Interview mit Miriam Oster, Apothekeninhaberin in Oberursel

"Der Staat muss nicht alles absichern!"


Dr. Hubert Ortner

Miriam Oster ist Apothekerin aus Leidenschaft, zugleich aber auch experimentierfreudige Unternehmerin: Ob PoC-PCR-Tests oder Impfen gegen SARS-CoV-2 – ihre Erfolgsdevise lautet anpacken statt zögern und vorangehen statt jammern. Damit ist sie bislang sehr gut gefahren.

Miriam Oster: "Eines sollten wir uns stets bewusst sein: Es ist nicht sicher, dass die Vor-Ort-Apotheken als flächendeckende Institution zur wohnortnahen Arzneimittelversorgung automatisch überleben werden."

Frau Oster, als Sie beschlossen haben, PCR-Tests anzubieten, zielten Sie ausschließlich auf Selbstzahler. Gibt es selbst inmitten in der vierten Corona-Welle immer noch genügend Reiselustige, dass Ihre Kalkulation aufgeht?

Oster: Auf jeden Fall. Neben den "Reiselustigen" gibt es ja noch eine zweite Zielgruppe – das sind Menschen, die auf Nummer sicher gehen wollen, wenn sie z.B. ihre Eltern besuchen. Deutsche sind ja bekanntermaßen sehr auf Sicherheit bedacht. Natürlich kommt uns entgegen, dass in Oberursel auch die Klientel lebt, die sich das leisten kann.

30 € sollten Apotheken für PoC PCR-Tests ursprünglich bekommen. Lag dieser noch nicht einmal kostendeckende Wert an der guten Lobbyarbeit der Laborärzte oder der bescheidenen Performance der ABDA?

Oster: Um ehrlich zu sein, tippe ich auf Letzteres. Dahinter sehe ich ein grundsätzliches Problem: Wenn Apotheken und ihre Standesvertretung ständig jammern, dann finden sie auch mit berechtigten Forderungen kein Gehör.

Wobei die Faktenlage klar ist, und niemand ernsthaft erwarten kann, dass Apotheker den Differenzbetrag aus eigener Tasche bezahlen.

Oster: Tatsächlich lege ich bei einer Vergütung von 30 € etwa 15 € je PoC-PCR-Test drauf. Dafür kommen aber alle nachher wieder in unser Testzentrum zum Nachtesten, zum Teil mehrfach. Wir sind als Apotheker doch Kaufleute: Da muss man auch mal mutig sein und etwas ausprobieren. Das ständige Gejammer hilft niemandem weiter.

Jetzt sollen es doch 40 € bis 45 € für vergütete PoC-PCR-Tests in Apotheken werden. Geht die Rechnung damit auf?

Oster: Abhängig vom Gerät und Durchsatz sollte das dann zumindest kostendeckend sein. Ich würde es aber so oder so machen, weil ich neue Erfahrungen sammeln möchte. Was spricht dagegen, das Testangebot in der Offizin grundsätzlich stärker auszubauen? Es gibt bereits fertige Testkits für PoC-PCR-Tests u.a. gegen FSME und Borreliose.

Außerdem machen solche neuen Angebote die Apotheke als Arbeitsplatz gerade für Jüngere wieder attraktiver. Ich habe kein Problem, Mitarbeiter zu finden – es spricht sich herum, wenn man immer wieder etwas Neues ausprobiert.

"Es ist unstrittig, dass wir auf mittlere Sicht eine strukturelle Verbesserung bei der Apotheken-Vergütung brauchen. Ich hoffe, dass Herrn Lauterbach bewusst ist, wie dringend wir als Gesellschaft die Vor-Ort-Apotheken brauchen – und dass er dann konsequenterweise auch bereit ist, etwas für sie zu tun, bevor es sie nicht mehr gibt."

Wie geht man bzw. frau als Apothekerin mit dem "Vergütungs-Roulette" um, das sich mitunter im Wochentakt ändert?

Oster: Mehr Verlässlichkeit und eine bessere Planbarkeit wären in der Tat sehr wünschenswert: Man bewegt sich ja schon oft im Nebulösen. Ich persönlich komme damit recht gut zurecht, weil ich von Natur aus kein ängstlicher Mensch bin – andere tun sich damit schwer. So habe ich beispielsweise, als sich im letzten Frühjahr abzeichnete, dass es zu Lieferengpässen kommen könnte, spontan meinen Rx-Lagerbestand verdoppelt. Wir hatten damals sicher auch Glück, dennoch bin ich überzeugt: Der Staat muss nicht alles absichern!

Erinnern wir uns noch an die Pauschalvergütung zur Versorgung besonders vulnerabler Zielgruppen mit FFP2-Masken zu Beginn der Pandemie? Die ist auch dann geflossen, wenn Apotheken keine einzige Maske verteilt haben – und das waren keine kleinen Summen ...

"Außer in ärztliche Hände kann die Spritze gegen Corona doch nur in die Hand des Apothekers gehören – das haben ja auch andere Länder gezeigt. Und eine 'Online-Impfung' gibt es bislang meines Wissens ja noch nicht ..."

