Schluss mit lustig in den Staatsfinanzen – droht jetzt eine finanzielle Eiszeit, welche indirekt auf viele Wirtschaftszweige, womöglich auch das Gesundheitswesen, durchschlägt?
Quelle: Reinhard Herzog
60 Milliarden Euro per Bundesverfassungsgericht quasi „abgeschossen“ bzw. aus der Schattenbuchhaltung entfernt, und womöglich droht dies auch anderen „Sondervermögen“ und „Investitionsfonds“. Weitere 200 Milliarden Euro stehen drohend im Raum. Nun hätten sich die Ausgaben aus diesen Sondertöpfen über etliche Jahre gestreckt, sodass der geschasste 60-Milliarden-Fonds auf vielleicht rund 15 Milliarden Euro pro Jahr hinausläuft. Das erscheint handhabbar. Werden daraus jedoch 30, 40 oder mehr Milliarden jährlich, wird es schwieriger. Doch selbst das sollte mit klarer Zielfokussierung zu managen sein. Es gibt nach wie vor viel mehr (Steuer-)Stellschrauben, als die meisten direkt vor Augen haben.
Beinahe unerschöpfliche Steuerquellen?
Bevor man noch tiefer in die Taschen der Bürger greift, sollte eine kritische Überprüfung der Ausgaben anstehen. Da Staaten typischerweise nicht sonderlich effizient wirtschaften, finden sich hier mit schöner Regelmäßigkeit beträchtliche Summen. Zu bedenken ist allerdings, dass die Ausgaben des einen (hier des Staates) die Einnahmen von anderen darstellen. Gerade die Apothekerschaft sollte an diesem Punkt einhalten. Auch unsere Forderungen nach höheren Honoraren laufen letztlich auf eine Zwangsumverteilung von Beitragsgeldern hinaus, ohne dass die Beitragszahlenden darauf irgendeinen Einfluss nehmen könnten. So ähnlich verhält es sich auch im Verhältnis der Steuerzahlenden und den Staatsausgaben. Deshalb hinterfragen wir an dieser Stelle die Sinnhaftigkeit der Ausgaben nicht, sondern setzen deren Notwendigkeit, ob für Klimaschutz, Energiesubventionen, mehr Bürgergeld, Chipfabriken oder gar ein besseres Apothekenhonorar als gegeben voraus. Bleibt also, die Einnahmen zu erhöhen.
Für 2024 werden gut 960 Mrd. Euro Gesamtsteuereinnahmen auf allen Gebietskörperschaften erwartet. Der Bundeshaushalt allein soll nach den Entwürfen vom Sommer laut Bundesfinanzministerium rund 445 Mrd. Euro ausmachen, gegenüber 2023 immerhin ein Rückgang um rund 30 Mrd. Euro. Mit knapp 17 Mrd. Euro wäre die Neuverschuldung marginal. Hinter diesen Zahlen stehen nun Fragezeichen. Wie könnte mehr in die Kassen kommen?
- Mehrwertsteuer: Fast 200 Mrd. Euro bringt dieser scherzhaft ob der hohen Summen auch „Märchensteuer“ genannte Einnahmeposten inklusive Einfuhr-Umsatzsteuer ein, ein Siebtel davon aus dem ermäßigten Satz von 7%. 1 Prozentpunkt mehr (Normalsatz) würde etwa 9 Mrd. Euro einbringen, beim reduzierten Satz etwa 4 Mrd. Euro. Hier ist am schnellsten Geld zu holen. 20 % bzw. 10 % als neue Mehrwertsteuersätze würden das Land nicht in den Abgrund ziehen und rund 20 Mrd. Euro einspielen können. Ein Luxussteuersatz auf besonders exklusive Güter oder teure Autos wäre eine weitere milliardenschwere Option, siehe z.B. Dänemark.
- Mineralölsteuer: Schon 1 Cent mehr je Liter Diesel / Benzin bringt zusammen mit der Mehrwertsteuer obenauf rund 750 Mio. Euro. Da perspektivisch jedoch zurückgehend, wird man sich über eine E-Auto-Ladesteuer, erhoben je Kilowattstunde, Gedanken machen. Die Kilowattstunde als der neue Liter Benzin … mit einem Multi-Milliarden-Potenzial.
- Bei 750 Mio. Tonnen CO2-Emissionen jährlich bringt jeder zusätzliche Steuer-Euro auf eine Tonne Kohlendioxid etwa 750 Mio. Euro ein, falls man alle Emissionen besteuern würde. Jeden Bürger belastet das im Schnitt mit 8 bis 10 Euro pro Jahr.
