Prof. Dr. Reinhard Herzog
Die Erbringung von Dienstleistungen bedeutet primär den Verkauf von Arbeitszeit. Entscheidend ist damit die Kalkulation von angemessenen Stunden- bzw. Minutensätzen. Hierzu sei auf die Ausführungen im AWA 07/2022 verwiesen. Tabelle 1 fasst die Erkenntnisse für den üblichen Mitarbeiter-Gehaltsbereich zusammen.
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Zu unterscheiden sind zum einen der Selbstkostenpreis, also die reinen Personalkosten einschließlich gesetzlichen Nebenkosten, umgelegt auf die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden nach Urlaubs- und Krankheitstagen (im Schnitt gut 1.700 Stunden pro Jahr und Vollzeitstelle). Zum anderen haben wir einen Vollkostensatz inklusive des üblichen Betriebsgewinns, der bei heute vorherrschender Kostenstruktur in den Apotheken um etwa Faktor 2,25 über dem Selbstkostenpreis liegt. Dieser höhere Satz sollte für die Kalkulation mindestens zugrundegelegt werden.
Theoretisch könnten maximal 1,67 Mio. „komplexe“ Dienstleistungen (i.e. Medikationsanalysen) der Priorisierungsgruppe 1 zu je 90 € Nettohonorar angeboten werden – wenn sonst nichts abgerechnet würde. Das wären jährlich rund 90 Leistungen je Apotheke (eine bis zwei pro Woche), für die in Summe je nach Stundenkalkulation etwa 70 bis allenfalls 150 Stunden anfallen „dürften“. Tatsächlich teilen sich die Leistungen auf drei Priorisierungsgruppen auf, wobei die erste Gruppe nochmals drei Zielgruppen unterscheidet (mit 1a, 1b, 1c bezeichnet, Tabelle 2).
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Polymedikation (1a)
Etwa 7 Millionen Menschen nehmen mindestens fünf verordnete Arzneimittel ein (berechnet nach [1]). Pro Apotheke sind das etwa 380 Patienten. Unter nüchternen Zahlen- und Fachaspekten ist das die interessanteste Zielgruppe. Zudem werden diese der Priorisierungsgruppe 1 zugeordneten Medikationsanalysen bevorzugt honoriert und zuletzt gekürzt. Als Qualifikationsanforderung für alle Medikationsanalyse-Leistungen (1a, 1b und 1c) dient das Curriculum der Bundesapothekerkammer „Medikationsanalyse, Medikationsmanagement als Prozess“. Bereits absolvierte, zertifizierte Schulungen (wie ATHINA, ARMIN, Weiterbildung Geriatrische Pharmazie u.a.) erfüllen zurzeit diese Voraussetzung.
Orale Zytostatika (1b)
Rund 510.000 Menschen erkranken hierzulande jährlich neu an Krebs, mehr als doppelt so viele sind als onkologische Patienten in laufender Behandlung. Im GKV-Verordnungssegment (das rund 85% des Marktes abdeckt) entfielen 2021 gut 8 Mio. Verordnungen auf Onkologika inklusive parenteraler Spezialrezepturen. Letztere umfassten 2,07 Mio. Zytostatika-Verordnungen und 1,26 Mio. für monoklonale Antikörper, mehrheitlich onkologischer Art. Mit 9,4 Mrd. € zu „GKV-Nettokosten“ nach gesetzlichen Rabatten und Abschlägen (ohne kassenindividuelle Rabattverträge und ohne Klinikmarkt) stellten Onkologika die umsatzstärkste Arzneimittel-Indikationsgruppe.
Regelhaft oral einzunehmende Hormonantagonisten umfassten 2 Mio. Verordnungen im Wert von 1,2 Mrd. € zu „Kassen-Nettokosten“, die sich auf 169 Mio. Tagesdosen (DDD) verteilten und 62% des Onkologika-Marktes nach Menge stellten. 17,5 Mio. DDD in 0,7 Mio. Verordnungen entfielen auf ebenfalls orale Proteinkinase-Inhibitoren („…inibe“, Kosten 2,39 Mrd. € bzw. stolze 136 € je DDD). Die Folsäure-Antagonisten wie Methotrexat bzw. Nachfolger kommen auf 1,3 Mio. Tagesdosen [2, 3].