Themenwechsel. Was hat Sie dazu motiviert, sich mit Ihren beiden Apotheken in die Impfkampagne gegen SARS-CoV-2 einzuklinken?

Oster: Zum einen haben unsere Kunden das einfach erwartet und fragen auch schon länger danach. Zum anderen will ich allen zeigen, dass wir das als Apotheker auch wirklich können. Ich denke, man muss seine Daseinsberechtigung als Vor-Ort-Apotheke immer wieder neu unter Beweis stellen.

Außer in ärztliche Hände kann die Spritze gegen Corona doch nur in die Hand des Apothekers gehören – das haben ja auch andere Länder gezeigt. Und eine "Online-Impfung" gibt es bislang meines Wissens ja noch nicht …

Ich fände es klasse, wenn möglichst viele Apotheker gegen Corona impfen und wir in Zukunft auch die Grippeimpfung machen würden. Bei Influenza herrscht eine große Unwilligkeit in der Bevölkerung, sich impfen zu lassen – gerade hier könnte ein niedrigschwelliges Angebot den Unterschied machen.

Werden die Flexibilität sowie das hohe Engagement der Apotheken während der Pandemie von den Kunden entsprechend wahrgenommen und geschätzt?

Oster: Das wird definitiv wahrgenommen. Ich höre es täglich von unseren Kunden, wie toll sie es finden, dass wir uns so stark engagiert haben. Ich sehe die Pandemie – bei allem Tragischen daran – tatsächlich als eine Riesenchance für die Apotheken, die wir unbedingt ergreifen müssen.

Eine Chance konkret worauf …?

Oster: Dass wir als Vor-Ort-Apotheken relevant bleiben – auch nach Abklingen der Pandemie. Wir sollten alles dafür tun, dass wir auch in Zukunft eine zentrale, unverzichtbare Säule einer wohnortnahen Gesundheitsversorgung bleiben. Relevant zu bleiben, war schon vor 25 Jahren das zentrale Thema. Damals war die Sorge noch: Werden uns die Ketten und Versender vom Markt verdrängen? Eines sollten wir uns stets bewusst sein: Es ist nicht sicher, dass die Vor-Ort-Apotheken als flächendeckende Institution zur wohnortnahen Arzneimittelversorgung automatisch überleben werden.

Um langfristig relevant zu bleiben, braucht es zwingend auch eine relevante Vergütung. Inwiefern haben die Corona-Sondereffekte der letzten beiden Jahre die strukturellen Defizite in der Apothekenvergütung kaschiert? Brauchen wir eine strukturelle Vergütungs-Reform?

"Wenn Apotheken und ihre Standesvertretung ständig jammern, dann finden Sie auch mit berechtigten Forderungen wie jetzt nach einer angemessenen Vergütung von PoC-PCR-Tests kein Gehör. Wir sind doch auch Kaufleute: Da muss man auch mal mutig sein und etwas ausprobieren!"

Oster: Es ist unstrittig, dass wir eine strukturelle Verbesserung bei der Apotheken-Vergütung brauchen. Die Löhne steigen, die Inflation ist so hoch wie lange nicht mehr – das lässt sich nur über eine Verbesserung auf der Einnahmenseite kompensieren. Ich kann nur dann gute Gehälter zahlen, wenn ich das auch selbst erwirtschafte. Prof. Lauterbach hat zumindest ein gutes Gespür für den Gesundheitsmarkt. Ich hoffe, dass ihm bewusst ist, wie dringend wir als Gesellschaft die Vor-Ort-Apotheken brauchen – und dass er dann auch bereit ist, etwas für sie zu tun, bevor es sie nicht mehr gibt.

Das Interview führte Dr. Hubert Ortner

 

Da geht was: Bis zu 15.000 Corona-Schnelltests pro Monat

Miriam Oster ist Inhaberin der Columbus-Apotheke in Oberursel sowie der Alexander-Apotheke in Frankfurt. Schon früh in der Corona-Pandemie – im Herbst 2020 – hat sie ein 100 qm großes Testzentrum für Antigen-Schnelltests in Oberursel eröffnet. Dort werden von mehreren Vollzeit- und vielen Teilzeitkräften bis zu 500 Antigen-Schnelltests täglich durchgeführt, die Leitung des Zentrums hat ein Chemiker inne. Vor vier Monaten hat Frau Oster zusätzlich drei PCR-Geräte sowie vor Kurzem auch eine Pool-PCR-Maschine angeschafft. Damit werden in Oberursel bis zu 70 PoC-PCR-Tests auf SARS CoV-2 durchgeführt – zum überwiegenden Teil für Selbstzahler (Preis 98 €). Abhängig vom Honorar dürften in Zukunft auch vergütete PCR-Tests nach der Corona-Testverordnung stärker in den Fokus rücken.

Zudem stehen Miriam Oster und ihr Team bereits in den Startlöchern für die Impfung gegen SARS CoV-2: Alle sieben Approbierten in ihren beiden Apotheken werden sich daran beteiligen und wurden bereits geschult. Geimpft werden soll sonntags in den Apothekenräumen – damit möchte man den Kunden ein möglichst niedrigschwelliges Impfangebot unterbreiten.

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(04):10-10