Dr. Eva Stüber
Der Online-Turbo wurde in Deutschland durch die Pandemie richtig gezündet. Während der Online-Handel im ersten Corona-Jahr 2020 insgesamt um 14,9 Mrd. € gewachsen ist, erreicht Amazon allein einen Zuwachs von 11,4 Mrd. €. Somit greift der US-Konzern 77% der unglaublichen Online-Dynamik ab – und lässt dem restlichen Online-Handel gerade noch 3,5 Mrd. € an zusätzlichem Umsatz. Damit entfallen mittlerweile 53% des Online-Handels hierzulande auf Amazon. Klarer Treiber ist dabei das immense Marktplatzwachstum, das 2020 bei 41% lag, während der Amazon-Eigenhandel "nur" um 22% gewachsen ist.
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Kundenzentrierung at its best
Entscheidend für diese Erfolgsgeschichte ist die konsequent umgesetzte Kundenzentrierung: 46,2 Millionen Amazon-Kundinnen und -Kunden gibt es in Deutschland, was 94% der Online Shopper entspricht. Bequemlichkeit ist der größte Treiber: Kunden sind bereit, 11 € bis 15 € für die Nutzung von Amazon zu zahlen – ohne Prime-Leistungen! Weiterhin profitiert Amazon von der strategisch gelegten Basis. So haben sich im "Spinnennetz" Prime 22 Mio. Kundinnen und Kunden hierzulande verfangen, die für 70% der Umsätze stehen.
Die Superlative enden an dieser Stelle nicht: Durch das Wachstum und die generierten Umsätze steht Amazon inzwischen für 10% des gesamten Non-Food-Einzelhandels. Zudem sind weitere Handelsumsätze durch Vorabinformationssuche beeinflusst, nämlich stolze 25%.
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Ein Detailblick in einzelne Branchen verdeutlicht das exakte Ausmaß: So sind beispielsweise in der Kategorie Consumer Electronics & Elektro weniger als 30% der Umsätze von Amazon unabhängig. In der Kategorie Wohnen & Einrichten entfallen zwar "nur" 7% der Umsätze auf Amazon – weitere 28% werden aber durch Recherchen bei Amazon beeinflusst. Herausfordernd für die anderen Handelsakteure ist hierbei nicht nur der automatische Lock-in-Effekt, sondern das generell "amazonisierte" Konsumentenverhalten. Diese neuen Gesetzmäßigkeiten gilt es zu berücksichtigen.
Amazonisierung = höhere Kundenerwartungen
Die Amazonisierung des Konsums wirkt naturgemäß auch bei der breiten Mehrheit der Apothekenkunden. Die Hälfte von ihnen besorgt Arzneimittel auch bei Versendern, wie z.B. DocMorris oder Shop-Apotheke. Und von denen, die Medikamente bislang nur in Vor-Ort-Apotheken beschaffen, kaufen zwei Drittel mindestens einmal pro Monat im Internet ein – wenn auch keine Arzneimittel. Rund 20% tun dies sogar wöchentlich. Und wer online shoppt, der kauft im Regelfall (auch) bei Amazon ein. Insofern entfaltet die Amazonisierung des Konsums ihre Wirkung auch im Kontext der Arzneimittelversorgung.
Das veränderte Konsumentenverhalten äußert sich auch in der wachsenden Bedeutung von Amazon als Produktsuchmaschine sowie der Kundenrezensionen auf dem Portal. Und das unabhängig davon, ob es sich um Amazon-Kundinnen und -Kunden handelt oder nicht. Hieraus erwachsen neue Anforderungen an Apotheken – sowohl bezogen auf das Online-Geschäft als auch hinsichtlich der Performance vor Ort. Denn die Amazonisierung des Konsums geht mit einer stetig wachsenden Erwartungshaltung einher. Insbesondere werden Konsumenten fordernder bei Aspekten rund um "Transparenz" und "Bequemlichkeit". Hinweise zu Produktverfügbarkeiten und Lieferzeiten werden dabei sowohl im Online- als auch im Offline-Geschäft schnell zu Basisanforderungen. Gleiches gilt für Liefer- bzw. Botendienste.
Starker Veränderungsdruck
Die Amazonisierung des Konsums wird weiter voranschreiten und auch den Apothekenmarkt nachhaltig beeinflussen. Die Online-Umsätze bei Amazon selbst, aber auch bei klassischen Arzneimittelversendern sowie im Online-Geschäft von Vor-Ort-Apotheken und entsprechenden Plattformen werden wachsen. Zudem treten infolge der zunehmenden Online-Affinität und der branchenübergreifend wachsenden Beliebtheit von Lieferdiensten sukzessive neue Akteure in den Wettbewerb um schnelle Arzneimittelieferungen ein.
Jüngstes Beispiel: Das Berliner Start-up Cure. Bemerkenswert in diesem Kontext: Die kürzlich erfolgte Übernahme der niederländischen Online-Apotheke Disapo durch die Parfümeriekette Douglas. Und Amazon denkt (natürlich) – zumindest in den USA – schon wieder etwas größer, schneller und weiter und hat bereits 2018 die auf patientenindividuelle Verblisterungen spezialisierte Versandapotheke PillPack gekauft und sie 2019 in "PillPack by Amazon Pharmacy" umbenannt.
Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, dass Sie sich als Apothekenleiter/in eingehend mit der Amazonisierung des Konsums und den Folgen für Ihr Geschäft auseinandersetzen, zumal E-Rezept (wenngleich verschoben), Online-Plattformen und Lieferdienste den Veränderungsdruck hoch halten werden. Eine bloße Online-Offline-Diskussion greift an dieser Stelle aber zu kurz: Vielmehr rückt die Amazonisierung des Konsums das gesamte "Mindset" der Marktbearbeitung in den Fokus, insbesondere die Art und Weise, wie Apotheken dem von Amazon gelebten Gebot der "Kundenzentrierung" ihrerseits begegnen.
Dr. Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung, IFH Köln, 50858 Köln, E-Mail: e.stueber@ifhkoeln.de
Dr. Markus Preißner, wissenschaftlicher Leiter, IFH Köln, 50858 Köln, E-Mail: m.preissner@ifhkoeln.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(05):10-10