Die Konsequenzen der demografischen Entwicklung für Apotheken

Angemessen auf die Überalterung reagieren


Dr. Uwe Weidenauer

Seit Jahren klagen Apotheken über Fachkräftemangel. Dieser wird sich aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland weiter verschärfen. Auf diese Herausforderung müssen Sie als Apothekeninhaber bzw. -leiter reagieren, um Ihr Unternehmen existentiell abzusichern.

Die Mutter aller Probleme ist gekommen, um zu bleiben!

Gerne sprechen die Akteure in Talkshows und in der Publikumspresse von Krisen: Der Bogen spannt sich von der Klimakrise über den aktuellen Fachkräftemangel an Flughäfen bis hin zur demografischen (Fehl-)Entwicklung Deutschlands.

Aber machen wir uns erstmal klar, was eine Krise überhaupt ist: Eine Krise ist eine anhaltende, massive Störung des gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Systems über einen längeren Zeitraum. Tatsächlich führen die tiefgreifenden demographischen Veränderungen hierzulande – das gilt im Übrigen für die gesamte EU – zu dauerhaften, starken Veränderungen unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Genau hier liegt die Herausforderung für die Apotheken, sich dieser riesigen Aufgabe aktiv zu stellen, um ihren Versorgungsauftrag weiterhin erfüllen zu können.

Bisherige Entwicklungen und Erwartungen

Die demographische Struktur unserer Gesellschaft bildet die Basis für unsere Wirtschaft: So korreliert das Wirtschaftswachstum in erster Linie mit dem Bevölkerungswachstum. Auf dem Arbeitsmarkt spielt zudem die Altersstruktur der Bevölkerung eine gewichtige Rolle: Während 2021 die Geburtenzahl bei etwa 795.000 lag, wurden gleichzeitig rund 1,023 Millionen Sterbefälle registriert. Dies führt zu einem reproduktiv bedingten Bevölkerungsrückgang von ca. 300.000 Menschen pro Jahr, der in diesem Ausmaß bereits seit den 2000er-Jahren besteht! Trotzdem wuchs die Bevölkerungszahl Deutschlands durch Zuwanderung von 81,7 Millionen im Jahr 2010 auf 83,2 Millionen im Jahr 2021 (Quelle: Statistisches Bundesamt).

Entscheidend dafür ist die Netto-Zuwanderung bzw. der "Wanderungssaldo" (Abb. 1). Auch ein attraktives Land wie Deutschland muss Jahr für Jahr mehrere hunderttausend Fortzüge ins Ausland hinnehmen: Dies sind zum einen Einwanderer und Gastarbeiter, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren, zum anderen hochqualifizierte Fachkräfte wie Apotheker und Ärzte, die in Länder wie die Schweiz, Schweden oder USA auswandern.

Aufgrund der aktuellen Altersstruktur steht bereits fest, dass sich der Bevölkerungsrückgang reproduktionsbedingt fortsetzen, ja sogar von Jahr zu Jahr weiter verschärfen wird. Um einen für die Gesellschaft und Wirtschaft dramatischen Bevölkerungsrückgang zu verhindern, braucht Deutschland eine Nettozuwanderung von jährlich mindestens 400.000 Menschen – und das nicht bloß für ein paar Jahre, sondern über die nächsten Jahrzehnte!

Und damit wird man es gerade schaffen, die Bevölkerungsanzahl stabil zu halten – von Wachstum ist nicht die Rede. Will heißen, die Voraussetzung, um Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Sozialsysteme für zumindest drei Dekaden annährend stabil zu halten, ist ein positver Wanderungssaldo von 400.000 p.a. Drei Dekaden ist der Zeitverzug, bis sich eine ansteigende Geburtenrate nachhaltig auf die Bevölkerungszahl auswirken würde. Die aktuelle Geburtenrate beträgt 1,53 pro Frau, müsste aber auf mindestens 2,1 pro Frau ansteigen bzw. deutlich über diesen Wert steigen, wenn die Bevölkerungszahl wieder reproduktiv ansteigen sollte.

Rentner-Tsunami im Anmarsch

Da die Zuwanderer in der Regel keine Neugeborenen sind, sondern sich in der überwiegenden Mehrzahl im arbeitsfähigen Alter befinden, ist die Folge eine zunehmende (Über-)Alterung der Gesamtbevölkerung. Dieser Effekt, gepaart mit dem Geburtenrückgang ("Pillenknick"), resultiert in einer stark asymmetrischen Altersverteilung innerhalb der deutschen Bevölkerung (Abbildung 2).

