Andreas Kinzel
Positive Gedanken und Bilder sind zweifelsohne sehr wichtig. Aber wie so oft im Leben, gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Wird aus der offenen Frage "Wie geht es Ihnen?" ein plattes "Alles gut?", bleibt wenig Spielraum für negative Emotionen.
Sicherlich möchten wir unseren Kunden positive Gedanken und Emotionen mit auf den Weg geben. Sehen wir in jedem Problem aber nur noch die (vermeintlichen) Chancen, fehlt nicht nur die Empathie, sondern wir relativieren dadurch auch die negativen Emotionen unserer Kunden. Weil sie sich dann nicht ernstgenommen fühlen, sinkt ihr Vertrauen zu uns und damit die Kaufbereitschaft. Freilich spricht nichts gegen positive Verkaufsargumente, die wir den Kunden an die Hand geben, wie z.B. "Damit werden Sie sicherlich schnell gesund". Jedoch sollten wir damit nicht übertreiben. Kunden schätzen Ehrlichkeit. Die beste Anti-Aging-Creme macht aus einer Rentnerin noch lange keinen Teenager ...
Geben wir den Kunden immer bedingungslos Recht, dann führt das Beratungsgespräch schnell in eine Sackgasse. Die Kunden kaufen nicht, wenn ihnen ein Produkt übertrieben positiv angepriesen wird. Sie fragen sich, ob es das ist, was sie wirklich brauchen und wollen. Hier hilft manchmal ein klares "Nein" und das trägt mehr zu einer langfristigen Kundenzufriedenheit bei, als wenn Sie Ihren Kunden immer nach dem Mund reden.
Genauso unglaubwürdig ist es, wenn wir den Eindruck vermitteln, es würde uns selbst immer gut gehen. Zur Ehrlichkeit gegenüber den Kunden gehört es auch, eigene Fehler und Probleme anzusprechen. Wurde eine rechtzeitige Bestellung verpasst oder ist das Personal zu knapp, um sich einfühlsam um Kunden zu kümmern, hilft auch ein "Alles gut!" wenig.
Besser authentisch als geschönt
Anstatt mit positiven Worten Fehler und Probleme schönzureden, können wir uns auch darin üben, sowohl dem Team als auch den Kunden gegenüber authentisch zu sein. Wir verzichten darauf, ein geschöntes Bild aufzubauen. Krisen und Belastungen gehören zum Leben dazu. Als Apotheke können wir die Kunden dabei begleiten. Dabei vermitteln wir ihnen, dass auch sie damit einen guten Umgang finden können. Mit einem offenen Gespräch auf der emotionalen Ebene nehmen wir Anteil an den Kunden und erkennen so deren Probleme und Nöte. Damit können wir sie auch viel besser beraten. Ebenso vermeiden wir dadurch Selbstbetrug und bauen Beziehungen auf. Das Vertrauen steigt und damit auch die Bereitschaft zu kaufen. Kunden vertrauen uns ihr Geld nur an, wenn wir sie als Menschen ernst nehmen, ihre Probleme verstehen und nicht ständig versuchen, diese ins Positive zu verkehren. Kauf ist immer auch ein Stück Emotionalität.
Für ein gutes Marketing ist ein Leitslogan oder allgemeiner Werbespruch mit einer positiven Botschaft wichtig. Dieser hilft uns, die eigene Firmenphilosophie zu transportieren und die Kunden zu motivieren. Sätze wie "Wir begrüßen Sie mit dem Herz, nicht mit der Hand" vermitteln emotionale Nähe auch ohne Körperkontakt. Was dagegen bedeutet beispielsweise beim Slogan "Wir sind immer für Sie da!" das 'immer'? Auch nach Dienstschluss? Wir sollten also darauf achten, welche Worte helfen und welche verwirren können.
Glaubwürdig bleiben
In der Regel helfen positive Botschaften, Artikel zu verkaufen ("damit Sie schneller gesund werden" oder "die Creme macht ein unheimlich gutes Hautgefühl"). Ein Übermaß an Verkaufsargumenten macht uns indes nicht nur unglaubwürdig, sondern weckt auch unerfüllbare Erwartungen. Deshalb ist das negative Verkaufsargument mitunter das erfolgreichere. Ein "das hilft sehr gut, schmeckt aber nicht" hat eine genauso positive Komponente wie "guter Preis wegen Sortimentsumstellung" – ohne die Artikel als Bestseller und Geschmackserlebnis anzupreisen.
