Helmut Lehr
Das Bundesfinanzministerium hat in seinem Schreiben vom 05.10.2022 (AZ: IV A 3 – S 0336/22/10004 :001) deutlich darauf hingewiesen, dass die Folgewirkungen des Ukraine-Kriegs (insbesondere der Sanktionen) auch für die Bevölkerung und Unternehmen in Deutschland schwerwiegend sind. Diese besondere Situation sollen die Finanzämter zumindest bei "nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffenen" Steuerpflichtigen angemessen berücksichtigen.
Konkret: Die Behörden sollen von den ihnen zur Verfügung stehenden Billigkeitsmaßnahmen Gebrauch machen und dabei durchaus großzügig sein.
Was bedeutet das in der Praxis?
Zu den bekanntesten Billigkeitsmaßnahmen, die das steuerliche Verfahrensrecht vorsieht, zählen die
- Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen,
- Steuerstundungen sowie die
- einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (Vollstreckungsaufschub).
Wer als Privatperson oder Unternehmer vorübergehend in Liquiditätsschwierigkeiten kommt und zusätzlich nicht unwesentliche Steuerzahlungen leisten muss, sollte sich deshalb nicht scheuen, bei seinem Finanzamt Billigkeitsmaßnahmen zu beantragen.
Natürlich weist das Bundesfinanzministerium vorsorglich darauf hin, dass die Finanzbehörden vor Ort nicht nach dem "Gießkannenprinzip" vorgehen, sondern jeden Einzelfall angemessen würdigen sollen. Sie haben hierbei nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, sollen dabei aber ihren Ermessensspielraum verantwortungsvoll ausschöpfen.
Werden Anträge auf Billigkeitsmaßnahmen bis zum 31.03.2023 gestellt, sind nach ausdrücklicher Vorgabe des Bundesfinanzministeriums keine strengen Anforderungen an die Prüfung der entsprechenden Voraussetzungen zu stellen.
Hinweis: Das deutet darauf hin, dass in der aktuellen Situation auch solche Steuerpflichtige mit Billigkeitsmaßnahmen wie beispielsweise einer Stundung bzw. einer Herabsetzung von Vorauszahlungen rechnen können, die in "normalen Zeiten" von den Finanzämtern mit einem solchen Anliegen abgewiesen worden wären.
Rückwirkende Herabsetzung und zinslose Stundung
Während in der Vergangenheit Vorauszahlungen oft nur bei Umsatzeinbrüchen (nachgewiesen durch eine aktuelle BWA) gemindert wurden, erscheint es nun möglich, diese mit gestiegenen Kosten zu begründen.
Wer beispielsweise nach einer Betriebsprüfung mit größeren Steuernachforderungen konfrontiert wird, könnte einen Stundungsantrag stellen. Hierzu weist das Bundesfinanzministerium darauf hin, dass die Finanzämter "im Einzelfall" auf Stundungszinsen verzichten können – zumindest, wenn die Stundung für einen Zeitraum von maximal drei Monaten beantragt wird.
Eine zinsfreie Stundung soll jedoch offenbar nur solchen Steuerpflichtigen gewährt werden, die in der Vergangenheit stets ihre Pflichten erfüllt haben (rechtzeitige Erklärungsabgabe, pünktliche Zahlung, keine wiederholten Stundungen etc.). Billigkeitsmaßnahmen aufgrund der Corona-Krise werden dabei aber nicht zu Lasten des Steuerbürgers "mitgezählt".
Hinweis: Wenn sich das Finanzamt querstellt, sollte mit einem gewissen Nachdruck auf das aktuelle Schreiben des Bundesfinanzministeriums verwiesen werden.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(21):18-18