Absehbar stehen demnächst die sog. "Babyboomer"-Jahrgänge der Nachkriegszeit (um Jahrgang 1964) an der Schwelle zum Renteneintritt, was mitunter auch als "Rentner-Tsunami" bezeichnet wird. Das ist zum einen eine riesige Herausforderung für die Finanzierung des faktisch insolventen Rentensystems; zum anderen führt dieser Effekt branchenübergreifend zu einem drastischen Mangel an Arbeitskräften.

Selbst bei einem positiven Wanderungssaldo von 300.000 Menschen pro Jahr und dem Berufseintritt jüngerer Menschen, muss mit dem Verlust von mindestens zwei bis drei Millionen Arbeitskräften bis 2030 gerechnet werden! Dieser Effekt wird auch vor den Apotheken nicht halt machen.

Konsequenzen für den Apothekenmarkt

Der Konzentrationsprozess im deutschen Apothekenmarkt, der seit 2010 sukzessive voranschreitet, dürfte sich in den nächsten Jahren sogar noch weiter beschleunigen. Obwohl die Apothekenzahl von 21.590 im Jahr 1999 auf 18.461 im Jahr 2021 zurückgegangen ist, ist die Zahl der Arbeitsplätze in den deutschen Offizinen im selben Zeitraum von rund 135.000 auf 160.000 angestiegen (Abbildung 3). Daraus ergibt sich eine Herkules-Aufgabe für die Apotheken in den nächsten Dekaden: Immer mehr Aufgaben und Dienstleistungen sollen bewältigt werden, und dafür muss gezielt neues Personal gefunden werden.

Kritischer Erfolgsfaktor Personal

Der befürchtete Rentner-Tsunami der nächsten Jahre wird die akute Personalknappheit nochmal drastisch verschärfen. Umso wichtiger ist es, dass Sie als Apothekeninhaber bzw. -leiter für Ihre Offizin eine Strategieentwickeln, um dieses Problem in den Griff zu bekommen, oder zumindest abzumildern. Neben Kreativität ist diesbezüglich auch Unternehmertum gefragt. Nachfolgend haben wir einige konkrete Ideen und Vorschläge für Sie zusammengefasst.

Strategische Übernahmen

Auch zahlreiche Apothekeninhaber werden sich in den nächsten Jahren in den Ruhestand verabschieden und ihre Apothekengeschäfte veräußern oder schließen wollen. Eine Methode, die sich beispielsweise im Handwerk schon länger bewährt hat, ist die strategische Übernahme von nahegelegenen Apotheken mit dem klaren Ziel, diese zu schließen und das Personal zu übernehmen. Da neben den Mitarbeitern auch Teile des Geschäfts übernommen werden, kann dies durchaus eine betriebswirtschaftlich lohnende Option sein. Bei diesem nicht einfachen Vorgehen lohnt es sich, eng mit spezialisierten Beratern und Arbeitsrechtlern zusammenarbeiten.

Zuwanderung aktiv unterstützen

Ein wichtiger Faktor ist der Kontaktaufbau zu Agenturen, die pharmazeutisches Personal aus dem Ausland vermitteln. Die laut Modellrechnungen benötigten 400.000 Menschen pro Jahr werden den Unternehmen nämlich nicht von der Politik auf dem Silberteller serviert werden, vielmehr muss deren Integration in den Arbeitsmarkt von der Privatwirtschaft selbst organisiert werden. Insofern sollte unser Berufsstand an dieser Stelle auch seinen Beitrag leisten und aktiv Fachkräfte aus dem Ausland anwerben und in den Apotheken integrieren.

Attraktivität des Arbeitsplatzes Apotheke nutzen

Gerade während der Corona-Pandemie haben sich viele Apotheken bei nicht-pharmazeutischem Personal am Arbeitsmarkt "bedient" und Hilfskräfte insbesondere für Botendienste, den Betrieb von Testzentren etc. eingestellt. Viele dieser vorübergehenden Mitarbeiter können im Backoffice eingearbeitet und weiter qualifiziert werden. Gerade für kaufmännische Tätigkeiten können auch Menschen aus anderen Berufen – beispielsweise aus ärztlichen oder Pflegeberufen – gut in der Offizin eingearbeitet werden.

Fazit: Aufgrund der dramatischen demographischen Entwicklung steht fest, dass Apotheken dringend handeln müssen, um die massiven Engpässe beim Personal, die sich noch weiter verschärfen werden, so gut wie möglich in den Griff zu bekommen. Wir haben Ihnen dazu einige konkrete Handlungsempfehlungen gegeben. Darauf zu hoffen, dass die Standesvertretung oder die Politik in Berlin das Problem lösen, ist keine wirkliche Option.

Dr. Uwe Weidenauer, Apothekeninhaber, Geschäftsführer Gesundheit247 GmbH, 69469 Weinheim, E-Mail: awa@gesundheit247.academy

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(15):9-9