Emanuel Winklhofer
Aus meiner früheren eigenen Erfahrung in der Apotheke kenne ich diese Situationen noch sehr gut. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich nicht mehr über diese Frage ärgerte, sondern verstand, was sich dahinter verbarg. In den wenigsten Fällen bedeutete der Satz ein Misstrauen gegenüber meinen pharmazeutischen Fähigkeiten als damaliger Mitarbeiter, die – nebenbei bemerkt – der Kunde kaum nachprüfen kann.
Die drei Möglichkeiten
Der Kunde hat tatsächlich ein persönliches Anliegen, das er mit dem Chef besprechen will. Dies kommt vor, wenn der Chef viele Bekannte hat, die gern mal auf ein paar Worte vorbeikommen oder mit ihm einen Termin für einen Skat-Abend oder ein gemeinsames Essen vereinbaren wollen. Die Frage nach dem Chef richtet sich also in keiner Weise gegen die Mitarbeiter.
Ein Kunde möchte vom Chef persönlich wahrgenommen und „gesehen“ werden. Er möchte das Gefühl vermittelt bekommen, dass er ein wichtiger Kunde ist. Dies ist ein sehr gut nachvollziehbarer Vorgang. Wenn man selbst in ein Geschäft geht, wo man den Inhaber kennt, dann will man auch gern von ihm begrüßt werden, zumal wenn er sich gerade im Verkaufsraum aufhält. Für den Kunden ist diese Aufmerksamkeit eine Art Anerkennung, die er vom Chef erhält. Dadurch wird die emotionale Verknüpfung zu einem Unternehmen enorm gesteigert.
Der Kunde ist von seiner Persönlichkeitsstruktur ein eher unsicherer Mensch und reagiert mit Vorsicht oder sogar Zurückhaltung, wenn er keine ihm bekannte Bezugsperson hat. Das trifft gerade bei älteren Personen oft zu, denn im Alter nimmt die Wichtigkeit von Faktoren wie Stabilität, Harmonie und Sicherheit stark zu.
Das oberste Gebot, wenn ein Kunde die oben angeführte Frage nach dem Chef stellt, besteht darin, nicht in den Abwehrreflex zu verfallen, als sei es ein persönlicher Angriff gegen den Mitarbeiter. Der Kunde sagt schließlich nicht: „Sie sind mir zu minder, ich lasse mich nicht von Ihnen bedienen.“ Er stellt lediglich die Frage: „Ist der Chef heute nicht da?“
Zugegeben, es braucht ein gesundes Selbstwertgefühl, um in solchen Situationen freundlich und gelassen zu bleiben. Je mehr Routine in den beruflichen Alltag kommt, desto leichter sind Situationen dieser Art zu meistern. Die einfachste Lösung besteht darin, dass man Sie als Chef holt. Sind Sie aber einmal nicht anwesend oder möchten Sie bewusst abgeschirmt werden, braucht es andere „Patentrezepte“.
Das Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun gibt einen guten Einblick in den psychologischen Ablauf eines Gespräches. Jede Kommunikation verläuft auf vier Ebenen: die Sachebene, die Appellebene, die Beziehungsebene und schließlich die Selbstoffenbarungsebene.
Der Gesprächspartner stellt eine Frage auf der Sachebene: „Ist der Chef nicht da?“ Diese Frage wäre schlichtweg mit ja oder nein zu beantworten. Nun, das ist keine befriedigende Lösung, denn hinter der Frage verbirgt sich ja ein Appell: Der Kunde will den Chef sprechen, von ihm gesehen (wahrgenommen) oder bedient werden.
Wir hören also die Sachebene, erkennen auch noch die dahinterliegende Appellebene, reagieren aber hauptsächlich auf der Beziehungsebene. Mitarbeiter nehmen völlig zu Unrecht an, der Kunde hätte etwas gegen sie und sei mit ihrer Kompetenz nicht zufrieden. Tatsächlich spielt sich auf der Beziehungsebene in dieser Situation wenig ab, da der Kunde uns ja kaum kennt. Eine weit größere Aussage liegt in der Selbstoffenbarungsebene: Was teilt denn ein Mensch von sich mit, wenn er eine solche Frage stellt? Er sagt doch: „Ich bin wichtig und will Aufmerksamkeit haben“, oder: „Ich bin ängstlich, habe wenig Vertrauen in meine Mitmenschen, vor allem wenn ich jemanden nicht kenne.“
Tipps für die Praxis
Als Inhaber sollten Sie Ihren Mitarbeitern vermitteln, wie sie mit der Frage „nach dem Chef“ umgehen sollten, nicht zuletzt weil ein (nicht) professioneller Umgang damit auf Sie zurückfällt.