Die vertiefte pharmazeutische Betreuung dieser Spezialpatienten im nach Anzahl schätzungsweise mittleren Hunderttausenderbereich ergibt auch gesundheitsökonomisch Sinn. Die parallele Abrechnung der Medikationsanalyse bei Polymedikation ist ggf. möglich.
Praktisch dürfte sich diese Dienstleistung vor allem in spezialisierten Apotheken mit entsprechendem Ärzteumfeld abspielen. Es besteht die Gefahr, dass (zu) viel vom begrenzten Budget wie auch bei der nächsten Leistung 1c zu „Spezialisten“ fließt, während in der Breite Mangel herrscht.
Organtransplantierte (1c)
Seit 1963 gab es in Deutschland insgesamt gut 143.000 Organtransplantationen. Jährlich werden 3.500 bis 4.000 Organe verpflanzt, rund 55% bis 60% davon sind Nieren. 800 bis 900 Lebern, 300 bis 350 Herzen, ähnlich viele Lungen, eine höher zweistellige Zahl an Bauchspeicheldrüsen sowie eine einstellige Zahl an Därmen stellen den Rest [4]. Realistisch können wir von einer mittleren, fünfstelligen Zahl betroffener Patienten ausgehen, pro Apotheke lassen sie sich statistisch demzufolge an einer Hand abzählen. Ansonsten gilt auch hier das bereits bei den oralen Zytostatika Gesagte.
„Device-Schulungen“ (2)
Die Geräte-(„Device-“)Schulungen finden zuerst mit Inhalatoren statt. Hier ist die Quote der Fehlbedienungen mit teils um 50% extrem hoch, sodass die 20 € Honorar gut angelegt sein dürften. Die Prävalenz von Asthma bronchiale wird für die erwachsene Bevölkerung in Deutschland mit gut 5% (m) bis 7% (w) angegeben [5]. Die Verteilung über die Altersklassen hinweg ist ziemlich gleichmäßig. Das Vorkommen der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) wird ebenfalls vom Robert-Koch-Institut mit knapp 6% beziffert, für Frauen wie Männer fast gleichermaßen. Hier sind Ältere mit 11% bis 12,5% (w/m) erheblich stärker betroffen als Jüngere.
Je Apotheke haben wir somit ein prinzipielles Patientenpotenzial in der Größenordnung von 400 bis 500 Personen, von denen indes nicht alle gleichermaßen in Behandlung sind. Die Leistung ist der Priorisierungsgruppe 2 zugeordnet und somit von Honorarkürzungen bedroht. Dafür bestehen keinerlei weitergehende Qualifikationsanforderungen. Somit dürfen PTA diese Leistung ebenfalls erbringen – mit dem Risiko, am Ende nicht das Erhoffte bezahlt zu bekommen. Dennoch hat diese Leistung einen hohen gesundheitsökonomischen und vor allem Patientennutzen.
Hypertonie-Risikoscreening (3)
Die Hypertonie-Prävalenz in Deutschland wird mit etwa 30% bis 33% der erwachsenen Bevölkerung beziffert [6], bei über 65-Jährigen gar um 65%, wobei die Frauen stets einige wenige Prozentpunkte unter den Männern bleiben. Selbst in der jünger-mittleren Altersgruppe von 30 bis 44 Jahren geht man bereits von 9% (w) bis 14,5% (m) Betroffenen aus. Mit steigendem Bildungsgrad sinkt die Prävalenz, am deutlichsten bei den Jüngeren. Diese Zahlen beziehen sich auf ärztlich diagnostizierte Fälle. Es bleibt also ein „Dunkelfeld“. Angesichts solcher Zahlen kann das ausgelobte Honorarbudget nur ein Tropfen auf den heißen Stein für ein breites Risiko-Screening sein. In der „schlechtesten“ Priorisierungsgruppe 3 angesiedelt, ist diese Leistung zudem als erstes von Honorarkürzungen bedroht. Zwar sind keine neuen Qualifikationen erforderlich, PTA können diese Leistung auch erbringen. Was wirklich am Ende bezahlt wird, ist aber völlig offen.
