Prof. Dr. Reinhard Herzog
Blicken wir zuerst auf die sich abzeichnenden Zukunftsentwicklungen. Selbst (oder gerade?) Hochqualifizierte sehen sich perspektivisch immer leistungsfähigeren technischen Möglichkeiten gegenüber, insbesondere "künstlich-intelligenten" IT-Systemen, die sogar manch "kognitive Dienstleistung" zu kapern vermögen. Abgabeautomaten könnten Apotheken (teil-)ersetzen. Der Versandhandel macht weiter Druck. Wir sehen verstärkt teure, individualisierte Spezialtherapien, die nicht mehr über den Apothekentisch gehen. "Predictive analytics" hat das Potenzial, Krankheiten noch vor ihrer klinischen Manifestation abzufangen, was nebenbei die Zukunftsbedeutung von Tests und Diagnostika für die Apotheke illustriert. Dagegen nimmt sich der reine demografische Überalterungseffekt erstaunlich bescheiden aus – durch ihn erwartet uns nur ein geringes Marktwachstum von unter 1% pro Jahr.
Können neue Dienstleistungen die Apotheken weiterbringen? Der Gesetzgeber hat die Tür dazu im Umfang von rund 150 Mio. € jährlich – pro Apotheke um 8.000 € – aufgestoßen. Was die konkreten Leistungen angeht, reden wir noch von einer "Blackbox". Diese Summen retten keine Apotheke und stehen unter dem Vorbehalt des zu tätigenden Aufwandes.
Packungserträge dominieren heute wie morgen
Mit Blick auf die reinen Ertragsrelationen lässt sich unschwer erkennen, dass der aktuelle Produktverkauf – ganz vorne die Rx-Produkte – mit einem heute schon erheblichen, aber nicht klar benannten Dienstleistungs- und Beratungsanteil Roherträge einspielt, die nicht im Entferntesten mit den momentan realistischen neuen Dienstleistungen kompensiert werden können. Die beispielhaften und aus heutiger Betrachtung optimistisch-realistisch erscheinenden Dienstleistungen der Abbildung 1 wären in dieser Summe schon das höchste der Gefühle. Deshalb ist es standespolitisch prioritär, eine Erosion der Packungserträge zu vermeiden, zumal einige der neuen Leistungen das Potenzial zur (volkswirtschaftlich und therapeutisch sinnvollen) Optimierung des Arzneimitteleinsatzes haben, was aber Einbußen im Kerngeschäft bescheren kann und damit einer zusätzlichen Kompensation bedarf.
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Dienstleistungen zeichnen sich im Übrigen dadurch aus, dass primär "Arbeitszeit" verkauft wird, die in Zeiten des Personalmangels knapp und zunehmend teuer ist. Solche Modelle sind zudem kaum "skalierbar" und bergen die Gefahr hoher Vorhaltekosten in Form womöglich nur schlecht ausgelasteter, aber speziell ausgebildeter Kräfte. Deshalb gilt es ganz besonders, die realen Kosten der Arbeitszeit zu quantifizieren, hierauf sachgerechte Zuschläge für die übrigen Betriebskosten sowie einen angemessenen Gewinn zu erheben und diese Summe dann mit den angebotenen Preisen und Aufwänden für die einzelnen Dienstleistungen abzugleichen.
Sinnvolle Vollkostenrechnung
Ehrlich gerechnet müsste bei einer "Vollkostenbetrachtung" einschließlich des heute erwirtschafteten Gewinnanteils eine Arbeitsstunde erfahrener approbierter Kräfte (Monats-Bruttogehalt um 5.000 €) mit rund 105 €, ggf. zuzüglich Mehrwertsteuer, abgerechnet werden. Eine erfahrene PTA (3.000 € Bruttogehalt) erfordert um 63 € je effektiv geleistete Arbeitsstunde. Je Minute sind das 1,75 € bzw. 1,05 €.
Das muss erst einmal von den Kostenträgern akzeptiert werden. Zudem ist gerade bei Dienstleistungen zwischen "Bruttozeiten" (nämlich einschließlich Bürokratie, Abrechnung, Schulungsaufwand etc.) und den gern von den Kostenträgern angesetzten "Nettozeiten" (nur die effektiv am Patienten erbrachten) zu unterscheiden und das in die Kalkulation mit einzubeziehen. Die Tabelle weist auch die Werte für einen fiktiven Monatslohn von 1.000 € aus; mit diesen Werten fällt es dann leichter, auf die eigenen Gehälter umzurechnen – das können Sie ganz linear per Dreisatz tun.
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Klug entscheiden
Ist das ausgelobte Honorar nicht gewinnträchtig oder womöglich nicht einmal komplett kostendeckend, bleibt im weiteren Entscheidungsgang zu erörtern, ob wenigstens ein Marketing- und Kundenbindungseffekt mit der Leistung verbunden ist, in der stillen Hoffnung auf Rezepte, OTC-Käufe und neue Kunden. Dazu muss die Leistung für Kunden hinreichend attraktiv sein.
Dies würde zwar auf eine – im Grunde zu vermeidende – Querfinanzierung hinauslaufen. Für starke Apotheken ist das aber zumindest erwägenswert, insbesondere wenn ein "Full-Service-Ansatz" verfolgt wird: Wir bieten alles, bei uns bekommen Sie alles, und was wir hier nicht an Lager haben, dürften Sie im Umfeld erst recht nicht sofort bekommen. Marktführer agieren so und hungern so ihre Konkurrenten immer weiter aus – berufspolitisch nicht schön, aber gelebte Realität.
Kluge Entscheider ziehen zudem immer die Opportunitäts-Option in Betracht: Wie stehe ich da, wenn ich das Thema an mir vorbeiziehen lasse und die gesparte Arbeitszeit stattdessen in meine bewährten Kerngeschäfte investiere, oder aber in eine lukrative Spezialisierung und Erschließung attraktiver Nischen abseits des Üblichen?
Einige Dienstleistungen bieten jedoch das Potenzial, so attraktiv gestaltet zu werden, dass sie als Privatleistungen für besonders Gesundheitsbewusste in Betracht kommen. Die Apotheken sind gut beraten, bei diesem Thema nicht nur durch die "Kassenbrille" zu schauen und sich damit wieder völlig den Kostenträgern auszuliefern.
Zu guter Letzt: Wie wäre es, angesichts der Personalengpässe so einige "Bürokratiemonster" auf den Prüfstand zu stellen und die gesparte Zeit in neue Dienstleistungen umzuwidmen? Quid pro quo, und in diesem Fall könnte man sogar bei den Preisen ein klein wenig entgegenkommen!
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(07):4-4