Mitarbeiterführung

Kopf und Bauch im Widerstreit


Ute Jürgens

Die Approbierte ist nett und kommt gut mit den Kunden und den anderen Mitarbeitern zurecht. Leider lassen ihre fachlichen Leistungen so sehr zu wünschen übrig, dass sie nicht länger tragbar ist. Wie halten wir bei solchen Entscheidungen die innere Zerrissenheit aus?

Situationen wie dieser begegnen wir häufig. Bei solchen Entscheidungen können Routine und die allgemeingültigen Regeln im Umgang mit anderen Menschen hilfreich sein, das perfekte Rezept existiert aber nicht. Haben wir akzeptiert, dass es keine absolute Sicherheit gibt und dass wir auch nach einer Entscheidung oft noch Zweifel haben, geht es schon viel besser. Das Stressgefühl und die überhöhten Erwartungen an uns selbst lösen sich auf.

Die Gesellschaft ist viel schnelllebiger und komplexer geworden, da sind Flexibilität und Pragmatismus statt sturer Prinzipientreue gefragt. Angefangen bei Dingen wie den Rabattverträgen (mit all ihren Ausnahmen) über die Geräte, mit denen wir arbeiten, bis zu häufigeren Wechseln im Team – immer wieder anpassen, immer wieder umstellen. Im Gefühlsleben sieht es oft ähnlich aus, hier herrscht eine Gleichzeitigkeit der Emotionen, der wir uns manchmal ausgeliefert fühlen und mit der wir umzugehen lernen müssen.

Die Welt der Führung wird heute auch mit dem Begriff VUCA beschrieben. Das steht für Volatility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambivalenz). Was hilft mir das im Zwiespalt der Gefühle und bei der Mitarbeiter-, Kunden- und Selbstführung in der Apotheke? Alle Begriffe tragen viel Bewegung und wenig Festlegung in sich. Ich bin nicht gezwungen, mich dauerhaft in Meinung und Handeln zu zementieren und damit einzuengen. Positiv ist, wenn andere verstehen, wieso ich mich so oder so entscheide. Dabei können die einzelnen VUCA-Zustände sowohl problembeschreibend sein als auch Lösungspotenzial enthalten.

Sechs Helfer

Nach den Organisationsberatern Ehmer/Regele, die sich mit den soziologischen Forschungen zu Herausforderungen durch die „Beschleunigungsfalle“ auseinandergesetzt haben, gibt es sechs Faktoren, die uns helfen: Sicherheit, Bindung, Sinn, Transparenz, Mitgestaltung und Wertschätzung. Sie machen den ruhigen Fels in der Brandung des Hin- und Hergerissenseins aus.

Als Führungskraft sind Sie der Paradoxie ausgesetzt, den Mitarbeitern zugleich sowohl Sicherheit zu geben als auch die Haltung des Nichtwissenden einzunehmen. Selbst als Chef darf man zögern, zweifeln und überlegen. Am Ende sollte jedoch Klarheit in Ihrem Verhalten herrschen, die auch für das Team nachvollziehbar ist. Es steht eher hinter Entscheidungen und zieht mit, wenn Transparenz vorherrscht und kein großes Fragezeichen. Unsicherheit führt zu Irritation und Versuchen, das Verhalten der Leitung zu interpretieren – da sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Fordern Sie als Chef auch Transparenz ein, wenn Sie das Handeln der Mitarbeiter nicht verstehen, meist gibt es ganz einfache Erklärungen.

Wenn ich mich an meine Apotheke und die Kollegen gebunden fühle, heißt das, dass ich mich mehr engagiere als in einem x-beliebigen Betrieb, der mir weitgehend egal ist. Bindung entsteht durch Wertschätzung und durch Entwicklungsmöglichkeiten, dadurch, dass ich ernst genommen werde und dass meine Meinung zählt und gefragt ist.

Wozu mache ich das alles? Wenn wir keinen Sinn in unserem Tun sehen, ist schnell „die Luft raus“, es wird nur widerwillig gearbeitet, die Qualität leidet. Diese Gefahr besteht bei reinen Verwaltungstätigkeiten, die vom Umfang her ständig wachsen. Zum Glück erschließt sich der eigentliche Sinn in den helfenden Berufen meist von selbst, sieht doch jeder unmittelbar die Früchte seines Tuns am Kunden.

Entscheiden Sie als Chef nicht immer alles alleine, sondern beziehen Sie die Angestellten auch bei unternehmerischen Fragen mit ein – dann kommt der Faktor Mitgestaltung zum Tragen. Diese Dimension wird zukünftig in Betrieben eine größere Rolle spielen als heute.

