Doris Zur Mühlen
Neben der pharmazeutischen Kompetenz hat die Lieferfähigkeit einen besonders hohen Stellenwert bei Apothekenkunden. Nicht jeder empfindet den Botendienst als eine befriedigende Ersatzlösung. Ist das gewünschte Arzneimittel nicht verfügbar, zeigt sich der Kunde gern wechselbereit, ein Image- und Umsatzverlust ist die Konsequenz. Aber es gibt auch Situationen, in denen ein enttäuschter Stammkunde eines Wettbewerbers Ihre Apotheke aufsucht und Sie ihn durch ein gut sortiertes Warenlager zufriedenstellen können. Eine gute Lieferfähigkeit ist somit ein starkes Kundenbindungs- und Kundengewinnungsinstrument und kann ein entscheidender Vorteil gegenüber der Konkurrenz sein.
Was bedeutet „optimale“ Lieferfähigkeit?
Eine pauschale Aussage über die optimale Lieferfähigkeit lässt sich nicht treffen, da diese vom Profil, Standort und von den Kunden abhängig ist. Landapotheken kommen aufgrund der engeren Kundenbeziehungen, der überschaubareren Konkurrenzsituation und den wenigen Hauptverschreibern mit einer vergleichsweise geringen Lieferfähigkeit aus. Bei Lauflagenapotheken, mit einer ausgeprägten Konkurrenzsituation und einem hohen Anteil an Streurezepten, stellt sich die Lage gegenteilig dar: Um sich auf das Verordnungsverhalten der Ärzte und die Nachfrage der Kunden einzustellen, wird ein breites Warenlager benötigt. Erhält der Kunde seinen gewünschten Artikel nicht, entscheidet er sich häufig für die nächstliegende Apotheke.
Als grobe Orientierungsgröße dient eine packungsbezogene Lieferfähigkeitvon mindestens 85 % (ausgenommen Sondereffekte wie Hochpreiser, Heimversorgung, Sprechstundenbedarf etc.). Liegt die eigene Lieferfähigkeit unter diesem Wert, besteht dringender Klärungsbedarf.
Ein großes Warenlager ist nicht gleichzusetzen mit einer hohen Lieferfähigkeit. Hierbei muss man unterscheiden zwischen der Lagertiefe und der Lagerbreite.Hat eine Apotheke nur eine hohe Lagertiefe, d. h. eine vermehrte Anzahl der Artikel je Position, heißt das nicht, dass sie alle Kundenwünsche bedienen kann. Dazu benötigt sie eine hohe Lagerbreite. Nur durch eine bedarfsorientierte Anpassung der Anzahl an Artikelpositionen, möglichst noch mit Blick auf das Verordnungsverhalten der Ärzte, kann eine Apotheke eine gute Lieferfähigkeit erreichen.
Bei nicht sofort abgegebenen Artikeln, die durch Selbstabholung oder Botendienst nachgeliefert werden, ist eine Aufnahme ins Lager zu prüfen. Dies ist z. B. bei regelmäßigem Bedarf eines Kunden aufgrund einer Dauermedikation oder bei mehreren Nachfragern innerhalb eines festgelegten Zeitraums der Fall.
Schwieriger zu erfassen sind die Fälle, in denen es bei Nichtverfügbarkeit des Artikels zu keiner späteren Nachlieferung kommt (Nicht-Verkauf). Hier sind die Mitarbeiter angehalten, entsprechende Listen zu führen. Nur so kann der nicht realisierte Umsatz erfasst und eine Entscheidung getroffen werden, ob der Artikel ins Lager aufgenommen werden soll oder nicht.
Um eine gesunde Balance zwischen Lieferfähigkeit und Kapitalkosten beizubehalten, darf das Lager nicht nur aufgestockt, sondern muss auch entsprechend bereinigt werden. Zum Abbau ist eine Reduzierung der Lagertiefe bei höherpreisigen Artikeln zu prüfen. Dies setzt im Vergleich zu niedrigpreisigen Artikeln je Artikelposition mehr gebundenes Kapital frei. Gibt es keine Gründe, die für eine höhere Bevorratung sprechen, ist zur Sicherstellung der Lieferfähigkeit lediglich ein Artikel je Position ausreichend.
Zusätzlich sollte das Lager um Langsamdreher mit einer geringen Lagerumschlagshäufigkeit bereinigt werden. Im Durchschnitt beträgt die Lagerumschlagshäufigkeit zwischen 18 und 25, d. h. der Artikel schlägt sich 18-mal im Jahr um. Eine Umschlagshäufigkeit von z. B. kleiner als 2 (Artikel wurde seit über sechs Monaten nicht mehr abgegeben) schmälert durch die lange Lagerdauer und die damit verbundenen Kapitalkosten die Liquidität der Apotheke.
Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass die Optimierung der Lieferfähigkeit nur durch eine systematische Analyse der Ist-Situation, kontinuierliche Kontrolle und Festlegung von Regeln möglich ist.
Für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit im Falle einer Erhöhung der Lieferfähigkeit muss der Mehrertrag (durch Reduzierung der Nicht-Verkäufe und weniger Nachlieferungskosten) größer sein als die Kosten für die Warenlageraufstockung. Hierbei ist es schwierig, den Imagefaktorzu quantifizieren, um das zusätzliche Umsatzpotenzial bei einer verbesserten Lieferfähigkeit erfassen zu können. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt nach dem Motto: „Die haben immer alles da.“
Beispiel: Die Apotheke gibt jährlich 90.250 Packungen ab, die sich auf die einzelnen Bereiche (s. Tabelle unten) verteilen. Um belastbare Daten zu den Nicht-Verkäufen zu erhalten, wurden diese in den letzten zwei Monaten durch die Mitarbeiter erfasst.
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Die Analyse der nicht sofort abgegebenen Packungen ergibt als Annahme, dass 50 % einen Lagerumschlag von weniger als 1 aufweisen und somit für eine Lageraufstockung nicht in Betracht kommen. Durch die Aufstockung des Warenlagers um die restlichen 50 % (= rd. 46.000 € bei einem vorherigen Warenlager von 130.000 €) kann die Apotheke einen Mehrertrag in Höhe von 19.425 € erzielen (s. Tabelle unten) und die Sofortlieferfähigkeit wird auf 94,2 % verbessert.
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(18):8-8