Prof. Dr. Reinhard Herzog
Kundenzahl
Der unmittelbarste Erfolgsfaktor ist die Kundenzahl. Schwieriger ist nur die Einordnung dieser Zahl im direkten Wettbewerbsvergleich, denn selbst Rückgänge können bisweilen sogar einen relativen Gewinn darstellen (wenn z.B. Ihr Umfeld 2 % der Einwohner verloren hat, Sie aber nur 0,5 % an Kunden).
Grundsätzlich sollten Sie Ihre „klassischen“ Offizinkunden in den Mittelpunkt Ihrer Betrachtungen stellen, denn diese bringen den „Straßenumsatz“, welcher der beste Indikator für die Attraktivität Ihrer Apotheke ist. Spezialumsätze und die damit verbundenen Kunden sollten Sie somit stets separat betrachten. Hier handelt es sich vor allem um Heimbelieferung, Versandgeschäft oder Speziallaborleistungen. Es sollten also am Ende die echten Bonkunden in die Kennzahlenanalyse einfließen. Hier ist ggf. die Erfassungslogik im Rechnersystem zu hinterfragen. Stolpersteine sind beispielsweise Abholer, Kreditverkäufe oder gesplittete Aufträge – wie erfasst Ihr System das? Prinzipiell kommt es für den internen Zeitreihenvergleich nur darauf an, dass dies immer der gleichen Logik gehorcht. Im externen Vergleich z.B. in Erfa-Gruppen kommt es dann aber doch auf die Details an.
Kundenzahlen-Trends
Da fast die Hälfte der Kunden die durchschnittliche Apotheke ohne Rezept betritt und wir sehr viele Packungen mit Akutpräparaten umsetzen, werden die jährlichen Kundenzahlen stark von Grippe- und Erkältungswellen, Sommerdurchfällen, Allergiegeschehen etc. überlagert.
Dennoch gibt es Basistrends. Schon seit einigen Jahren steigt unsere Bevölkerung zuwanderungsbedingt wieder an, besonders stark im letzten Jahr. Abseits der „Flüchtlings-Sonderkonjunktur“ wird jedoch gerne die „geregelte“ Zuwanderung aus vornehmlich den EU-Staaten Ost- und Südeuropas übersehen – unter dem Strich mehrere Hunderttausend Personen pro Jahr. Die nächsten Jahre sollten weiterhin einen positiven Zuwanderungssaldo in der Größenordnung von 0,3 % bis 0,5 % der Gesamtbevölkerung pro Jahr bringen (ohne Flüchtlinge), wobei sich das aufgrund der jüngeren Altersstruktur der Einwanderer vorerst nur unterproportional in den Apotheken zeigen dürfte. Wichtiger sind der allgemeine Apothekenrückgang (etwa 1 % pro Jahr) und die Demografie vor Ort. Die Demografie schlägt auf zwei Arten zu: Mit zunehmender Alterung werden mehr Packungen benötigt – die Besuchszahl steigt. Andererseits entwickelt sich die Bevölkerungszahl lokal sehr unterschiedlich, von deutlichem Zuwachs in den Metropolen bis zur anhaltenden Entvölkerung ländlicher und östlicher Regionen. Somit ist der bundesweite Trend von etwa plus 1,5 % bis 2 % an Kunden je Apotheke pro Jahr immer individuell zu hinterfragen. Betrachten Sie also die Lage vor Ort und schauen Sie Ihre Kundenzahlen durch diese „individuelle Zahlenbrille“ an.
Bonertrag
Neben dem Bonumsatz (= durchschnittlicher Nettoumsatz je Kundenbesuch) als informeller Größe zählt am Ende der Rohertrag. Der Bonertrag ist einer der wichtigsten Erfolgsindikatoren und gehört in jeder Kennzahlenübersicht ganz nach oben.
Im Schnitt sind das heute etwa 9,– € bis 10,– €, wobei insbesondere Apotheken in Ärztehäusern deutlich darüber, teils über 12,– € erzielen können, während manch Center-Apotheke nicht über die 6,– €-Marke hinauskommt, es gibt sogar (hoffnungslose?) Fälle, die mit der 5,– €-Grenze kämpfen. Da hilft auch eine schöne Spanne jenseits der 30 % wenig, absolut bleibt eben nicht viel „hängen“. Das kann man nur durch extrem rationelles Arbeiten (Personalkosten!), überschaubare Grundkosten und am Ende meist durch schlichte Selbstausbeutung des Inhabers bzw. der Inhaberin kompensieren.
