Zivilschutz und Apotheke

Haben Sie einen Notfallplan?


Karin Wahl

Jüngere Meldungen in den Medien wie „Ansturm auf den letzten Polio-Impfstoff“ oder „Rettungswagen werden für Terroreinsätze aufgerüstet“ sollten jeden Apothekeninhaber aufrütteln. Sind Sie und Ihre Apotheke eigentlich für durchaus denkbare Notfälle „gerüstet“?

Ein kleiner Test dazu: Hätten Sie in der Apotheke noch einen Arterienabbinder oder ist dieser schon längst bei der jährlichen Inventur als „ungängiger Artikel“ entsorgt worden? Schauen wir dazu einmal auf die gesetzliche Lage:

„Die Apothekenbetriebsordnung regelt die sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung durch Apotheken. Das umfasst die Herstellung, Prüfung und Lagerung von Arzneimitteln, aber auch ihre Abgabe und die Beratung sowie Information von Patientinnen und Patienten.“

§15 ApBetrO Abs. 1 regelt die Bevorratung von Arzneimitteln:

„Der Apothekenleiter hat die Arzneimittel und apothekenpflichtigen Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendig sind, in einer Menge vorrätig zu halten, die mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entspricht. Darüber hinaus sind in der Apotheke vorrätig zu halten (…).“

Es folgt eine Liste von 12 Positionen, angefangen von Analgetika bis zu Verbandstoffen. In Abs. 2 folgt dann eine weitere Liste mit 11 Positionen von Botulismus-Antitoxin vom Pferd bis zu Opioide in transdermaler und transmucosaler Darreichungsform, bei denen der Apothekenleiter sicherstellen muss, dass sie entweder in der Apotheke vorrätig gehalten werden oder kurzfristig beschafft werden können. Die Apothekerkammern der Länder unterhalten eigene Notfalldepots in diversen Kliniken, um der einzelnen Apotheke die Vorratshaltung selten gebrauchter Seren, Antidote etc. zu ersparen.

„Schönwetterzeiten“, aber ...

So weit, so gut. Wir haben seit 70 Jahren Frieden und außer Überschwemmungen, die auch lokale Apotheken übel erwischten, Gott sei Dank nichts Spektakuläres erlebt, außer den üblichen und nervenden Lieferengpässen bei Impfstoffen und Rabattvertragsarzneimitteln.

Ältere Kollegen, die im und nach dem 2. Weltkrieg bereits in Apotheken tätig waren, erzählen von der damaligen Notsituation in den zerbombten Städten; wie sie täglich mit dem Rad und einem Koffer zum nächstgelegenen Großhandel (bzw. seinen Trümmerresten) fuhren und dringend benötigte Arzneimittel für ihre Kunden zu ergattern versuchten. Es gab keine Handys und kein Internet, die Telefonleitungen waren oft kaputt, die Belieferung aller am Gesundheitswesen beteiligten Gruppen wie Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken war schwierig und blieb oft aus. Es gab Tage, an denen die Kollegen nach vielen Stunden Wartezeit mit fast leerem Koffer wieder in die Apotheke zurückradeln und die Hiobsbotschaft, dass keine Lieferung mit Arzneimitteln angekommen war, überbringen mussten.

Trotzdem radelten sie am nächsten Tag wieder hin. Zuhause in der Apotheke besann man sich auf seine alten Fähigkeiten der Arzneimittelherstellung und versuchte, Ersatzmedikamente für die dringendsten Bedarfe in Labor und Rezeptur selbst zu produzieren, um wenigstens einigen Kunden zu helfen. Es klingt wie ein Roman, unvorstellbar, aber wenn man z. B. das zerbombte Aleppo sieht, wird dieser „Roman“ tragische Realität.

Bereits die Krise in Griechenland ließ einen – auch ohne Krieg – ahnen, was im Krisenfall den Apotheken blühen kann. Griechische Kollegen berichteten, dass sie keine dringend benötigten Arzneimittel mehr bekamen und wenn, dann rationiert und nur gegen Barzahlung.

Krisen – weit weg?

Auf solch ein Szenario angesprochene Kollegen winken oft müde ab mit der Bemerkung, „das passiert bei uns eh nicht“ oder „was soll ich denn sonst noch alles tun“. Da fragt man sich, warum das Rote Kreuz, Technisches Hilfswerk (THW), die Feuerwehr, Polizei oder Krankenhäuser regelmäßig den Ernstfall einer Katastrophe üben, „wenn das bei uns doch nie passieren wird“.

