Arzneiverordnungs-Report 2016

Spezialpräparate weiter auf dem Vormarsch


Prof. Dr. Reinhard Herzog

In größerem Format, dafür mit etwas abgespeckter Seitenzahl, trotzdem mit einer Reihe neuer Auswertungen versehen, ist kürzlich der langjährig bekannte Arzneiverordnungs-Report 2016 vorgestellt worden. Wir stellen wieder die „Basics“ dieses umfangreichen Datenwerkes vor.

Den Analysen für das Jahr 2015 liegen 502 Mio. Rezeptblätter (+3,9 %) mit 852 Mio. Verordnungen (+3,9 %) zugrunde, die zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV (nur diese wird im Arzneiverordnungs-Report beleuchtet) ausgestellt wurden. Die „Nettokosten“ (= Bruttorezeptwerte mit Zuzahlungen, minus gesetzliche Hersteller-/Apothekenabschläge, aber ohne individuelle Rabattverträge) für das entscheidende Segment der Fertigarzneimittel betrugen aus Kassensicht 32,8 Mrd. € (+5,8 %). Die für die Apotheken höchst relevante Fertigarzneimittel-Verordnungszahl stieg nur um knapp 1 % auf 657 Mio. Packungen, die definierten Tagesdosen (DDD) legten ebenfalls unterproportional um 1,7 % auf 40,2 Mrd. zu (= 569 je Versicherten und Jahr auf Basis von 70,7 Mio. GKV-Versicherten in 2015). Die Kosten sind damit weit stärker gestiegen als die Zahl der Packungen und auch der Tagesdosen.

205.421 (+0,3 %) Vertragsärzte, davon jedoch 61.990 kaum verordnende Zahnärzte, stellten diese Verordnungen aus. Die Zahl der hausärztlich tätigen Internisten und Allgemeinärzte hat weiter um 271 (0,5 %) auf 55.445 abgenommen. Facharztsitze gab es jedoch wieder mehr, insbesondere bei den Spezialärzten mit jeweils plus 2 % bis 3 % (Gastroenterologen, Nephrologen, Pneumologen, Onkologen) sowie den Orthopäden.

Sowohl regional als auch nach Kassenart finden sich erhebliche Streuungen der Verordnungswerte. Im Schnitt beliefen sich die Brutto-Fertigarzneimittelumsätze auf 500 € je Versicherten. Mecklenburg-Vorpommern hält mit 632 € den Spitzenplatz (gefolgt von Sachsen und Sachsen-Anhalt), Bremen ist das Schlusslicht mit 404 €, es folgt Bayern mit rund 440 €.

Unterschiedliche Perspektiven

Angesichts der Vielzahl von Rabatten, Zwangsabschlägen und Patienten-Eigenbeteiligungen ergeben sich je nach Betrachtungsweise ganz unterschiedliche Resultate. Die Tabelle unten gliedert die Zusammenhänge auf und zeigt, was bei der Apotheke verbleibt. Basis der Auswertungen ist nur der GKV-Bereich. Privatverordnungen sind also nicht enthalten. Ausgewertet werden im Report alle nach §300 SGB von den Apotheken inklusive Versandapotheken abgerechneten Rezepte der GKV. Bei nicht-apothekenpflichtigen Produkten wie Hilfsmitteln ergeben sich gewisse Erfassungslücken.

Der GKV-Gesamtumsatz mit Arznei- und Hilfsmitteln aus Apotheken wird nun weiter aufgegliedert in Arzneimittel einschließlich Rezepturen, weiterhin Fertigarzneimittel (auf diese beziehen sich die meisten Auswertungen) sowie Nicht-Arzneimittel (v. a. Hilfsmittel und Verbandstoffe).

Die Analysen des Verordnungsreportes trennen den Sprechstundenbedarf ab und werten nur quasi den „Endverbrauchermarkt“ vertieft aus. Die Apothekenumsätze umfassen freilich auch den Praxisbedarf, Rezepturen und Nicht-Arzneimittel.

Ehrlicherweise muss man aber die Spezialrezepturen aus dem „typischen“ Apothekenumsatz herausrechnen, da nur von etwa 300 entsprechenden Labor-Apotheken beliefert.

