Bildschirm statt Packung

Digitale Sichtwahl als möglicher Prozessvorteil


Dr. Thomas Müller-Bohn

Zu den jungen Trends im Apothekenbau zählt die digitale Sichtwahl. Bei Präsentationen dazu stehen meist die Optik und das Marketing im Vordergrund. Doch die Folgen für die Arbeitsabläufe und für die Entwicklung der Lagerkennzahlen können noch größer sein.

In einer digitalen Sichtwahl stehen Bildschirme, wo bisher Arzneimittelpackungen standen. Statt Packungen sieht der Kunde Abbildungen, die allerdings größer als das Original und damit besser erkennbar sein können. Ob die Kunden schon so sehr an digitale Präsentationen gewöhnt sind, dass sie beim Beratungsgespräch auf den haptischen Kontakt zur Packung verzichten können und wollen, bleibt eine wesentliche Frage. Dafür ermöglicht die digitale Sichtwahl, dass an jedem HV-Arbeitsplatz jedes gespeicherte Produkt ohne Wartezeit präsentiert werden kann. Die Auswahl wird also viel größer und lässt sich für jeden Kunden steuern. Hinzu kommt die Möglichkeit, produktunabhängige Stimmungsbilder einzuspielen. Als sicherer Vorteil ist zu verbuchen, dass das arbeitsintensive Auffüllen der Sichtwahl, das Abstauben und Geraderücken der Packungen und die Verwaltung des Vorrats entfallen.

Veränderungen des Lagers

Neben die (weichen) Marketingaspekte treten insbesondere (harte) Ergebnisse der Lagerwirtschaft als Vorteile. Gunther Böttrich, einer der Pioniere auf diesem Gebiet und Gründer der promosi GmbH, beschrieb in einem Vortrag bei der diesjährigen Wirtschafts-Interpharm, wie die digitale Sichtwahl in Verbindung mit dem Kommissionierautomaten die Prozesse in seiner Burg Apotheke in Volkmarsen verändert hat. Das Ziel sei, dass das Personal möglichst nur noch bei der Abgabe Kontakt mit Packungen haben soll. Die Lagerhaltung bei Schnelldrehern sei reduziert und dafür die Lagerbreite vergrößert worden. Mit dem Kommissionierer könnten Schnelldreher öfter in eher geringen Mengen gekauft werden, ohne dass dies den Arbeitsaufwand erhöhe, und durch die digitale Sichtwahl seien auch für die Präsentation keine größeren Packungsmengen nötig.

Die Lagertiefe werde so durch den tatsächlichen Bedarf bestimmt und nicht durch den Personalaufwand. Die Packungszahl dürfe nur nicht auf null sinken. Der Bestellpunkt könne auf den Tagesbedarf abgesenkt werden. Neueinführungen würden schnell in das Lager aufgenommen und gegebenenfalls auch schnell wieder ausgelistet.

So entstehe ein kleineres Warenlager mit größerer Lagerbreite und damit besserer Lieferfähigkeit. Bei den bisherigen Sichtwahlprodukten sei der Warenwert von über 10.000 € auf gut 3.500 € gesunken und die durchschnittliche Lagerumschlagsgeschwindigkeit von 7 auf 14 gestiegen, berichtete Böttrich über seine Apotheke. Der Extremwert liege sogar über 50. Allerdings räumte Böttrich ein, dass der verkaufsfördernde Effekt der digitalen Sichtwahl nicht so groß sei, wie die Pharmaindustrie dies propagiere. Die Prozessvorteile seien wirksamer als die Mehrverkäufe.

Übertragbarkeit begrenzt

Wer diese Erfahrungen auf die eigene Apotheke übertragen will, sollte allerdings beachten, dass Böttrich über eine Apotheke mit zuvor 195 Sichtwahlartikeln in einer ländlich geprägten Region berichtet hat. Eine Apotheke mit größerer Sichtwahl kann auch bei herkömmlicher Präsentation eine größere Lagerbreite haben. Bei höheren Sichtwahlumsätzen kann die Packungszahl wahrscheinlich weniger stark gesenkt werden und die Ausgangswerte sind vermutlich bereits günstiger. Die Effekte auf das Lager können also nicht beliebig übertragen oder auf Apotheken mit größerem OTC-Anteil hochgerechnet werden. Außerdem wäre in einer Apotheke mit mehr Handverkaufsplätzen eine größere Investition nötig, um alle diese Arbeitsplätze mit einer digitalen Sichtwahl auszustatten.

Dr. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Dipl.-Kaufmann, Seeweg 5 A, 23701 Süsel, E-Mail: mueller-bohn@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(10):10-10