Prof. Dr. Reinhard Herzog
Was waren das noch für Zeiten: Die Summen auf den begehrten „100-D-Mark-Rezepten“ wurden rot eingerahmt, addiert wurde im Kopf. Heute liegt bereits der durchschnittliche Rezeptwert weit höher. Rechner begannen sich seinerzeit jedoch schon mit zunehmendem Tempo durchzusetzen. Trotzdem dominierte das Katalog- und Listenwälzen.
Eine Million Mark galten als kritische Apotheken-Umsatzgrenze. Die Spannen bewegten sich regelhaft oberhalb der 30%-Marke. Die aufkommenden Center-Apotheken – die Aufreger unter den damaligen Kollegen – schafften weit über 35%. Die Kosten lagen aber ebenfalls meist über der 20%-Marke, die damals als „Benchmark“ galt. Trotzdem waren Renditen von um oder über 10% üblich – allerdings auf einer ganz anderen Umsatzbasis. Wir reden hier nicht von den „ganz alten“ Zeiten, sondern von den „etwas älteren“, durchaus aber schon moderneren, also den 1980er und frühen 1990er Jahren.
Marketing war noch weitgehend verpönt, rückte bei den aktiveren Kollegen aber immer mehr in den Fokus. Schließlich hatte die Apothekenzahl beträchtlich zugenommen und tat es auch immer noch. Im „wilden Osten“ entstand nach dem Fall der Mauer ein neues Spielfeld, welches von allerlei interessanten Akteuren genutzt wurde. Im Westen war die Konkurrenzlage bereits immer drückender geworden, angefacht durch die ersten spürbaren Gesundheitsreformen und ein kontinuierliches Beschneiden der Renditen. Die Angst vieler gut gehender Apotheken schlechthin war eine Neugründung gegenüber: Selbst in verschlafenen, landschaftlich reizvollen 5.000-Einwohner-Örtchen eröffnete irgendein Kollege oder eine Kollegin eine Apotheke. Der Begriff „Hobby-Apotheke“ machte die Runde. Es war die Glanzzeit von bunten Gestalten in Form von Maklern und „Standortentwicklern“ sowie von einigen Prä-Ketten-Experimenten, deren Altlasten bis in die heutige Zeit hineinragen. Heute bejammern wir die Schließungen.
Aus einer 2-Mio.-Mark-Apotheke, Mitte der 1990er Jahre immer noch eine „gute“ Apotheke, holte man seine 200.000 DM Gewinn heraus, seinerzeit noch mit 53% Spitzensteuersatz belegt – plus „Soli“ nach der deutschen Einheit. Die Gewerbesteuer war noch eine Steuer, die – wenn auch als Betriebsausgabe absetzbar – netto richtig weh tat. Heute läuft sie für die Apotheken im Wesentlichen durch.
Bei einer vergleichbaren heutigen Apotheke mit um 2,3 bis 2,5 Mio. € Umsatz sind rund 150.000 € Gewinn realistisch, teils mehr – mit 42% Spitzensteuersatz plus „Soli“ und einer angerechneten Gewerbesteuer. Netto unter dem Strich ist das nicht schlechter, selbst nach Inflation gerechnet. Heute ist dieses Geld jedoch vielfach eher zu einem „Schmerzensgeld“ geworden, angesichts der grotesken Regulierungs- und Bürokratiedichte sowie der vielen Tätigkeiten, die alles andere als vergnügungssteuerpflichtig sind und so rein gar nichts mit unserer eigentlichen Pharmazie zu tun haben. Wohlstand, Stimmung und Zufriedenheit messen sich eben nicht nur an monetären Kenngrößen.
So markieren gerade die 1980er Jahre in vielerlei Hinsicht eine Art Zenit. Ob allgemeiner Lebensstandard, das Niveau unserer Autos als traditionell bedeutendstem Zweig unserer Industrie, der sonstige technische, soziale und auch Gesundheits-Standard – im Grunde gab es wenig zu bekritteln. Die Probleme der Welt waren weit weg, Asien oder Südamerika noch weit zurückliegend, Afrika ein Thema bei „Brot für die Welt“ und bei Spendenaktionen, aber eben noch lange nicht direkt vor der eigenen Haustür ankommend.
In den konjunkturell trüberen, späteren 1990er Jahren dominierten dann aber „Lean-Management“, die Globalisierung sowie die Aus-/Verlagerung von Arbeitsplätzen und Fabriken die Schlagzeilen. Grenzen verschwammen zunehmend, nicht nur physisch, sondern auch per Computer. Der Siegeszug der Vernetzung bzw. des Internets begann und nahm eine immer höhere Schlagzahl auf.
Heute, zehn Jahre nach der größten Finanzkrise der Nachkriegsära, hat man mit viel Aufwand die Ballons wieder bis zum Platzen gefüllt. War also früher alles besser? Aus heutiger Sicht nicht unbedingt. Aber unterhalten wir uns noch einmal, wenn die Ballons wieder geleert werden müssen, ob mit einem Knall oder nur sachte-vorsichtig!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(08):19-19