Damit Ihre EDV den korrekten Bonertrag zeitnah ausweisen kann, muss sie eine exakte Stückertragsberechnung beherrschen, welche wiederum eine sorgfältige Erfassung der realen Einkaufspreise (im Direkt- und Großhandelsbezug) voraussetzt.
Alternative: Wenn Ihnen wenigstens mittels EDV-Permanentinventur und Übermittlung der aktuellen Warenlagerwerte an das Steuerbüro eine halbwegs exakte Ausweisung Ihres monatlichen Rohertrages gelingt, brauchen Sie diesen nur durch die an der Kasse erfassten Offizin-Bonkunden (Fallen s.o.) zu dividieren.
Spätestens auf Jahresbasis sollten Sie in Ihrem Jahresabschluss einen validen Rohertrag ausgewiesen haben, den Sie heranziehen können. Aber Achtung: So wie Sie die Kundenzahlen differenzieren (Heimkunden etc. herausrechnen), so sollte das dann auch beim Rohertrag erfolgen. Der klassische steuerrelevante Abschluss gibt das nicht her.
Aber selbst wenn Sie sich die Mühe der Differenzierung nach Rohertragsquellen und Kundenarten nicht machen: Gemittelt über alle Kunden ist der „Bonertrag“ (oder dann besser „Ertrag je Auftrag“) mit die wichtigste Kenngröße. Zeitreihen über etliche Jahre zeigen die ganz entscheidenden Entwicklungslinien. Stagnierende oder gar fallende Bonerträge sind in einem Umfeld, in welchem Kosten und Aufwand eher weiter steigen, sehr kritisch zu sehen.
Spezifische Kosten
So wie Sie Ihren Rohertrag auf den einzelnen Bonkunden umrechnen, sollten Sie das auch mit den Kosten tun. Sinnvoll sind hier zwei Werte: Einmal die Personalkosten (inklusive Sozialnebenkosten) je Kunde, sowie die gesamten operativen Kosten je Kunde. In Letztere geht alles ein, was konkret für den regelmäßigen Betrieb anfällt. Lassen Sie daher folgende Positionen außen vor: Erstens die Zinsaufwendungen bzw. betrieblichen Zinserträge, denn diese haben mit der eigentlichen täglichen Betriebsführung nichts zu tun. Zweitens die Gewerbesteuer, diese ist meist bei der Einkommensteuer (fast) vollständig anrechenbar und somit im Wesentlichen durchlaufend. Drittens die Abschreibungen; diese müssen zwar ebenfalls erwirtschaftet werden, sind aber gestaltbar und zudem nicht direkt zahlungswirksam. Demzufolge bleiben auch alle außergewöhnlichen Ausgaben (größere Investitionen, ein einmaliger teurer Rechtsstreit etc.) unberücksichtigt.
Übrig bleiben die „echten“ zahlungswirksamen betriebsgewöhnlichen Kosten. Pro Kunde sind das im Schnitt heute etwa 6,– € bis 6,50 €. Die Personalkosten machen davon etwa 4,– € bis 4,25 € aus. Die Spannbreite der so wichtigen Kennzahl „Personalkosten pro Kunde“ reicht dabei von etwa 2,50 € in Center-Apotheken bis teils deutlich über 5,– € in betreuungsintensiven Apotheken (Ärztehäuser). Werte über 5,– € sind hingegen in der Regel ein deutliches Warnsignal. Andererseits gibt es am anderen Ende der Skala Minimalwerte in Centerlagen von knapp über 2,– €, die jedoch nur durch extrem hohen Einsatz von Inhaber bzw. Inhaberin erreichbar sind und auch sonst Fragen nach der damit noch darstellbaren Qualität der Kundenbetreuung aufwerfen. Interessanterweise sind die Unterschiede bei den Personalkosten je Kunde zwischen den alten und neuen Bundesländern nicht allzu groß. Die etwas niedrigeren Personalkosten im Osten der Republik verteilen sich nämlich auf etwas weniger, dafür höherpreisigere Kunden (Grund: mehr Ältere, mehr Rezepte, weniger Barverkauf).
