Marktanteile gewinnen

Am Bedarf der Masse orientiert


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Die Kunden werden unseren Apotheken überwiegend „zwangszugeführt“, dank Rezepten und Apothekenpflicht. Somit dominieren eher reaktive statt proaktive Ansätze: Man ist froh, wenn man den Kunden „ordnungsgemäß versorgt“ hat – die Pflicht. Und was ist mit der Kür?

In der durchschnittlichen Apotheke erscheinen etwa 50 % der Kunden mit einem GKV- oder Privatrezept und generieren im Schnitt bereits gut 80 % des Umsatzes. Den größten Teil der übrigen Nicht-Rezeptkunden treibt die Apothekenpflicht in unsere Geschäfte. Es erfolgt daraufhin die elementare Befriedigung der Nachfrage bzw. der „nicht verhinderbare Umsatz“. Die bürokratische Überfrachtung des Alltags führt dazu, dass es immer schwerer wird, kreativ neue Umsatzpotenziale zu erschließen oder schlicht einmal aus der Perspektive der Kunden heraus wirklich nützliche Ideen und Angebote zu entwickeln.

Diverse Dienstleister sind in diese Lücke gesprungen und möchten uns die (pharmazeutische) Welt erklären. Manche möchten die Sicht- und Freiwahlregale neu bestücken („Category Management“ oder Formen desVerbundmarketings: Wer A kauft, nimmt auch B mit usw.). Pharmafirmen beglücken uns mit Aktionen und Abverkaufshilfen. Dabei ist deren Kalkulation eine ganz andere: 20.000 Apotheken mal nur wenige Packungen im Jahr ist schon ganz nett – uns helfen diese wenigen Packungen aber nicht, wenn wir dafür „Kopfstände“ machen sollen. Sie können zu den ulkigsten Indikationen Fortbildungen besuchen, Literatur erwerben u.a.m., um dann festzustellen, dass es dafür nur drei Kunden in Ihrem Bezirk gibt. Inzwischen wurden auch das Internet und soziale Medien als Tummelplatz entdeckt.

Am Ende des Tages läuft es jedoch immer wieder auf die einfache Erkenntnis hinaus: Sie müssen Ihren Markt selbst gut kennen, wenn Sie erfolgreicher als andere sein wollen!

Tiefe versus Breite

Grundsätzlich können Sie in die Tiefe wirken, d.h. den Pro-Kopf-Ertrag der schon vorhandenen Kunden steigern. Sie können aber auch den Fokus auf die Gewinnung neuer Kunden legen. Lukrativ, aber im Detail oft nicht leicht umsetzbar bzw. an den Marktgegebenheiten vor Ort scheiternd, ist die Spezialisierung auf sehr umsatzstarke Kunden, häufig Schwerkranke bzw. mit seltenen und teuren Indikationen. Für die Mehrheit leichter umsetzbar ist die Ansprache in der Breite – Sie werben zusätzliche „Allerweltskunden“ an. Doch womit? Schlicht mit Angeboten, die möglichst viele Menschen interessieren!

Der Klassiker, wie man es nicht machen sollte: eine Sonderaktion für Prostatakapseln, die sich hier beispielhaft an Männer über 75 richten soll.

Denn nur knapp 5 % der Menschen sind hierzulande männlich und über 75, davon sind keineswegs alle von dem Problem betroffen (und es ist vorrangig eine ärztliche Abklärung nötig, der Nutzen der Selbstmedikation mithin begrenzt), zudem sind Männer die schlechteren Apothekenkunden. Wenn Sie z.B. 6.000 Leute zu Ihrem Versorgungsbereich zählen, schränkt sich Ihre Aktion, die ja keinesfalls alle Personen erreicht, auf vielleicht einige Dutzend wirklich potenziell ernsthafte Kunden ein. Und wer kauft davon etwas, noch dazu idealerweise dauerhaft? Die überwältigende Mehrheit interessiert sich dagegen keinen Jota dafür …

Vor diesem Marketingproblem steht die Apotheke grundsätzlich: Ihre Kundschaft ist heterogen, es gibt 30.000 verschiedene Krankheiten (und selbst die „gängigen“ Leiden verteilen sich noch recht breit), und jeder Mensch tickt gesundheitlich anders. „One fits all“ funktioniert gerade bei uns nicht. Wie viel einfacher ist es dagegen, Autos zu verkaufen: Das Kaufmotiv und die mögliche Bedarfsdeckung sind viel leichter zu greifen. Und dennoch gibt es auch für uns praktikable Lösungen aus dem Dilemma.