Sinnvoll wäre noch ein Diabetes-Screening, was jede Apotheke leisten kann. Als Erweiterung böte sich eine HbA1c-Bestimmung an. Erschwingliche Geräte mit z.B. enzym-/antikörperbasierter Fluoreszenzmessung, die schon bei den Corona-Antikörperbestimmungen ihre Feuertaufe erlebt haben, machen dies möglich.
Aufwand budgetieren
Tabelle 2 zeigt die Dienstleistungen in der Übersicht – und welchen Zeitrahmen Sie sinnvollerweise einhalten sollten. Dabei ist in der letzten Spalte der Wertebereich von gewinnbringender bis hin zu reiner Selbstkosten-Zeit angegeben.
Die Fixkosten je Leistung, die einzukalkulieren sind, wurden sachgerecht geschätzt. Hier spielen insbesondere die anteiligen Fortbildungskosten eine Rolle. Ein Tag Fortbildung eines Approbierten kann alleine für den Zeitausfall mit gut und gerne 400 € bis 500 € angesetzt werden, zuzüglich Seminargebühren und etwaigen Sach- und Fahrtkosten. Realistisch betrachtet dürfen die letzten Endes dominierenden Medikationsanalysen in der Praxis allenfalls eine Stunde in Anspruch nehmen.
Damoklesschwerter
Wahrscheinlich werden mehr Leistungen erbracht und abgerechnet (Näheres dazu unter [7] und [8]), als Geld zur Verfügung steht. Für diesen Fall ist in Anlage 11 des Rahmenvertrages nach §129 Abs. 2 SGB V ein Verteilungsmechanismus mit noch einigem Interpretationsspielraum vorgesehen.
Kurz gefasst werden als erstes die Leistungen der Priorisisierungsgruppe 3, dann jene der Gruppe 2 gekappt. Ein Frühwarnmechanismus soll rechtzeitig informieren, wenn das Geld auszugehen droht. In der konkreten Umsetzung bestehen noch viele Unklarheiten. Immerhin sind 1.000 € je Quartal und Apotheke für alle Dienstleistungen zusammen garantiert. Wer innerhalb dieses Rahmens bleibt, geht kein Risiko ein. Darüber beginnt insbesondere für die Blutdruckmessung, möglicherweise auch noch für die Inhalator-Schulung, aus heutiger Sicht eine honorarmäßige Geisterbahnfahrt.
Überlegenswert sind künftig Individualbudgets für die einzelne Apotheke (Vorschlag siehe Abbildung 1). Die Praxishonorare der Ärzte werden seit Langem „budgetiert“, mit Knurren und Murren, am Ende aber halbwegs zielgerecht. Bei uns wäre die Reihenfolge: Qualifikation, Mitmach-Interesse sowie die Zahl der abgegebenen Rx-Packungen für die Mengensteuerung. Dabei würde das Gesamtbudget (bisher 150 Mio. € netto) auf die einzelnen Dienstleistungen je nach fachlicher Bedeutung aufgeteilt und im nächsten Schritt einzelnen Apotheken zugeordnet. Das wäre zielgenauer und brächte mehr Planungssicherheit für den Einzelnen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
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Mehrwertsteuerfragen
Die pDL-Honorare sind als Nettobeträge definiert. Somit sollte die Mehrwertsteuer obenauf kommen (wie beim Packungs- oder Botendiensthonorar), oder eben auch nicht (Corona-Testhonorare!). Das Honorar-Gesamtvolumen ist bislang auf 0,20 € netto je abgegebene Rx-Packung im jeweiligen Jahr, abzüglich Verwaltungskosten, gedeckelt. Heute wird auf diese 0,20 € für die Kassen die Mehrwertsteuer aufgeschlagen. Damit liegen rund 180 Mio. € brutto im Jahrestopf.
