Karin Wahl
Der Apotheker als eingetragener Kaufmann/Kauffrau ist bilanzpflichtig und muss somit einmal jährlich eine körperliche Inventur des Warenlagers und des Inventars erstellen. Nach §240 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) ist die Inventur zum Ende eines jeden Geschäftsjahres durchzuführen. Das Geschäftsjahr kann dabei entweder dem Kalenderjahr entsprechen oder davon abweichen.
Letzteres ist einerseits vorteilhaft für die Inventur: Im Sommer ist das Warenlager saisonbedingt kleiner als in der Erkältungssaison am Ende des Kalenderjahres. Wenn Sie also Ihr Geschäftsjahr z.B. am 30.06. eines Jahres enden lassen, müssen Sie nicht so viel Zeit und „Manpower“ für die Inventur aufbringen. Nachteilig ist andererseits, dass Sie alles auf das Kalenderjahr umrechnen müssen, wenn Sie an den jährlichen Betriebsvergleichen teilnehmen möchten.
Bleiben Sie Inhaber? Oder verkaufen Sie?
Bei der Inventur müssen Sie sorgfältig nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung vorgehen. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Wenn Sie weiterhin Inhaber der Apotheke bleiben, lassen sich Bestandsfehler in der Warenwirtschaft, die nicht gleich erkannt werden, leichter handhaben: Sie können sie nämlich durch eine Korrektur im neuen Geschäftsjahr ausgleichen.
Soll die Apotheke aber verkauft werden, wird Ihr potenzieller Nachfolger genau überprüfen, ob der derzeitige Bestand korrekt erfasst ist. Schließlich bemisst er am Bestand den Preis für das Warenlager. Zur Verdeutlichung ein Beispiel.
Beispiel: Korrekter Lagerwert bei Apothekenverkauf?
Der Inhaber einer Apotheke mit 1,8 Mio. € Nettoumsatz erkrankte plötzlich so schwer, dass eine Rückkehr in die Apotheke ausgeschlossen war. Somit wurde nach dem Gespräch mit dem Steuerberater, der Hausbank und einem Apothekenberater beschlossen, die Apotheke zu verkaufen. Ein potenzieller Käufer fand sich schnell.
Die Apotheke war modern eingerichtet und verfügte über einen Kommissionierer, der erst zwei Monate zuvor angeschafft worden war. Laut Steuerberater bewegte sich der Wert des Warenlagers in der Größenordnung von 75.000 €. Der Hauptwarenwert befand sich im Kommissionierer.
Im laufenden Betrieb zeigten sich häufig Fehlbestände, die der Apothekenberater auf die allein für die Warenwirtschaft verantwortliche PKA zurückführen konnte. Diese PKA war mit der Bedienung des Kommissionierers völlig überfordert und führte auch die Warenannahme offensichtlich nicht korrekt durch. (Darum merke: Jeder Computer kann nur so gut sein, wie der, der ihn bedient!)
Mit dem potenziellen Käufer wurde für den 31.12. ab 13:00 Uhr eine gemeinsame körperliche Inventur vereinbart. Die Inventurlisten wurden gleich nach Schließung der Apotheke ausgedruckt, verteilt und bearbeitet. Bereits für die Frei- und Sichtwahl zeigten sich Differenzen zwischen Liste und tatsächlichem Bestand. Das ganze Chaos wurde offenbar, als stichprobenartig hochpreisige Artikel vom Kommissionierer angefordert, jedoch nicht (immer) ausgegeben wurden. Der potenzielle Käufer erklärte daraufhin, vom Verkauf zurücktreten zu wollen, wenn nicht bis 23:30 Uhr eine korrekte Inventur vorliegen würde.
Der Apothekenberater entleerte daraufhin den Kommissionierer vollständig und bestückte ihn neu. Um 23:00 Uhr konnte er den tatsächlichen Wert des Warenbestands feststellen: Er betrug 55.000 €. Der Kaufvertrag wurde um 23:45 Uhr von allen Beteiligten unterschrieben. Dieses Beispiel zeigt, dass Fehlbestände (beinahe) zum Scheitern eines Apothekenverkaufs führen können.
