Emanuel Winklhofer
Die deutsche Automobil-Treuhand GmbH in Stuttgart hat ermittelt, dass im Durchschnitt jeder deutsche Autobesitzer in seinem Leben insgesamt 54 Jahre Auto fährt und sich in dieser Zeit vier Neuwagen und sieben gebrauchte Kraftfahrzeuge kauft. Insgesamt gibt er dafür durchschnittlich ca. 280.000 € aus.
In der Apotheke ist der finanzielle lebenslange Wert eines Kunden (Lifetime Value) sicherlich nicht so hoch – dennoch interessant: Betrachtet man die Statistiken über das Einkaufsverhalten von Kunden (vgl. IMS, ABDA Zahlen-Daten-Fakten), so macht ein Kunde pro Jahr einen Umsatz (netto) von ca. 580 €, der sich zusammensetzt aus rund 490 € für verordnete Produkte und etwa 90 € für alle selbst gekauften Artikel. Nehmen wir an, dass ein Apothekenkunde (Frauen!) im Durchschnitt für drei Personen einkauft, dann bringt ein Kunde pro Jahr rund 1.750 € Umsatz. Berechnet auf 40 Jahre ergeben sich schon stolze 70.000 €!
Reklamation ernst nehmen
Signalisieren Sie dem Kunden, dass Sie seine Reklamation ernst nehmen und Sie sich selbst persönlich sofort um sein Anliegen kümmern. Voraussetzung dafür, dass der Kunde sich bei Ihnen gut aufgehoben fühlt, ist Ihr aktives Zuhören mit entsprechend zugewandter Mimik, Gestik und Körpersprache:
- Blickkontakt, offene Gestik,
- freundliche Annahme,
- ruhige, sachliche Stimme,
- zustimmendes „Hm“, „Ja“, „Ich kann Sie verstehen“,
- sich nicht durch irgendetwas anderes ablenken lassen,
- signalisieren, dass Sie selbst alles Mögliche in Ihrer Macht stehende tun möchten.
Das heißt, dass Sie ganz für den Kunden da sind. Nichts ist für Sie in diesem Moment wichtiger!
Hat er sich seinen ganzen Kummer von der Seele reden und seinem Ärger Luft machen können (Abbau von überschießenden Emotionen), dürfen Sie jetzt beginnen, intensivere Fragen nach dem Sachverhalt zu stellen. Fragen Sie nach dem exakten Grund der Reklamation und klären Sie die Ursache der Beschwerde genauestens ab. Stellt sich einmal heraus, dass die Ursache der Reklamation beim Kunden selber liegt, so dürfen Sie auf keinen Fall triumphieren! Achten Sie darauf, dass er in so einem Fall sein Gesicht wahren kann. Zeigen Sie vielmehr, dass Sie trotzdem Verständnis für ihn haben.
Wenn nun der Kunde erzählt und vom Hundertsten ins Tausendste kommt, streift er dabei eventuell noch andere Punkte, die ihm nicht gut gefallen haben. Sie erfahren dadurch, wie emotional bedeutungsvoll die Beschwerde wirklich ist: Ist sie nur die Spitze eines Eisbergs einer Reihe bisher heruntergeschluckter Beschwerden, oder war es eine einmalige Angelegenheit, über die sich der Kunde geärgert hat?
Die Stufen der Verärgerung
Es gibt Stufen der Verärgerung, sie reichen von einer kleinen Unzufriedenheit über die Enttäuschung, dann geht es weiter zur massiven Verärgerung und in der schlimmsten Konsequenz greift man zur Selbstjustiz und beschließt, eine schmerzhafte Schädigung vorzunehmen. Die einzelnen Schritte blähen sich immer weiter auf. Von Stufe zu Stufe wird es teurer, den Kunden wieder zufriedenzustellen.
Er erwartet mit Recht eine schnelle Lösung, die seinen Interessen entspricht, und auch ein freundliches Entgegenkommen. Überraschen Sie den Kunden, indem Sie seine Erwartungen übertreffen oder seine Wünsche übererfüllen! Er will nicht hören, dass er etwas falsch gemacht hat, sich irrt oder Angaben gemacht hat, „die so nicht stimmen können“.
Kunden wollen, dass Sie bei Reklamationen ...
- Aufmerksamkeit, Zuwendung und Verständnis zeigen,
- freundlich und ehrlich ihm gegenüber sind,
- den fachkompetenten Ansprechpartner bieten,
- schnell reagieren,
- sehr kulant seine Erwartung erfüllen.
