Rückabgewickelte Darlehen

Steuerlich weiterhin alles offen


Helmut Lehr

"Einigen" sich Darlehensgeber und -nehmer im Wege des Vergleichs auf die Rückabwicklung eines bestehenden Kreditverhältnisses, leistet die Bank nicht selten einen finanziellen Ausgleich. Wie solche Zahlungen steuerlich zu behandeln sind, ist nach wie vor unklar.

In der jüngeren Vergangenheit wurden zahlreiche Darlehen insbesondere wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrungen rückabgewickelt. Die Abrechnung ist dann meist sehr komplex, da gleich eine ganze Reihe gegenseitiger Ansprüche/Positionen miteinander aufgerechnet werden. Gewähren die Banken in diesem Zusammenhang auch eine "Entschädigung", stellt sich die Frage, wie diese Beträge steuerlich einzuordnen sind. Die Finanzverwaltung sieht darin (natürlich) regelmäßig Kapitaleinkünfte. Entsprechendes hat das Bundesfinanzministerium bereits verfügt (Schreiben vom 12.04.2018, AZ: IV C 1 – S 2252/08/ 10004 :21).

Hinweis: Auch der Gesetzestext ist eher weit gefasst. Denn nach § 20 Absatz 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz "sind Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art steuerpflichtig" [...] – unabhängig von der Bezeichnung und zivilrechtlichen Ausgestaltung.

Das Finanzgericht Köln hat in seinem Urteil vom 15.12.2020 (AZ: 5 K 2552/19) entschieden: "Zahlt eine Bank nach Widerruf des Darlehens durch den Darlehensnehmer als Ersatz für Nutzungsvorteile, die sie aus laufenden Zins- und Tilgungszahlungen bezogen hat, einen Vergleichsbetrag, ist dieser als Kapitalertrag steuerpflichtig."

Hinweis: Nach Ansicht des Gerichts ist es insbesondere nicht möglich, die aufgrund des Vergleichs gezahlte "Entschädigung" teilweise als nicht steuerbare Rückzahlung überhöhter Darlehenszinsen zu beurteilen, sofern zivilrechtlich ausschließlich Nutzungsersatz eingeklagt worden ist.

Auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat in seinem Urteil vom 27.01.2021 (AZ: 2 K 1590/18) entsprechend entschieden. In diesem Streitfall schuldete die Bank als Darlehensgeber zivilrechtlich gemäß §346 Absatz 1 BGB die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen bzw. Nutzungsersatz gemäß §346 Absatz 2 BGB.

Hinweis: Das Finanzgericht Hessen hatte bereits mit Urteil vom 06.11.2018 (AZ: 12 K 1328/17) entschieden, dass der einen Darlehensvertrag widerrufende Darlehensnehmer wirtschaftlich (faktisch) einem Kapitalanleger gleichsteht, sofern er von der Bank entsprechende Einnahmen erhalten hat.

Entschädigung zumindest teilweise "steuerfrei"

In einem weiteren Urteil hat sich das Finanzgericht Köln zumindest für eine Aufteilung ausgesprochen bzw. streng nach zivilrechtlichen Grundsätzen entschieden (vgl. dazu das Urteil vom 14.08.2019, AZ: 14 K 719/19). In diesem Streitfall war der Vergleichsbetrag teilweise als Nutzungsersatz und teilweise als Rückerstattung von zu viel bezahlten Zinsen geleistet worden. Das Gericht entschied, dass die Rückerstattung überhöhter Darlehenszinsen nicht der Einkommensteuer unterliegt (vgl. AWA 2/2020).

Zu einer gänzlich anderen Entscheidung ist das Finanzgericht Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 8.12.2020 (AZ: 8 K 1516/18) gelangt. Erhält demnach ein Darlehensnehmer im Rahmen der Rückabwicklung ein Nutzungsentgelt für von ihm bereits erbrachte Tilgungsleistungen, erzielt er damit keine steuerbaren Kapitalerträge, wenn nach Abrechnung aller gegenseitiger Ansprüche aus dem Kreditverhältnis unterm Strich eine Zinsbelastung für den Darlehensnehmer verbleibt.

 

Kernaussage des Finanzgerichts Baden-Württemberg:

"Das Darlehensverhältnis und die Rückabwicklung sind als eine Einheit zu betrachten mit der Folge, dass die Rückabwicklung zu einer Reduzierung der Zinslast des Darlehensnehmers führt! Wie der Zahlungsanspruch der Bank (Restforderung) aus der Rückabwicklung berechnet wurde und welche zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen berücksichtigt wurden, ist für die steuerliche Behandlung unerheblich."

 

Das baden-württembergische Finanzgericht weist mit guten Gründen darauf hin, dass der Nutzungsersatz gemäß § 346 Absatz 1 BGB keine Vermögensmehrung aufgrund einer entgeltlichen Kapitalüberlassung sein kann, wenn sich unter Berücksichtigung aller gegenseitigen Zahlungen im Rahmen des Darlehensverhältnisses (und seiner Rückabwicklung) für den Darlehensnehmer überhaupt keine Vermögensmehrung ergeben hat. Die von der Bank zu leistende Nutzungsentschädigung sei vielmehr nur ein der interessengerechten Rückabwicklung dienender Berechnungsposten.

Hinweis: Insbesondere kommt – zumindest nach dieser Entscheidung – auch keine Aufspaltung des Sachverhalts in (jeweils) gegenläufige Kapitalüberlassungen in Betracht.

Aufgrund der teils völlig unterschiedlichen Finanzrechtsprechung sind zurzeit (zumindest) die in der nachfolgenden Tabelle genannten Verfahren vor dem Bundesfinanzhof anhängig:

Wie die Verfahren ausgehen, ist derzeit offen. Bis zu einer abschließenden Entscheidung durch den Bundesfinanzhof sollten Sie die Versteuerung etwaiger Entschädigungen, die Ihnen von der Bank im Zusammenhang mit einer Darlehensrückabwicklung "gutgeschrieben" wurden, jedenfalls nicht ohne Weiteres akzeptieren. Es empfiehlt sich, nach Rücksprache mit Ihrem Steuerberater den entsprechenden Einkommensteuerbescheid offen zu halten.

Hinweis: Da bereits verschiedene Fälle beim Bundesfinanzhof anhängig sind, können Sie "kurz und bündig" ein Ruhen Ihres Einspruchsverfahrens beantragen, sodass Ihnen zunächst keine Gerichtskosten entstehen.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(02):16-16