Neues Zivilschutzkonzept

Bundesinnenminister Thomas de Maizière wurde in der Presse der Panikmache bezichtigt, als er im August 2016 das neue Zivilschutzkonzept vorstellte. Man zog das Ganze ins Lächerliche mit der Überschrift „Innenministerium will Bevölkerung einkochen lassen“. Apotheker neigen hingegen nicht zur Panik, sondern zum Pragmatismus, und waren zu allen Zeiten für die Bevölkerung und die Politik ein Garant für die zuverlässige Versorgung der Menschen in unserem Land. Allerdings sollten Sie und Ihr Team vielleicht den „unwahrscheinlichen Krisenfall“, den die anderen Organisationen regelmäßig durchspielen, auch einmal für sich selbst durchspielen. Das ist ein Thema für die QMS-Teamsitzung. Dabei sind Fragen zu beantworten wie:

  • Für welchen Zeitraum wären Sie mit notfallrelevanten Mitteln wirklich bevorratet?
  • Wie würde der konkrete Notfallplan der Apotheke aussehen (Notfallordner!)?
  • Wer wäre im Ernstfall wofür zuständig? Vertreterregelungen?
  • Welche Kommunikationswege wären noch nutzbar, wenn der Strom und somit die EDV und Scannerkassen längerfristig ausfallen würden?
  • Sollten Sie ein Solarmodul anschaffen, um wenigstens Kleingeräte wie Smartphone etc. aufladen zu können?
  • Sonderthema „Cyberattacke“ als eigenständiger Notfall.
  • Notfallnummern-Liste für den Ernstfall.
  • Wo bekäme man die Fahrerlaubnis fürs Auto im Krisenfall, da im Ernstfall Ausgangssperren und Fahrverbote verhängt werden könnten?
  • Wer würde den dann angeordneten Dauernotdienst übernehmen können? Nicht jeder Mitarbeiter wohnt um die Ecke!
  • Wären Labor und Rezeptur einsatzbereit für eine Herstellung von wichtigen Arzneimitteln für den Notfall? Wäre man auch für ausgefallene Zubereitungen wie Infusionen gerüstet?
  • Wie würde die Sicherheit der Apothekenräume gewährleistet, gibt es alternative Möglichkeiten einer Notfall-Strom- und Wasserversorgung?
  • Wie reagieren Sie auf Hamsterkäufe der Kunden? Man denke nur an die Situation nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 (oder Tschernobyl 1986), als plötzlich der Run auf Jodtabletten begann und viele Hersteller nicht mehr lieferfähig waren und wirklich Kranke keine Jodid-Tabletten mehr bekamen.

Es gibt bei genauem Nachdenken noch viel mehr Fragen, die für den Ernstfall in der eigenen Apotheke wenigstens einmal durchgespielt und beantwortet werden müssten. Denn alles, womit man sich schon einmal befasst hat, fällt einem im Ernstfall dann nicht mehr so schwer.

Wie also bereitet man sich ohne Panik, ganz in Ruhe und professionell als Apothekenteam vor?

  • Infomaterial bei der Landesapothekerkammer anfordern.
  • Publikationen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe für sich und in größerer Stückzahl für die Weitergabe an Kunden anfordern. Auf der Website gibt es auch Hinweise auf diverse Videos („Auf den Notfall vorbereitet sein!“, u. a. auf YouTube).
  • Den Außendienst von Großhandel und den wichtigsten Direktlieferanten auf den Notfall ansprechen nach dem Motto: „Was wäre wenn?“
  • Den selbst erstellten Notfallordner stets aktualisieren.

Vorbereitet auf Alltags-Notfälle?

Hatten Sie schon einmal einen Notfall in der Apotheke? Kunde kollabiert, mit Asthmaanfall, mit Herzinfarkt? Sie und Ihr Team absolvieren sicher ständig den obligaten Erste-Hilfe-Kurs für alle Mitarbeiter gemeinsam, damit im Ernstfall jeder Handgriff sitzt und das Team eingespielt auf solch eine Situa- tion reagieren kann. Wer leistet Erste Hilfe und kümmert sich um den Patienten? Haben Sie schon einmal über die Anschaffung eines Defibrillators nachgedacht?

Jeder, der das schon einmal live erlebt hat, wird sich nicht dagegen sperren, einmal einen größeren Notfall durchzuspielen, um im Ernstfall souverän handeln zu können. Sich mit diesem Thema zu befassen, ist keine Panikmache, sondern ganz rationale, professionelle Vorsorge und stünde dem Apothekerberuf gut an.

Karin Wahl, Fachapothekerin für Offizinpharmazie, Unternehmensberatung e.K., 70195 Stuttgart, E-Mail: karin.wahl@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(20):9-9