Deeskalations-Schema
Ich will Ihnen hier ein ganz spezielles Werkzeug mitgeben, wie Sie auf persönliche Angriffe reagieren oder wie Sie festgefahrene Gespräche deeskalieren können. Dabei schicke ich allerdings – und dies weiß ich aus langer Erfahrung heraus – voraus, dass dieses Schema nur funktioniert, wenn Sie es trainiert haben.
Warum? Aus einem ganz einfachen Grund: Wenn Sie ein Kunde emotional angreift, dann haben Sie schnell Ihre „Komfortzone“ verlassen und befinden sich in der „Stresszone“. Hier können Sie nicht mehr logisch-rational überlegen, sondern sind durch eine „neuronale Hormonvergiftung“ blockiert. In so einem Fall müssen Routinen erlernt sein, auf die man in solchen Stresssituationen zurückgreifen kann, ähnlich wie bei Einsatzkräften der Feuerwehr oder des Rettungsdienstes. Also ist „Trockentraining“ erforderlich.
Die einzelnen Schritte, wenn ein emotionaler Angriff kommt („Nie haben Sie meine Medikamente da“, „Sie haben mir schon oft das Falsche gegeben“, „Mit der Beratung nehmen Sie es ja wohl nicht sehr genau“, „Arbeiten hier nur Amateure“, „Wenn Sie es nicht mehr nötig haben, brauchen Sie es ja nur zu sagen“ etc.), sehen wie folgt aus:
1. Puffer: Sie brauchen einen ganz kurzen geistigen Puffer, indem Sie einmal ruhig durchatmen und sich klarmachen, dass Sie sich jetzt nicht „auf den Knopf drücken“ lassen. Legen Sie sofort den Business-Schalter um und entschließen Sie sich, professionell zu reagieren. Dies dauert ca. zwei bis drei Sekunden.
2. Einstieg: Nun bedienen Sie sich eines Satzes, der zweigeteilt ist: Der erste Teil beginnt mit einer Ich-Botschaft, die dem Kunden zeigt, dass seine Beschwerde und seine Emotion angekommen sind. Der zweite Teil setzt sich mit einer Wir-Botschaft fort, die dem Kunden vermittelt, dass Sie hinter dem Unternehmen stehen.
Die Sätze können Sie kombinieren, wie Sie wollen, es klingt immer gut. Allerdings wird es nur gelingen, wenn Sie die Sätze oft geübt haben, da Sie im aktuellen Moment Ihre Komfortzone verlassen haben und nicht mehr logisch denken können!
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3. W-Fragen: Hier nutzen Sie die Fragetechnik der offenen Fragen, auf die der Kunde nicht einsilbig mit Ja oder Nein antworten kann. Solche Fragen beginnen oft mit „W“: Wie, wann, wo, weshalb etc. Im Gegensatz dazu: „geschlossene Fragen“ beginnen in der Regel mit einem Verb: Hatten Sie...? Sie sind im Kundengespräch ganz allgemein wenig vorteilhaft, wenn man wirklich etwas über die Bedürfnisse des Kunden erfahren möchte, um daraus z.B. einen Zusatzverkauf zu generieren.
- „Was genau ist denn passiert?“
- „Worüber haben Sie sich denn geärgert?“
- „Womit sind Sie denn noch nicht zurecht gekommen?“
- „Was hat Sie denn zu dieser Meinung veranlasst?“
- „Wie hätte es denn sein sollen?“
Dann lässt der Kunde alles raus, was er loswerden will, und das ist auch in Ordnung. Hören Sie aufmerksam zu und unterbrechen Sie nicht, auch wenn er dreimal das Gleiche sagt.
4. Lösung klären: Mit dem Kunden verbleiben Sie dann auf irgendeine Art und Weise, die für beide Seiten eine Win-Win-Situation darstellt. Sie haben nach kurzem Nachdenken möglichst eine Sofort-Lösung mit dem Kunden zu seiner Zufriedenheit gefunden. Das bedeutet, wenn er sich z. B. über einen ständigen Lagerdefekt seines Arzneimittels beschwert, teilen Sie ihm mit, dass Sie sofort prüfen, ob Sie es nicht ganz speziell für ihn an Lager nehmen können, wenn er es möchte. Und das ist auch schon der letzte Punkt: eine dauerhafte Lösung anbieten („Ist es Ihnen Recht, wenn wir in Zukunft ...“, „Wir könnten das speziell für Sie so organisieren, dass ...“ usw.).
