Ute Jürgens
Apotheker Unwirsch hat vor längerer Zeit einen Beitrag in einer Fachzeitschrift angelesen. Detailliert wurden hier die Vorteile von monatlichen Meetings geschildert. Er las den Artikel mit den Tipps jedoch nicht zu Ende, sondern war überzeugt, dass er auch ohne Konzept erstklassige Teamsitzungen abhalten kann.
Die Angestellten müssen seitdem mittwochmittags eine Stunde einplanen, um Wichtiges zu besprechen. Selten ist der Chef vorbereitet, meist überlegt er aus dem Stegreif, was in der letzten Woche zu bemängeln war und ob es irgendetwas Aktuelles gibt, das alle wissen sollten. In der Regel ist er schlecht gelaunt, da er selbst eine freie Mittagspause vorziehen würde. Wenn alle da sind, beginnt er sofort und ohne Einleitung: Einzelne Teammitglieder werden heftig abgekanzelt, weil ihnen ein Fehler unterlaufen ist, dabei wird der Chef auch persönlich.
Das Team lässt das Ganze stoisch über sich ergehen, hat doch die Erfahrung gezeigt, dass Widerspruch oder selbst das Eingehen auf die Vorwürfe in konstruktiver Art mit weiteren Angriffen geahndet wird. Versuche, selbst aktuelle Anliegen in der Sitzung einzubringen, werden vom Chef mit dem Hinweis abgewehrt, er alleine wüsste, was wichtig wäre. Ihm sind die Zusammenhänge nicht klar, er ist enttäuscht, weil niemand etwas sagt, wenn er Ideen braucht, etwas Neues einführen oder Bestehendes verbessern möchte.
Der Wendepunkt
Als Frau Überblick, eine ältere PTA, eingestellt wird, ist sie entsetzt. Sie ist erst ein paar Tage da und hat sich bereits über die gedrückte Stimmung im Team zu Wochenbeginn gewundert. Jetzt hat sie gerade die erste Teamsitzung mitgemacht. Als Herr Unwirsch sie fragt, wie sie es fand, antwortet sie ehrlich: „Furchtbar! Ich habe in anderen Apotheken und in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit schon viele Sitzungen erlebt – aber so etwas ist mir noch nie passiert. Es gab keine Tagesordnung, Sie haben niemanden zu Wort kommen lassen, wir haben keine anderen Ergebnisse als Frustration, Demotivation und ein extrem schlechtes Betriebsklima.“ Der Chef reagiert konsterniert, da er eine solche Antwort nicht erwartet hat, und verschwindet in seinem Büro.
Zwei Tage später bitte er Frau Überblick zu einem Gespräch unter vier Augen. Er eröffnet ihr, dass ihm die Sitzungen schon des Längeren eine Last sind und befragt sie nach ihren Erfahrungen. Frau Überblick schildert ihm diese. Herr Unwirsch hört zu und überlegt, ob Teamsitzungen in seiner Apotheke überhaupt Sinn machen. Frau Überblick schlägt ihm schließlich vor, für ein halbes Jahr die ihr bekannte Methodik aus anderen Apotheken auszuprobieren und sich anschließend zu entscheiden.
Der Chef schwankt: Einerseits ist er verärgert, dass seine neue PTA etwas besser weiß als er und möchte sie zurückweisen. Gleichzeitig will er in der Sache weiterkommen und den Betriebssegen wieder ins Lot bringen. Da fällt sein Blick auf ein gerahmtes Schild an der Wand. Es ist ein Geschenk eines ehemaligen Kommilitonen. Bisher konnte er mit dem Spruch nicht viel anfangen, nun erschließt sich ihm der Sinn: „Man kommt weiter wie geschmiert, wenn man richtig delegiert.“
Herr Unwirsch entscheidet sich und fragt Frau Überblick, ob Sie das Ganze einmal in die Hand nehmen kann. Diese stimmt zu und führt aus, es sei sowieso sinnvoll, dass die Sitzungsleitung regelmäßig wechselt. Sie bietet an, alles vorzubereiten und in drei Wochen die erste Sitzung unter ihrer Leitung auszuprobieren.