Wie lässt sich die Fehlerhäufigkeit verringern?
Solche Beispiele kommen im Apothekenalltag leider immer wieder vor. Dabei kann die Häufigkeit derartiger Fehler bereits durch eine entsprechende Vorbereitung verringert werden. Hierzu bietet sich z.B. eine sogenannte „permanente Inventur“ an: Lassen Sie jeden Morgen mit dem Start des Computers zwei oder drei Seiten der fortlaufenden Inventurliste ausdrucken. Die Seitenzahl kann – abhängig von der Arbeitsbelastung – in den umsatzstarken Monaten erniedrigt und in den Sommermonaten erhöht werden. Achten Sie darauf, dass Ihre Mitarbeiter die Listen sofort bearbeiten, abzeichnen und chronologisch in einem „Inventurordner“ abheften. Zwar schützt auch diese Methode – gerade weil sie im laufenden Betrieb durchgeführt wird – nicht vor Bedienerfehlern. Aber sie verringert die Häufigkeit solcher Fehler, weil man zumindest bei einem kleineren Warenlager die Bestände unter Umständen zweimal jährlich durchcheckt.
Die Bearbeitung solcher Listen ist ohne Frage unbeliebt. Allerdings stellt sie die einzige Methode dar, um die tatsächlichen Werte zu erfassen: Denn schließlich wird die Ware hier in die Hand genommen.
„Kritische Artikel“ regelmäßig überprüfen
Bei unterjährigen Kontrollen muss natürlich auch die Wirtschaftlichkeit beachtet werden. Jedem wird einleuchten, dass hier Prioritäten in Abhängigkeit vom Artikelwert zu setzen sind: Denn der Fehlbestand eines Artikels mit einem Einkaufspreis (EK) von 1.850,30 € wirkt sich finanziell schlimmer aus als derjenige einer Rolle Traubenzucker mit einem EK von 0,55 €!
Deshalb sollten Sie – neben der fortlaufenden Inventurliste – eine Reihe von Listen mit fest definierten Artikeln regelmäßig und in kürzeren Abständen (z.B. von einem Monat oder einem Vierteljahr) überprüfen. Erfahrungsgemäß sind dabei Artikel mit folgenden Eigenschaften besonders zu berücksichtigen:
- Verfall <1 Jahr,
- kein Abverkauf in den letzten 200 Tagen,
- EK zwischen 40,00 € und 99,99 € sowie Bestand >1,
- EK >100,00 €,
- „Nester“ von Saisonartikeln am Ende der Saison,
- Lagerbestand >10 sowie
- Überbestände bei Rx-Präparaten generell (wegen sich ändernder Rabattverträge).
Dies gilt vor allem, weil sich die Rücknahmebereitschaft sowohl der Firmen als auch des Großhandels sehr zum Nachteil der Apotheken verändert hat.
In Ihrer Apotheken-EDV finden Sie bereits einige vorgefertigte Listen. Zusätzlich können Sie mithilfe Ihres EDV-Anbieters je nach Bedarfssituation auch noch eigene Listen erstellen.
Wenn Sie noch nicht mit der allerneuesten Technologie und mit einem Kommissionierer arbeiten, bietet es sich an, die Lagerorte der einzelnen Artikel in die EDV einzugeben:
- Generalalphabet,
- Kühlschrank,
- Keller,
- Sichtwahl,
- Freiwahl, generell oder untergliedert in Bonbons, Körperpflege/Kosmetik und Schütten.
Damit lassen sich auch für diese Lagerorte leicht Listen erzeugen.
Nur wenn Sie auch unterjährig einen detaillierten Überblick über Ihr Warenlager haben, können Sie Verluste durch Verfall oder nicht erkannte Ladenhüter vermeiden. Und die eigentliche Inventur wird wesentlich weniger aufwendig sein.
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(23):8-8