglichkeiten, den Ertrag positiver zu beeinflussen?
Reklamationen professionell begegnen
Für ein optimales Vorgehen bei Reklamationen brauchen Sie eine gute kommunikative Kompetenz. Diese lässt sich erlernen. In den folgenden Abschnitten finden Sie viele Anregungen und Ideen, die Sie üben sollten, um sie im Ernstfall kompetent einsetzen zu können. Nicht der Grund der Beschwerde ist für einen Kundenverlust verantwortlich, sondern die Art und Weise, wie Sie sich in der Situation verhalten und mit der Beschwerde umgehen!
- Identifikation: Ob die Reklamation durch Sie verursacht war oder durch eine andere Person, ist für den Kunden unerheblich. Sie stehen in diesem Moment vor ihm und sind Repräsentant eines Unternehmens. Den Angriff brauchen Sie nicht persönlich nehmen, das Identifizieren mit dem Reklamationsfall ist dennoch unerlässlich. Gehen Sie in eine Metaposition und denken Sie sich: „Moment mal, interessant, was der Kunde erlebt hat und mir mitteilt“. Diese Denkweise (Dissoziation) puffert für Sie den persönlichen Angriff des Kunden ab und lässt Sie durch das Interesse offen für seinen Kummer und seine Sorgen werden.
- Ausreden lassen und Abpuffern: Bei einer Beschwerde nehmen Sie den Kunden wenn immer möglich zur Seite oder gehen Sie mit ihm in die Beratungsecke. Nehmen Sie sich Zeit für den Kunden – nichts ist in diesem Moment wichtiger! Bleiben Sie ruhig, lassen Sie ihn aussprechen und unterbrechen Sie ihn nicht. Reden mindert Ärger, haben Sie deshalb Geduld. Der Kunde möchte zuerst seinen Ärger auf der emotionalen Ebene „loswerden“ – und wir sollten ihm die Möglichkeit dazu bieten. Erst danach wird er nämlich zu einem Gespräch über Sachinhalte bereit sein. Beziehen Sie die Reklamation nicht auf Ihre eigene Person, denn der Kunde ist nicht gekommen, um Sie persönlich zu ärgern, sondern um einen für ihn in diesem Moment wichtigen Sachverhalt zu klären. Gestehen Sie ihm zu, dass er seinen Ärger loswerden will!
- Sich bedanken: Die Tatsache, dass ein Kunde sich beschwert, bedeutet für Sie ein Feedback. Also ist es positiv zu werten, dass Sie einem Kunden so viel wert sind, dass er gerne eine Verbesserung gerade in Ihrer Apotheke herbeiführen möchte, statt sich direkt eine andere zu suchen. Um besser zu werden und die Bedürfnisse des Kunden weiterhin kennenlernen zu dürfen, sollten Sie ihm eine positive und dankbare Reaktion entgegenbringen: „Danke, dass Sie mich darauf angesprochen haben!“ oder „Danke, dass Sie zu mir gekommen sind!“ oder „Vielen Dank, dass Sie so ehrlich sind und mir dies sagen.“
Nur so können Sie Ihre Arbeitsabläufe wirklich verbessern. Vielleicht ist der Kunde verblüfft, wenn Sie ihm für seine Reaktion danken. Er erwartet alles, nur keinen Dank. Tun Sie es trotzdem, denn Sie nehmen ihm so erst einmal den Wind aus den Segeln und stimmen ihn versöhnlich. Lassen Sie sich auch niemals vom unfreundlichen Ton eines Kunden anstecken. Nur Ihre ruhige sachliche Art bringt den Kunden dazu, wieder umgänglicher zu werden.
- Emotional bestätigen: Die weitere Reaktion ist eine emotionale Bestätigung der Beschwerde. Geben Sie „Zuhörquittungen“ ab. Dies gelingt am besten in der Ich-Form. Denn der Kunde hat Sie persönlich angesprochen und will ein verständnisvolles Gespräch von Mensch zu Mensch und nicht die Beschwerde in einer Organisation loswerden: „Ich verstehe, das war bestimmt ärgerlich“, „Ich kann ihren Ärger gut verstehen, da kam ja alles auf einmal“, „Das erschreckt mich jetzt, wie unglücklich das gelaufen ist ...“, „Ich kann ihren Ärger durchaus verstehen, erzählen Sie mir doch bitte genau, wie das passiert ist“.
Diese Reaktion zeigt dem Kunden, dass Sie sich in ihn einfühlen können und signalisiert ihm, dass Sie sich mit seiner Reklamation identifizieren können. Ebenso stellen Sie heraus, dass Sie sich mit verantwortlich fühlen für die Vorgänge in Ihrer Apotheke. Für den Kunden bedeutet das, dass Sie für ihn der richtige, kompetente und verständige Ansprechpartner sind.
- Positiv verstärken: Verstärken Sie Ihre Offenheit, mit der Sie und die Apotheke der Reklamation gegenüberstehen, noch positiv, indem Sie im Folgesatz von der Ich-Form in die Wir-Form wechseln:
„... denn wir sind sehr bemüht, dass unsere Kunden...“,
„... da wir gerade darauf einen besonderen Wert legen ...“,
„... denn uns ist es wichtig zu wissen, was Sie ...“,
„... weil wir besonders auf eine schnelle Bearbeitung achten ...“,
„... da wir so etwas unbedingt vermeiden wollen ...“.
- Sich entschuldigen: Danach sollten Sie sich erst einmal bei Ihrem Kunden dafür entschuldigen, dass ihm dies passiert ist (auch in der Ich-Form) und für seine verärgerte Reaktion Verständnis zeigen. Wenn Sie sich noch nicht ganz darüber im Klaren sind, wer für den Missstand verantwortlich ist, halten Sie Ihre Entschuldigung neutral, nennen Sie keinen Schuldigen: „Es tut mir leid, dass Sie damit Ärger hatten“, „Ich bedaure sehr, dass Ihnen das passiert ist“, „Es tut mir leid, bitte entschuldigen Sie diesen Fehler“.
Vermeiden Sie hier unbedingt das Wort „müssen“ wie beispielsweise: „Sie müssen entschuldigen ...“ – der Kunde MUSS nämlich gar nichts!
Es ist weder schön noch sinnvoll, schlecht über Kollegen, Lieferanten etc. zu sprechen, nur um sich selbst zu rechtfertigen und die Schuld von sich zu weisen. Denn schnell schließt der Kunde daraus, dass er auch in Zukunft mit solchen Missständen rechnen muss. Klagen über Mitarbeiter und Kollegen sollten Sie vor allem deshalb unterlassen, weil damit das Vertrauen in Ihre Apotheke untergraben wird.
Warten Sie dann die weitere Reaktion des Kunden ab. Meist fängt er mit seiner Beschwerde wieder von vorne an. Zeigen Sie immer noch Verständnis und signalisieren Sie ihm weiterhin Ihr Mitgefühl. Eventuell wiederholt sich der Vorgang zwei- bis dreimal. Erst wenn alle Emotion raus ist, lässt sich konstruktiv auf der Informationsebene verhandeln.
Fazit: Bei Reklamationen geht es darum, neben den Ursachen vor allem nach einer kundenfreundlichen Lösung zu suchen, und nicht nach dem Schuldigen! Reklamationen sind so eine große Chance zur Kundenbindung.
3-Minuten-Video
Ein kostenfreies 3-Minuten-Video zum Thema Reklamationen finden Sie auf der Homepage des Autors unter
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(05):10-10