Ihr Kunde erwartet, dass Sie so schnell wie möglich eine intelligente, praktikable und unkomplizierte Lösung für sein Problem haben. Genau das ist der Grund, weshalb Sie sich schon im Vorhinein mit der Behandlung von Reklamationen auseinandergesetzt haben müssen.
5. Die Luxus-Frage: Nun können Sie prüfen, ob noch etwas unausgesprochen in der Luft liegt, worüber der Kunde sich geärgert hat. Vielleicht klafft noch irgendwo eine weitere Wunde, über die er vielleicht schon seit längerer Zeit verärgert ist. Manchmal ist das momentane Anliegen nur der Auslöser der Reklamation, aber nicht die Ursache, wenn sich bei ihm mehrere Situationen aufgestaut haben (z.B.: er wurde unhöflich bedient, musste zu lange warten, bekam keine Zugabe etc.).
- „Gibt es sonst noch etwas, worüber sich geärgert haben?“
- „Gab es in der Vergangenheit schon einmal etwas, womit wir Sie enttäuscht haben?“
- Eventuell ist hierbei eine Erlaubnisfrage zu Beginn hilfreich:
- „Darf ich Sie noch etwas fragen? Gibt es denn sonst noch etwas...“
Dies ist ein sehr sensibler Bereich und der Tonfall darf keinesfalls anklagend wirken. Hier erfahren Sie oft den tieferen Grund, warum ein Kunde unzufrieden ist, wie z. B. „Ja, beim letzten Besuch hat mir Ihre Kollegin nicht mal eine Zugabe mitgegeben.“ Das also war des Pudels Kern!
Einige Lösungen für die Praxis
Kunde: „Arbeiten hier nur Anfänger? Ist denn niemand da, der einen Kunden zufriedenstellen kann?“
Deeskalation: „Ich finde es schade, wenn Sie eine solche Meinung von uns haben, denn es ist uns wichtig, unsere Kunden kompetent zu beraten. Was genau ist denn vorgefallen?“
Kunde: „Bei Ihnen muss man immer so lange warten!“
Deeskalation: „Es tut mir leid, dass Sie heute so lange warten mussten, wir wollen die Kunden schon zügig bedienen. Nun bin ich ganz für Sie da. Was darf ich für Sie tun?“
Kunde: „Da muss ich mir in Zukunft wohl eine andere Apotheke suchen!“
Deeskalation: „Es täte mir leid, wenn wir Sie als Kunden verlieren würden. Was müsste denn geschehen, dass Sie wieder rundum zufrieden sind?“
Der Abschluss der Reklamation
Beziehen Sie den Kunden in den Lösungsprozess mit ein und erfüllen Sie mehr, als er erwartet.„Herr Meier, ich hoffe, die Angelegenheit hat sich nun zu Ihrer Zufriedenheit gelöst. Mit was darf ich Ihnen denn eine kleine Freude machen? Hätten Sie lieber ... oder ...?“
„Lieber Herr Müller, es tut mir wirklich leid, dass ... schiefgelaufen ist und ich weiß, es hätte nicht passieren dürfen. Geben Sie mir eine Chance. Was kann ich tun, damit Sie wieder absolut zufrieden mit uns sind?“ Tun Sie dann mehr, als der Kunde von Ihnen erwartet (dies ist meist gar nicht so viel, wie Sie denken).
„Unglücklich“
Ein letzter Tipp, den ich immer gerne anwende, um meine Betroffenheit darzustellen, ist ein Ausdruck, der so einfach wie genial ist und niemandem die Schuld in die Schuhe schiebt: das Wort „unglücklich“. „Das tut mir so leid, das ist nun wirklich ganz unglücklich gelaufen ...“ – genial, erzeugt ganz schnell Verständnis!
Prinzipiell hat der Kunde nicht die Macht, Sie anzugreifen oder zu verletzen. Das schafft er nur, wenn Sie sich angreifbar oder verletzlich machen. Es gehören also immer zwei dazu. Ein englisches Sprichwort sagt: „It takes two to tango“. Der eine macht etwas, der andere reagiert darauf. Konzentrieren Sie sich bei Reklamations-Situationen darauf, bei sich selbst sofort den „Business-Knopf“ zu drücken. Damit sind alle anderen Knöpfe blockiert und Sie geben damit dem Gegenüber nicht die Möglichkeit, Sie emotional aus der Reserve zu locken. Professionelles Verhalten ist in diesen Fällen oberstes Gebot!
Ein kostenfreies 3-Minuten-Video zum Thema Reklamationen finden Sie auf der Homepage des Autors unter
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(07):8-8