Zuerst: Jeder bewahrt sein freundliches Lächeln! Der Kunde ist nicht der Feind, sondern eine Art Trainingspartner, der dem Gegenüber die Chance gibt, seine positive Lebenseinstellung zu trainieren. Das gilt in diesen Situationen oder auch in Momenten, wenn Sie mit sehr „schwierigen“ Kunden zu tun haben.
Soweit erkennbar wird, dass es sich um ein privates Gespräch zwischen Chef und Kunde handeln wird, kann die Frage lauten: „Hätten Sie Ihn gern persönlich gesprochen? Im Moment ist er leider nicht da, kann er Sie denn anrufen, oder könnten Sie nach 17 Uhr anrufen?“ oder: „Darf ich denn Ihren Namen notieren, dann kann er Sie zurückrufen?“ Durch das Aufschreiben des Namens zeigt man dem Gegenüber eine wichtige Art der Wertschätzung, die der Kunde beim nächsten Kontakt sicherlich positiv in Erinnerung hat.
In 80 % der Fälle möchte der Kunde hingegen wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Man kann das auch als eine Art „wahrnehmungsorientierten Hilferuf“ des Kunden interpretieren. Jede Apotheke bietet die gleichen Produkte an. Hierin ergibt sich noch kein besonderer Nutzen für den Kunden, der sich nur auf Ihre Apotheke beziehen würde.
Warum soll ein Kunde gerade zu Ihnen in die Apotheke kommen? Weil er zu Ihnen Vertrauen hat!
Vertrauen ist ein Gefühl, das in einem Menschen erst erwächst. Es hat viel mit der Art und Weise zu tun, wie ein Kunde in der Apotheke behandelt wird. Aufmerksamkeit und Zuwendung des Apothekenleiters und des Teams tragen sehr viel zur Vertrauensbildung bei. Generell sind es der Service, die Dienstleistung und die Freundlichkeit, die den Kunden veranlassen, speziell Ihr Unternehmen aufzusuchen.
Für diesen Fall gibt es mehrere Möglichkeiten der Reaktion. Geben Sie dem Kunden immer das Gefühl, dass er ein wichtiger Kunde der Apotheke ist, egal, von wem er bedient wird. Die Aufmerksamkeit des Chefs gibt es dann noch obenauf: „Er ist im Moment beschäftigt, ich kann Sie ja inzwischen schon mal bedienen, dann nimmt er sich anschließend sicher noch für Sie Zeit!“ Schon hat der Kunde seine gewünschte Zuwendung!
Wenn Sie als Chef gerade nicht anwesend sind, sollten Ihre Mitarbeiter dem Kunden das Gefühl der Aufmerksamkeit geben, indem sie ihm vermitteln, dass die Information über den Einkauf an Sie weitergegeben wird: „Im Moment ist unser Chef leider nicht da. Wenn Sie mir Ihren Namen sagen, dann richte ich ihm gern ganz herzliche Grüße von Ihnen aus. Darüber freut er sich bestimmt.“
Bei unsicheren Kunden kann die Antwort lauten: „Oh, leider ist er heute nicht da, wie könnte ich Ihnen im Moment weiterhelfen?“ Oder: „Er ist gerade in einer Besprechung, da darf ich ihn nicht stören. Wie kann ich Ihnen im Moment weiterhelfen?“
Wichtig ist dabei, dass Ihre Mitarbeiter diese Aussagen mit einer absoluten Sicherheit herüberbringen, da sonst das noch nicht vorhandene Vertrauen kaum aufgebaut werden kann.
Übung macht den Meister
Um in solchen Momenten sicher auftreten zu können, ist Training für Ihr Team erforderlich. Das kann man praktisch ganz einfach in der Mittagspause, nach Dienstschluss oder in ruhigen Momenten im Rollenspiel üben.
Natürlich ist das ein „Trockentraining“, das nicht zu 100 % der Wirklichkeit entspricht, doch wenn Ihre Leute das nicht einmal in der Trainingssituation beherrschen, wie wollen sie im Ernstfall fit sein? Ein Sportler hat auch nicht immer 10.000 Zuschauer, wenn er sich auf den Wettkampf vorbereitet. Und doch weiß er genau: Wer trainiert, wird besser, wer nicht trainiert, lässt nach. Haben Sie den Mut zum Trainieren!
3-Minuten-Video
Ein kostenfreies 3-Minuten-Video zu diesem Thema finden Sie auf der Homepage des Autors unter:
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(14):9-9