Sorgfältige Planung
Frau Überblick informiert ihre Kollegen über den Modellversuch. Als erstes hängt sie eine Liste auf, in die jeder seine Anliegen eintragen kann. Hier ergibt sich nach ein paar Tagen ein buntes Bild. Die Wünsche reichen von besser organisierter Zusammenarbeit mit dem Heim über einheitliche Arbeitskleidung bis zu notwendigen Reparaturen.
Eine Woche vor der geplanten Sitzung schließt Frau Überblick die Liste mit Punkt 12, nun darf nichts Neues mehr eingetragen werden. Stattdessen kreuzen alle innerhalb von zwei Tagen ihre beiden favorisierten Themen an. Am Montag schreibt Frau Überblick die Liste in der Reihenfolge auf, die sich aus der Anzahl der Kreuze ergibt. Das Team kennt nun die wichtigsten Punkte und stellt sich darauf ein.
Angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen
Frau Überblick hat den Sozialraum aufgeräumt, sodass jeder seine Unterlagen ablegen kann, auf dem Tisch steht eine Schale mit Obst, es gibt Wasser und Tee. Sie begrüßt alle und dankt für das Engagement. Da viele Punkte auf der Tagesordnung stehen, schlägt sie zunächst einen zweiwöchigen Rhythmus vor. Wenn das Team eingespielt und die Themen abgearbeitet sind, wird es reichen, sich alle vier Wochen mit neuen Listen zusammenzusetzen. Routiniert geht sie die ersten beiden Punkte an, sammelt Meinungsäußerungen, lässt die Diskussion laufen, solange sie das Thema weiterbringt und sorgt dafür, dass immer nur einer spricht. Der erste Punkt ist relativ schnell erledigt, beim zweiten wird offenbar, dass vor der Beschlussfassung noch Informationen eingeholt werden müssen.
Die PKA Frau Handfest trägt alle Ergebnisse in ein Protokollformular ein. Hier wird auch festgehalten, wer was bis wann erledigt und was auf Wiedervorlage geht. Der dritte Tagesordnungspunkt ist ebenso wie der sechste etwas, das nicht in die Teambesprechung gehört, sondern von den PTAs intern geregelt werden muss, hier geht es um Herstellungsprotokolle. Frau Überblick schließt die Sitzung mit der Feststellung, dass sie für eine Stunde schon sehr viel geschafft haben. Die Teilnehmer lesen das Protokoll und unterschreiben es. Somit ist klar, dass jeder alles verstanden hat und weiß, was er zu tun hat.
In zwei Wochen wird die protokollführende PKA unter der Assistenz von Frau Überblick die Leitung übernehmen, die Approbierte ist dann für das Protokoll zuständig. Die PKA ist etwas ängstlich, aber Frau Überblick spricht ihr Mut zu und verspricht, sie bei Bedarf zu unterstützen.
Die Themenliste steht schon fest, nächstes Mal sind die momentanen Tagesordnungspunkte (TOP)vier und fünf an erster Stelle, sieben bis 12 rücken nach. Nur falls es etwas äußerst Wichtiges gibt, darf es auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung, ansonsten bleibt die Liste geschlossen. Nach der Teamsitzung folgt ein kleiner Austausch zwischen Herrn Unwirsch und Frau Überblick, er hat noch ein paar Fragen zum grundsätzlichen Vorgehen.
Weiter so!
Mit der Zeit gewöhnen sich alle an das neue Vorgehen und lernen es schätzen. Die Gruppe ist froh, dass sie Aktuelles zeitnah bearbeiten kann, anstehende neue Aufgaben werden so verteilt, dass man sie gut innerhalb des gesetzten Zeitrahmens schafft. Da Protokollführung und Sitzungsleitung rotieren, lernen es alle kennen und verlieren die Scheu vor diesen Aufgaben. Frau Handfest entpuppt sich schließlich als beste Moderatorin des ganzen Teams.
Frau Überblick bringt nach kurzer Zeit einen kleinen Katalog mit Sitzungsregeln als Diskussionsgrundlage mit. Das Team einigt sich auf die wichtigsten Spielregeln und hält sich nach einiger Übung daran. So ist der Moderator entlastet.
Nach einem halben Jahr teilt Herr Unwirsch Frau Überblick mit, dass er es bei diesem neuen Vorgehen belassen will. Sein Vorteil: Er spart seine Kräfte, das Betriebsklima ist besser geworden und die Arbeit läuft reibungslos.
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(07):11-11