Als Apotheke sind wir darauf angewiesen, durch eine gute Beratung Vertrauen zu den Kunden aufzubauen. Zugleich sind wir auch Kaufleute. Wie so oft im Leben ist die Balance entscheidend. Das gilt auch für den Gesichtsausdruck. Ein Lächeln verkauft mehr. Es zeigt Sympathie, Empathie und verbindet. Zufriedene Kunden kaufen mehr. Ist das Lächeln allerdings aufgesetzt oder übertrieben, merkt es der Kunde schnell – über die Augen auch unter der Maske.
Beim Zuhören wenden wir Zeit für unsere Kunden auf. Gezielte Fragen geben Raum, in dem sie uns an ihren Sorgen und Nöten teilhaben lassen. Und wir entwickeln ein Gespür dafür, was sie kaufen könnten, bevor sie es sagen. Dagegen fühlen sich die Kunden durch ein teilnahmsloses "Ja, ja" oder "Alles gut!" schnell im Abseits. Damit sinkt auch ihre Kaufbereitschaft. Dabei ist es wichtig, ihnen einerseits gut zuzureden, andererseits aber auch ehrlich die eigene Überzeugung zu vertreten. Nur so transportieren wir Authentizität und die Philosophie der eigenen Apotheke.
Wichtig ist, Kunden in der Kommunikation Raum für negative Antworten und Gefühle zu geben. Durch geschlossene Fragen wie "Alles gut?" geben wir ihnen kaum die Möglichkeit, schlechte Stimmung auszudrücken. Hier sind offene Fragen wie "Wie geht es Ihnen?" viel empathischer, wenngleich sich das Gespräch dann meist in die Länge zieht.
Vorsicht: Toxische Optimismus-Radikale
Im Verkauf nutzen wir häufig positive Magic Words, um die Kunden zu "verzaubern". Dabei trifft lebendige Sprache das emotionale Unterbewusstsein der Kunden. Diese magischen Wörter verführen zum Kauf. Anderseits gibt es auch "Killerwörter", die Unsicherheiten, Relativierungen und Zweifel ausdrücken. Meist sind sie negativ besetzt und ersticken so ein Beratungs- oder Verkaufsgespräch. In der Kombination beider treffen positive Formulierungen die Emotionen der Kunden so, dass sie toxisch werden.
Möchten wir Negatives in positive Worte verpacken, ohne es toxisch wirken zu lassen, müssen wir standhaft bei der Wahrheit bleiben und dem Kunden den Druck nehmen, dass man selbst oder die Situation immer positiv sein würde. So ist es beispielsweise keine gute Idee, Kompetenz vorzutäuschen, wenn man etwas nicht weiß. Vielmehr empfiehlt sich die klare Ansage: "Ich mache mich schlau und sage es Ihnen dann." Oder anstatt zu sagen: "Sie haben mich falsch verstanden", bietet sich an: "Ich habe mich falsch ausgedrückt". Das häufig gebrauchte "Sie haben völlig Recht" ist ebenfalls alles andere als ehrlich: Denn oft hat der Kunde eben auch nicht Recht – man möchte es ihm nur nicht so direkt sagen.
Fazit: "Radikaler Optimismus" im Kundenkontakt kann dem Ansehen und Vertrauen der Apotheke schaden und im Worst case sogar zum Umsatzkiller werden. Deshalb ist es wichtig, dass Sie darauf achten, nicht unbedacht in eine gefährliche Spirale der "Toxic Positivity" einzusteigen.
"Toxic Positivity" bedeutet, ...
- ... übermäßig positive Einstellungen zu zeigen und verallgemeinern.
- ... negative Emotionen auszublenden.
- ... Stress mit falschen Zusicherungen anstatt Empathie zu begegnen.
- ... positive Kommunikation ohne Klarstellung.
- ... krampfhaft positive Argumente zu suchen.
- ... andere am eigenen Ergehen nicht teilhaben zu lassen, indem man Negatives konsequent negiert.
Typische "Toxic Positivity"-Wörter
- Verallgemeinerungen wie z.B. "ALLE machen das" (das macht es nicht besser),
- Relativierungen wie z.B. "Das Arzneimittel ist schon BALD VERFÜGBAR",
- Beschwichtigungen wie z.B. "Das Medikament kostet NUR 5 € pro Tag" (teuer bleibt teuer),
- Ablenkung wie z.B. "Das ist SEHR GUT VERTRÄGLICH" (Nebenwirkungen gibt es dennoch).
Raus aus Toxic Positivity gelingt, wenn wir ...
- ... uns eingestehen, wenn es mal nicht so gut läuft.
- ... unnötige positive Floskeln streichen.
- ... den Kunden gegenüber echte Empathie zeigen.
- ... ehrlich und authentisch sind.
- ... uns auf das Wesentliche (Kunden!) und nicht nur auf das Positive konzentrieren.
Andreas Kinzel, Apotheker und Diplom-Kaufmann (FH), 80637 München, E-Mail: a-kin@web.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(09):12-12