Die Masse ansprechen

Um Menschen anzulocken, sollten Sie einen möglichst großen Teil im Hinblick auf deren Bedürfnisse und Interessen erreichen. Das geht mit Produkten oder Leistungen, welche die Mehrheit und eben nicht nur speziell von einem bestimmten Leiden Betroffene ansprechen. Hier stechen hervor:

  • Der gesamte Bereich Körperpflege einschließlich Mund- und Zahnpflege – das „Tor zum breitenwirksamen Marketing“. Schließlich benötigt fast jeder diese Produkte!
  • Als nächstes scheint der „gesundheitliche Haushaltsbedarf“ geeignet, große Kundenkreise anzusprechen. Vieles davon ist mit dem Thema „Hausapotheke“ umrissen und umfasst Produkte, die im Grunde jeder braucht bzw. zu Hause hat: Neben den typischen Arzneimitteln für den Hausgebrauch sind das Verbandmittel („Pflaster“), Desinfektionsmittel, Mücken- und Insektenschutz, die Reiseapotheke und vieles mehr.
  • „Apothekenleckereien“ sollten nicht unterschätzt werden. Nach Stückzahl gehen gar nicht so wenige Bonbons, Gummibärchen etc. „über die Theke“, und interessante Produkte wie beispielsweise eine spezielle „gesunde“ Apothekenschokolade hätten mehr Aufmerksamkeit verdient.
  • Möchte man möglichst viele Menschen ansprechen, dürfen breitenwirksame Dienstleistungen in der Aufzäh-lung nicht fehlen, wobei eine sehr gute Erreichbarkeit und vielfältige Bestellmöglichkeiten unter Einbeziehung der elektronischen Möglichkeiten neben dem Lieferdienst heute die Kundenwünsche anführen.

Die Apotheke bewegt sich, wenn sie im Bereich „Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände“ einschließlich Körperpflege wildern möchte, auf dem schmalen Grat des Gesundheitsbezugs. Bei vielen Körperpflegemitteln – ein Markt von netto 11,4 Mrd. €, Aufteilung siehe in Abbildung 1 – ist dieser aber durchaus herzuleiten.

An diesem Kuchen der „Körper- und Schönheitspflege“ halten die Apotheken einen Anteil nach Umsatz von gerade einmal knapp 9% (siehe Abb. 2), nach Packungen und damit Kundenkontakten sind es noch weniger. Die Drogeriemärkte erweisen sich hier als die bevorzugte Einkaufsstätte schlechthin, in Deutschland mittlerweile de facto ein Oligopol dreier Anbieter. Daneben rangieren Parfümerien und Lebensmittler noch deutlich vor den Apotheken, und selbst Discounter liegen fast gleichauf.

So setzen die Apotheken z.B. mit Mund- und Zahnpflegeprodukten gerade einmal netto rund 80 Mio. € um (4.000 € je Apotheke, verteilt auf rund 550 Packungen nach QuintilesIMS für 2016), bei einem Gesamtmarkt von rund 1.250 Mio. €. Der Packungswert ist jedoch mit gut 7 € vergleichsweise hoch. Warum also nicht bekannte Zahncremes (die fast jeder kennt bzw. brauchen könnte) zu „Kampfpreisen“ anbieten? Das ist jedenfalls viel sinnvoller, als sich seine Arzneimittel (die je nach Indikation viel kleinere Zielgruppen haben) preismäßig zu „zerschießen“. Ob Sie nun noch 40 Cent an einer Zahncreme verdienen oder nichts, ist ziemlich egal! Das sieht bei den „Kronjuwelen der Sichtwahl“ ganz anders aus.

Ähnliche Überlegungen lassen sich für andere Körperpflegeprodukte anstellen, wie Deos oder 08/15-Hautcremes. Zwar sollte hier auf „Einstiegsprodukte“ oder Produkte für eine bestimmte Kundenklientel geachtet werden, welche ansonsten für die klassische Apothekenkosmetik bislang (noch) nicht erreichbar ist – das Thema Neukundengewinnung! Die Gefahr einer Kannibalisierung ist dabei sicher nicht von der Hand zu weisen. Nur: Damit können offenkundig die Drogeriemärkte und Co. auch umgehen, findet sich dort doch ebenfalls ein ganzes Spektrum vom Billigprodukt bis zur hochwertigen Kosmetik.

