Prof. Dr. Reinhard Herzog
1,7 Mrd., gar 2 Mrd. €: Diese erkleckliche Summe – immerhin 85.000 € bis 100.000 € pro Betrieb – könnten die Apotheken nach Gerüchten über das anstehende Honorargutachten zu viel erhalten.Bisher ist das alles nur ein kräftiges Rauschen im Blätterwald. Ob dieses Gutachten zudem je das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird, daran hat der Autor seine Zweifel. Nicht, weil das dort Geschriebene Unsinn sein muss, sondern weil ein solches Gutachten, noch von einem Wirtschaftsminister einer mit sich um eine künftige Regierungsverantwortung ringenden Partei initiiert, zuerst einmal der internen Positionsbestimmung dienen wird. Verantwortliche Politiker sollten sich im eigenen Interesse tunlichst mit belastbaren Grundlagen für Diskussionen wappnen, die eben nicht in einer öffentlichen und interessengeleiteten Diskussion zerpflückt werden.
Doch wie könnten solche Werte, die in ersten Reaktionen als völlig abenteuerlich und abwegig bezeichnet wurden, überhaupt zustande kommen? Gehen wir also auf die Suche nach fast 2 Mrd. €!
Die Gewinnsituation. Während seitens der Standesorganisationen ein durchschnittlicher Vor-Steuer-Gewinn von 6,4% vom Nettoumsatz, entsprechend rund 143.000 €, je Apotheke herausgestellt wird – bei einem Rohgewinnsatz von 24,2% –, basiert die offizielle Richtsatzsammlung für 2016 auf einem Reingewinn von im Schnitt 8% bei 26% Rohgewinnmarge. Zwischen 500 Millionen und knapp einer Milliarde € Differenz können hier schlummern – was jedoch nicht zuletzt an der Definition von „Gewinn“ liegt.
Die reale Rx-Ertragslage. Auf der Ebene der Rx-Erträge redet die Standesseite gerne von „5 Mrd. € Honorar“, meint damit aber nur den Rx-Ertrag aus der GKV ohne eigene Rabatte. Insgesamt wirft der gesamte Rx-Bereich aber um 7 Mrd. € ab: 730 Mio. Rx-Packungen mal 7,10 € im GKV-/PKV-Durchschnitt, plus 3% auf annähernd 30 Mrd. € Einkaufsvolumen, plus eine ähnliche Größenordnung der eigenen Rabatte.
Allein durch solche sprachlichen Unschärfen können also schnell Differenzen in der kolportierten Höhe auftreten.
Das Thema „angemessener Gewinn“ und künftiges Versorgungsszenario. An diesem Punkt wird es kritisch und auch politisch. So kann man die Frage nach einem angemessenen Gewinn und zudem nach einer sinnvollen Apothekenanzahl stellen. Liegen z.B. die Hausärzte als eine wichtige Referenzmarke bei 150.000 € bis 160.000 € Praxisgewinn, könnte man den Apotheken nur beispielsweise 120.000 € als „Zielgewinn“ zugestehen. Begründen lässt sich das durchaus mit der therapeutischen und heilberuflichen Verantwortungsbreite und auch den heilberuflichen Qualifikationsanforderungen. Der Bildungsweg zum Arzt ist nun doch ein wenig länger und teurer … Sieht man dann noch die versorgungspolitisch erforderliche Apothekenzahl eher in einem Bereich von 12.500 bis 15.000 Betrieben, errechnen sich schnell Einsparpotenziale auf Ebene des Rohertrages im unteren Milliardenbereich.
Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es je nach Betrachtungswinkel schon anhand der oben skizzierten, keineswegs vollständigen Szenarien sehr wohl möglich ist, durchaus plausibel z.B. 1,7 Mrd. € aus dem System zu schütteln.
Hier gilt es, alles, was zu objektivieren ist, ehrlich aufzuhellen. Ganz vorne steht dabei die reale Gewinnsituation, für welche die Daten ja in der Finanzverwaltung vorliegen. Weiterhin gilt es, sich auf eine belastbare Datenbasis und übereinstimmende Begriffsdefinitionen zu einigen. Und über den Wert der eigenen Leistung sollte man sich ebenfalls durchaus selbstbewusst, aber auch realistisch Gedanken machen.
Was jedoch immer weniger fruchten wird, ist das Versteckspielen und Taktieren mit Teilwahrheiten. Wer für neue Vergütungsmodelle in den Ring steigen will, muss sich jetzt wohl auf ein besser informiertes und für kritische Punkte sensibilisiertes Gegenüber gefasst machen. Wenn wir hier keine erstklassigen Kämpfer aufbieten können, blasen wir die Begegnung besser ab und geben uns vorerst mit dem Bisherigen zufrieden.
Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(23):19-19