Naheliegend ist die Abrechnung analog zu den übrigen Zuschlägen. Auf die Honorare wird die Mehrwertsteuer erhoben, und diese abzüglich Vorsteuerbeträgen wieder abgeführt. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Leistungen kann so netto gegen netto berechnet werden.
Komplizierter würde es, wenn die Leistungen mehrwertsteuerfrei gestellt würden. Vorteil wäre, dass die Krankenkassen um 30 Millionen Euro sparen würden. Nachteil für die Apotheken wäre, dass der Vorsteuerabzug entfiele und es womöglich „Abfärbeeffekte“ auf den restlichen Betrieb gäbe. Zudem sehen manche Mietverträge den Ausschluss von mehrwertsteuerfreien Umsätzen vor. Da aber die Finanzierungsgrundlage bislang „normal“ unter Mehrwertsteuererhebung gemäß Arzneimittel-Preisverordnung läuft, ist die mehrwertsteuerfreie Variante eher unwahrscheinlich. Sie würde explizite Gesetzesänderungen erfordern.
Entscheidungsfindung
Und nun? Prüfen Sie, ob Sie überhaupt mit den Zeiten je Dienstleistung hinkommen und eine Aussicht auf positive Deckungsbeiträge besteht. Sinnvollerweise proben Sie die einzelnen Leistungen, die Sie erbringen möchten, praktisch mit den infrage kommenden Mitarbeitern. Welche Zeiten kommen zusammen? Können diese sich noch einschleifen (Routine)? Haben Sie überhaupt die Stunden zur Verfügung, ohne Abstriche an anderen Stellen zu machen? Je nachdem sind die Leistungen womöglich nur ein querfinanziertes Marketing-Instrument im Sinne eines „Full-Service“-Ansatzes.
Angesichts der zur Verfügung stehenden Honorarbeträge zeigen die Bedarfszahlen, dass momentan nur ein Bruchteil der theoretisch möglichen bzw. sinnvoll zu adressierenden Zielpatienten überhaupt bedient werden kann.
Pharmazeutische Dienstleistungen sind momentan eher eine Premiumleistung für wenige Auserwählte; wie Sie diese sinnvollerweise aussuchen, sei Ihrem fachlichen wie kaufmännischen Geschick überlassen. Ihre Top-Kunden stehen sicher ganz oben, möglicherweise aber auch einige „Spezial-Patienten“, an denen Ihren Ärzten besonders gelegen ist. So fördern Sie die unverzichtbare Kooperation mit Ihren Verordnern.
Quellen
[1] ABDA: Zahlen, Daten, Fakten 2022 (für 2021), ABDA Berlin
[2] Ludwig, W.-D., Mühlbauer, B., Seifert, R.: Arzneiverordnungs- Report 2021, Verlag Springer Nature, Berlin 2021
[3] GAmSi Schnellinformationssystem der GKV, Bundesbericht 2021
[4] Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), Jahresbericht „Organspende und Transplantation in Deutschland 2021“
[5] Steppuhn, H., Kuhnert, R., Scheidt-Nave, C.: 12-Monats-Prävalenz von Asthma bronchiale [...]. Journal of Health Monitoring 2017, 2(3): S. 36 – 45
[6] Neuhauser, H., Kuhnert, R., Born, S.: 12-Monats-Prävalenz von Bluthochdruck in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017, 2(1): S. 57 – 63
[7] www.abda.de/pharmazeutische-dienstleistungen
[8] www.dav-notdienstfonds.de/pharmazeutische-dienstleistungen
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(13):4-4