„Discount“ mit Massenprodukten, nicht mit Arzneimitteln!

Somit macht hier der Preis als Aufhänger noch am meisten Sinn. Die Apotheke kann gegenüber Drogerien und Lebensmittlern durchaus „Kampfpreise“ riskieren, zumal diese ihrerseits nicht erst seit gestern in Apothekengefilden wildern und wir ja nicht allein von diesen Nicht-Arzneimitteln leben müssen. Die Margen sind in diesen konkurrierenden Vertriebskanälen bei solchen Produkten übrigens gar nicht so schlecht, denn niemand lebt dort vom Draufzahlen.

Die Apotheken haben also reelle Chancen, trotz ihrer schlechteren Einkaufskonditionen (ein künftig verstärktes Betätigungsfeld für Großhändler und Kooperationen?) ein Stück weit Paroli zu bieten. Es reicht ja schon, vom großen Kuchen ein kleines weiteres Stückchen abzuschneiden und etliche zusätzliche Stammkunden anzulocken – und die Erträge dann vor allem aus dem klassischen Apothekengeschäft zu generieren.

Ein wichtiges Argument, sich bevorzugt „Massenprodukten“ als Marketing-Aufhänger zuzuwenden, ist die dort gegebene Kaufhäufigkeit. Zahncreme, Zahnbürsten, die günstige Hautcreme oder desinfizierende Hand-Waschlotion verbrauchen sich schnell, die „Apothekenleckereien“ (s.o.) sind rasch vertilgt. Zudem sind diese Produkte wenig vom Online-Versandgeschäft gefährdet, das lohnt schlicht nicht. Die meisten OTC-Arzneimittel sind dagegen akute Bedarfsmedikamente und „Gelegenheitsprodukte“. Nichtsdestotrotz: Mit einem Blick auf die Zahlenrealität lässt sich hier auch noch vieles optimieren! Mehr dazu im Folgebeitrag.

Checkliste: Bedarfsorientiertes Marketing mit „Massenprodukten“

  • Wie hoch ist der Anteil der Einwohner im Einzugsgebiet, die das jeweilige Produkt bzw. die Produktgruppe benötigen? … Spezialprodukt für nur wenige Prozent oder gar Promille: Für ein breitenwirksames, neukundengewinnendes Marketing ist das wenig geeignet. … Massenprodukt für einen zweistelligen Prozentanteil der Einwohner, idealerweise für die Mehrheit prinzipiell bedeutsam: Das klingt interessant!
  • Wo decken diese Kunden damit heute ihren Bedarf? … falls mehrheitlich in der Apotheke: Schön, dies gilt es zu festigen! … falls woanders: Hier gibt es ggf. etwas zu holen bzw. zur Apotheke umzuverteilen!
  • Sind die ins Auge gefassten Produkte für die Apotheke „greifbar“ hinsichtlich … … Sortimentsbreite bzw. Umfang („100 verschiedene Deos“; aber: Lassen sich ggf. die tatsächlich besten und apothekengeeignetsten aus der Vielfalt herausfiltern?) … Beschaffbarkeit (oft gar nicht so leicht) … Preis (Aber Achtung: Hier muss nicht viel verdient werden, das sind Lockmittel! Geschäft soll mit den Stammprodukten der Apotheke gemacht werden …)
  • Sind Sie für ein Marketing in der Breite (Flyer, Internet, mobil …) bereit? … Nur ins Regal stellen reicht zumindest am Anfang nicht! Sie müssen Aktionen starten, mit welchen Sie auch die Masse im dafür klug abgegrenzten Einzugsgebiet ansprechen.
  • Wie binden Sie die derart „angelockten“ Kunden, wie wecken Sie das Interesse für das Apotheken-Stammsortiment und Ihre Leistungen? … Hier sollten Sie schon einige „Register ziehen“, damit die Kunden gerne wiederkommen – und zwar nicht nur für das günstige Massenprodukt!

Apotheker Dr. Reinhard Herzog, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(09):4-4