Die richtige Alternative

Wir suchen nach der Entscheidung zwischen dem Entweder- oder und übersehen dabei die Möglichkeit des Sowohl-als- auch. Für das eingangs geschilderte Beispiel heißt das: Die Angestellte unter bestimmten Bedingungen behalten. Ist sie sich ihres Mankos bewusst, ist Fortbildung angesagt: einen Wiedereinsteigerkurs machen und die Hinweise zu den am häufigsten abgegebenen Arzneimitteln lernen, zuhören, wenn die Kollegen beraten und deren Tipps annehmen. Als Chef vermeiden Sie so die aufwendige Suche nach einer neuen Approbierten.

Ein anderes typisches Beispiel: Sie haben den Angestellten verboten, ungefragt Überstunden zu machen. Als Sie ein freies Wochenende haben, ruft am Samstag 10 Minuten vor Schluss ein Stammkunde an und erwartet selbstverständlich, dass ihm noch etwas gebracht wird. Normalerweise bieten Sie samstags keinen Botendienst an – gleich zwei Gründe, weshalb Ihr Team ablehnt. Am Montag beschwert sich der Kunde heftigst bei Ihnen – wie reagieren Sie? Sie möchten einen guten Service bieten und doch haben sich die Angestellten nach Ihren Weisungen verhalten. Schon wieder steht die Frage im Raum: Was ist richtig? Ein „mal eben vorbeibringen“, wie es der Kunde erwartete, hätte einen Weg von 40 Minuten bedeutet, da kein Auto zur Verfügung stand und die Fahrt mit dem Bus sehr umständlich gewesen wäre. Eine wunderschöne Zwickmühle auch hier. Lösungen im Sinne des Sowohl-als-auch: Ein Taxi vielleicht, aber wer bezahlt es? Oder ein Anruf beim Mitbewerber, der Notdienst hat und bei dem der Kunde später vorbeischauen könnte. Eine weitere Möglichkeit wäre, in der Kundendatei nachzusehen, was der Anrufer in der letzten Zeit gekauft hat – eventuell ist ja ein Arzneimittel dabei, das er ebenso gut einnehmen kann, aber an das er nicht gedacht hat.

Routine hilft oder hindert

Befinden wir uns in einer Zwickmühle, kann Routine, also Erfahrung mit ähnlichen Situationen, lösungsfördernd sein, aber auch unser Denken blockieren. Wir fahren in den alten Bahnen, uns fällt nicht auf Anhieb ein neuer Weg ein. Überlegen Sie: Was würde meine Tochter, mein alter Lehrer, meine Azubi oder der Bäcker von nebenan tun? Menschen mit anderem Hintergrund haben andere Ideen, vielleicht kommt nun ein Geistesblitz vorbei.

Der systemische Berater Prof. Dr. Rolf Arnold regt dazu an, sich der eigenen Regelhaftigkeit im Denken und Handeln bewusst zu werden: Sie schränkt oft ein. Stärken Sie Ihren Appetit darauf, Art und Anzahl Ihrer Handlungsoptionen zu vergrößern. Dafür empfiehlt Arnold verschiedene Übungen und Überlegungen grundsätzlicher Art (s. untenstehenden Buch-Tipp).

Besinnung auf die Werte

Betrachten Sie die sechs großen Helfer, welche sind stark in Ihrem Unternehmen und bei Ihnen persönlich und wo schwächelt es? Wenn das Mathematische hilft: Auf der Skala von eins bis zehn – welcher Wert liegt unter fünf? Die Sicherheit zum Beispiel? Wie können Sie mehr Sicherheit empfinden? Bleiben Sie realistisch: Es ist zum Beispiel sicher, dass Ihre Apotheke in drei Jahren noch existiert, es müssen nicht dreißig sein für ein gutes Gefühl!

Wenn wir uns in Situationen innerer Zerrissenheit fragen „Worauf kommt es jetzt konkret an?“ und dabei die sechs Helfer betrachten, ergeben sich oft Antworten für diesen Augenblick. So könnte beim Kunden im obigen Beispiel Transparenz helfen und verhindern, dass er sich nachhaltig über seine Apotheke ärgert.

Ute Jürgens, Kommunikationstrainerin und Einzelcoach, KomMed, 28865 Lilienthal, E-Mail: KomMed@freenet.de

Buch-Tipp

Rolf Arnold: Wie man wird, wer man sein kann – 29 Regeln zur Persönlichkeitsbildung. Carl-Auer Verlag. 2016. 19,95 €

Susanne Ehmer, Wolfgang Regele, Doris Regele, Herbert Schober-Ehmer: ÜberLeben in der Gleichzeitigkeit – Leadership in der „Organisation N. N.“ Carl-Auer Verlag. 2016. 39,00 €

zu beziehen über den Deutschen Apotheker Verlag (Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E‑Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de).

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(18):11-11