Damit verbleiben je Apotheke im Schnitt 1,737 Mio. € Nettoumsatz mit der GKV, davon 1,574 Mio. € Fertigarzneimittel. Dies zeigt die enorme Bedeutung der GKV, die in den letzten Jahren noch zugenommen hat. Das hohe Umsatzplus von 6,7 % je übrig gebliebene Apotheke erstaunt – doch haben hier Hochpreiser und eben Apothekenschließungen einen bedeutenden Anteil. Dazu passt der wieder erheblich um fast 5 % auf 48,50 € netto gestiegene durchschnittliche Fertigarzneimittel-Packungswert. Die entscheidende Zahl der Fertigarzneimittel-Verordnungen je Apotheke hat aber nur um 1,9 % zugelegt. Der Versand erscheint mit überschaubaren 384 Mio. € brutto in der GKV-Ausgabenrechnung (um 5 % rückläufig).

Überraschend ist immer wieder die inzwischen extreme Diskrepanz zwischen „Listenpreisen“ bzw. den „Taxsummen“ auf den Rezepten und dem, was tatsächlich bezahlt wird. 3,655 Mrd. € (+14,7 %) machen allein die Rabattverträge als größter Einzelposten der Nachlässe aus. Insgesamt sind es, mit Zuzahlungen der Kunden, stolze 8,56 Mrd. €, die an verschiedensten Stellen abgezogen werden. Niedrigere Erstattungsbeträge auf etliche Präparate (welche übrigens, anders als sonst üblich der Listenpreis, die Preisgrundlage der Apotheken darstellen) sparten in 2015 zusätzlich 796 Mio. € ein. Sie wurden auf Listenpreise von 4,339 Mrd. € gewährt, das entspricht also im Schnitt gut 18 % Nachlass auf den ursprünglichen Preis. Zur Systematik der Rabattverrechnungen sei ansonsten auf frühere Beiträge (AWA 21/2015 vom 01.11.2015) verwiesen.

Die Top-Positionen

Die Top-Produkte nach Umsatz jeweils zu den „Nettokosten“ der Kassen waren in 2015:

  • Humira® (859 Mio. €)
  • Harvoni® (725 Mio. €)
  • Xarelto® (578 Mio. €)
  • Enbrel® (494 Mio. €)
  • Tecfidera® (291 Mio. €)

Nach Menge waren es in Mio.:

  • Ibuflam® (18,6)
  • Novaminsulfon Lichtenstein® (18,2)
  • RamiLich® (11,3)
  • Pantoprazol Actavis® (10,1)
  • L-Thyroxin Henning® (8,3)

Was verschreiben die Ärzte?

Allgemeinärzte und hausärztlich tätige Internisten bleiben die in der Fläche wichtigsten Apothekenpartner. Die Verordnungskrone nach Wert haben traditionell die Onkologen mit jetzt fast 1,8 Mio. € auf – und da kommen die Spezialrezepturen (um 2,8 Mio. € je Arzt) noch dazu!

Nervenärzte und Neurologen haben – auf sehr hohem Niveau – etwas Umsatz verloren, bei allerdings leicht steigenden Packungszahlen. Etliche Wirkstoffe verlieren dort ihren Patentschutz. Teure Spezialtherapeutika lassen bei den Augenärzten die Verordnungswerte explodieren, bei kaum veränderten Verordnungszahlen. Ein ähnliches Bild zeigen manche Spezialärzte (z. B. Gastroenterologen), Antreiber sind ebenfalls die Innovationen. Der Hype beim Thema Hepatitis C geht jedoch langsam zu Ende.

Grundsätzlich handelt es sich bei den Verordnungsangaben um Bruttowerte vor Abzug von Rabatten und Mehrwertsteuer, ohne Sprechstundenbedarf, Nicht-Arzneimittel und Rezepturen sowie ohne Privatverordnungen. Verrechnet man dies alles, dann entsprechen die angegebenen GKV-Bruttowerte meist etwa dem realen Gesamt-Nettoumsatz, den der jeweilige Arzt der Apotheke im Schnitt einbringen sollte. Teilweise liegt dieser Nettoumsatz sogar regelhaft noch höher, so gerne bei den Gynäkologen – „Pille“ – und den Hautärzten, hier sind es die zahlreichen Rezepturen und oft viele Privat-Zusatzverordnungen.

Die Verordnungen der einzelnen Praxen streuen jedoch stark. Gerade bei Gemeinschaftspraxen bleiben die Umsätze je einzelnen Arzt oft weit hinter den Durchschnittswerten zurück, das gilt erst recht bei angestellten Ärzten!

Fazit

Der Arzneiverordnungs-Report ist nicht nur für wirtschaftlich Interessierte, sondern auch für Heilberufler eine immer wieder begeisternde Fundgrube. Nicht zuletzt finden sich hier aktuelle pharmazeutische Therapiestandards gut zusammengefasst, einschließlich umfangreicher Literaturangaben.

Apotheker Dr. Reinhard Herzog 72076 Tübingen E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(20):4-4