EBITDA je Kunde
Am Ende zählt, was bei jedem Kunde „hängenbleibt“. Ehrlichste Messgröße, da am wenigsten durch Schulden, Abschreibungspolitik etc. verfälscht und insoweit über längere Zeitreihen am besten vergleichbar, ist das bekannte EBITDA (Earnings before Interests, Taxes, Depreciation and Amortization). Dazu werden vom Rohertrag alle betriebsgewöhnlichen zahlungswirksamen Kosten abgezogen, ohne Zinsen, AfA, Gewerbesteuer und Außergewöhnlichem (siehe oben). Das beziehen Sie wieder auf Ihre Bonkundenanzahl. Rund 3,50 € werden hier im Schnitt erzielt, mit großer Spannbreite: Manche Apotheken machen Verlust (Filialen!), andere erzielen durchaus 5,– € und mehr an EBITDA pro Kunde (u.a. Hochpreiser-Apotheken). In Centern bleibt meist ganz erheblich weniger (nicht selten um oder unter 2,– €) – da macht es schlicht die Masse!
Schuldentragfähigkeit
Zur Ermittlung der Schuldentragfähigkeit bzw. als Überschuldungsindikator wird üblicherweise das oben erwähnte EBITDA als Bezugsgröße herangezogen. Die betrieblichen Schulden werden auf dieses EBITDA bezogen und in Prozent davon ausgedrückt. Ab etwa 350 % bis 400 % beginnt der Warn-, ab etwa 500 % der Alarmbereich. Ob tatsächlich mit dem Schlimmsten zu rechnen ist, hängt jedoch von vielen anderen Faktoren ab. Die wichtigsten: Steigen oder fallen die Gewinne bzw. Schulden, und wie sieht zusätzlich die private Schulden- und Vermögenssituation aus? Als eine wichtige Kennzahl sollten jedoch die Schulden in Prozent des EBITDA stets „auf dem Radarschirm“ bleiben.
Stimmungsnoten
Vernachlässigen Sie nicht die „weichen“ Faktoren. Was Sie oben in harter Form dokumentiert bekommen, hat seine tiefere Ursache möglicherweise bereits an dieser Stelle. Fangen Sie mit ganz einfachen Werkzeugen an. So bietet sich ein an unbeobachteter Stelle aufgestellter Kasten an, in welchen Ihre Mitarbeiter z.B. verschiedenfarbige Stimmungskarten einwerfen: grün, gelb oder rot. Sie können auch weitere Zwischenfarben vorsehen und diese dann direkt Schulnoten zuordnen (also sechs Farben für Noten von 1 bis 6, z.B. von dunkel- über hellgrün, gelb, orange und hell- sowie dunkelrot). Farbige Murmeln, Plastikchips etc. gehen ebenso.
Ein guter Zeitrahmen ist die wöchentliche Erhebung, aber auch die Tagesstimmung hat ihren Reiz. Werten Sie das Ergebnis durch Bildung einer Durchschnittsnote und die Erhebung der Zahl der gefährlichen „roten Karten“ aus. Laufende rote Karten sind ein Warnsignal. Nehmen sie deutlich zu, ist es gar ein Alarmruf. Hier sollten Sie nachforschen oder über Vertrauensleute nachforschen lassen.
Ähnliche Schnellbeurteilungssysteme lassen sich zudem auf Kundenebene realisieren, wenn diese die Apotheke verlassen. Es gibt inzwischen Bildschirme, die eine solche Kundenbewertung (u.a. in Form von „Smileys“) ermöglichen. Billiger und einfacher geht es mit klassischer „Hartware“, also mit den erwähnten Karten, Chips etc., was dann aber laufend ausgezählt werden muss (das machen Rechner natürlich automatisch).
Fazit: Mit dem beschriebenen überschaubaren Satz an Kennzahlen haben Sie schon einen guten Anhaltspunkt, wie „fit“ Ihr Betrieb ist. Eine grafische Einordnung (siehe unten stehende Abbildung) zeigt noch eindrücklicher, wo Sie eher im roten oder grünen Bereich operieren. Je nach Apothekentypus kommen Sie um die eine oder andere gelbe oder gelbrote Kennzahl nicht herum. Dafür sollten Sie dann aber an anderer Stelle satt grün abschneiden!
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(14):4-4