- Der Solidaritätszuschlag von 5,5 % spielte ehemals 19 Mrd. Euro bis 20 Mrd. Euro ein, in 2022 waren es noch 12 Mrd. Euro. Es würde niemandem angesichts der krisenhaften Lage einen Zacken aus der Krone brechen, diesen wieder ungekürzt zu entrichten. Selbst eine Erhöhung auf 10 % wäre krisenbedingt vertretbar – und brächte mindestens weitere 15 Mrd. Euro.
- Erbschaften machen um 300 bis 400 Mrd. Euro pro Jahr aus. Selbst wenn ein bedeutender Teil unterhalb der Freibeträge liegt – jeder Prozentpunkt mehr würde einen niedrigen Milliardenbetrag ausmachen, ohne dass deshalb gleich Hochsteuer-Alarm droht.
Dreht man maßvoll an allen Schrauben, winken beträchtliche Zusatzeinnahmen. Trotzdem würde kaum jemand wirklich über Gebühr belastet. Stellen wir eine der gerade meistdiskutierten Leistungen dagegen – das Bürgergeld: Jeder Euro pro Monat macht bei knapp 6 Millionen Empfängern rund 70 Mio. Euro im Jahr. Die Gesamtausgaben mit Wohnkosten dürften spätestens in 2024 die 50-Milliarden-Euro-Grenze überschreiten. Geplant sind ja Erhöhungen allein bei den Regelsätzen in der Größenordnung von gut 3 Mrd. Euro. Einige Milliarden Euro ließen sich daher mit Sicherheit kürzen. Ob es sich angesichts dieser Summen aber lohnt, sozialen Ärger in Kauf zu nehmen, sei dahingestellt.
Internationale Sicht
Im globalen Vergleich ist der deutsche Staat mit knapp 70 % der Wirtschaftsleistung eher gering verschuldet. Selbst wenn man die erhebliche höhere, immanente Verschuldung durch im Umlageprinzip finanzierte Renten- und Gesundheitsleistungen im Zuge der Demografie sowie ausstehende Qualifizierungsaufwendungen für Eingewanderte hinzunimmt, liegen wir im Vergleich zu Ländern wie Japan oder den Südeuropäern (noch) nicht wirklich schlecht. Der japanische Staat steht mit 260% der Wirtschaftsleistung in der Kreide, ganz überwiegend jedoch bei seinen eigenen Bürgern und nicht gegenüber dem Ausland. In vielen westlichen Ländern liegt die Staatsschuldenquote ebenfalls deutlich über 100%. Sprich: Da geht noch einiges bis zur „Pleite“! Es wäre dabei ein Leichtes, das 8-Billionen-Euro-Geldvermögen der Deutschen, gern zu miserablen Renditen und oft keineswegs sicher angelegt, mit Sonderanleihen bei einigermaßen attraktiver Ausgestaltung langfristig anzuzapfen. Diese Quelle wird noch wenig genutzt.
Wirklich kritisch wird es erst, wenn die Einnahmebasis, und hier die hoch wertschöpfende industrielle Basis, nachhaltig erodiert. Dann beginnt ein Teufelskreis aus abnehmenden Unternehmenssteuern, rückläufiger Beschäftigung mit Lücken bei Lohnsteuer und Sozialabgaben, gefolgten Ausgabenkürzungen der öffentlichen Haushalte und Kostenträger, und damit eine neue Spirale sinkender Ausgaben der Privathaushalte. Am Ende treibt dies die Schuldenquote erst recht in die Höhe, weil man gar nicht so schnell sparen kann wie die Einnahmen wegbrechen – und zudem allzu harsches Sparen den Niedergang noch beschleunigt.
Nüchtern-ökonomisch gilt daher: Mehr Mut zu höheren Finanzierungsvolumina im Sinne der Stärkung von Wirtschaft und Land! Die Quellen dazu lassen sich im Grundsatz leicht erschließen. Und wer für sich Verbesserungen fordert, muss auf der anderen Seite bereit sein, seinen wachsenden Kuchen wieder zu teilen. Verteilungspolitik erfordert Konsequenz und Schlüssigkeit. Ceterum censeo droht dem Staat also mitnichten die Pleite oder die Armut, wenn er seine Gestaltungsspielräume denn nutzt. Bei allzu großer finanzpolitischer Dummheit sind künftige Schieflagen aber nicht auszuschließen.
Ob der Staat allerdings in der Lage ist, wirklich effizient mit immer mehr Geld zu haushalten und die Wertschöpfung im Lande zu beflügeln statt lediglich konsumtive Wohltaten zu verteilen, steht auf einem anderen Blatt. „Stupid german money“ steht tatsächlich wie ein Menetekel im Raum. Kaputtsparen ist jedoch keine attraktive Alternative!
„Government’s view of the economy could be summed up in a few short phrases: If it moves, tax it. If it keeps moving, regulate it. And if it stops moving, subsidize it.“ (Ronald Reagan, ehem. US-Präsident)
Prof. Dr. Reinhard Herzog
Apotheker
Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.