Klaus-Hartmut Iltgen ist von der Politik maßlos enttäuscht, deshalb blieb seine Reichsadler-Apotheke in Essen-Rellinghausen am 14. Juni auch geschlossen. Die von der ABDA geforderten 12 € Rx-Festbetrag hält er für keinesfalls überzogen – notfalls „müssten noch härtere Maßnahmen folgen“.
Dass ihre Offizin am 14. Juni aus Protest gegen die destruktive Gesundheitspolitik geschlossen blieb, war für Klaus-Hartmut und Birgit Iltgen Ehrensache.
„Ich habe so einen dicken Hals!“ Spricht man Klaus-Hartmut Iltgen, den Inhaber der Reichsadler-Apotheke in Essen-Rellinghausen, auf die aktuelle Situation der Apotheken im Lande an, dann verfinstert sich die Miene des ansonsten freundlichen Herren mit den schlohweißen Haaren kurz und er muss sichtlich darum ringen, seine Fassung zu bewahren. Er fühle sich ebenso wie seine Mitarbeiter von den politisch Verantwortlichen in Berlin „nicht nur enttäuscht, sondern persönlich verletzt“. Das ganze Team habe während der Corona-Pandemie bis zum Anschlag gearbeitet, „und dann hat Herr Lauterbach nichts Besseres zu tun, als uns zum Dank dafür die Honorare zu kürzen!“ Das sei eine Schande.
Mehrzahl der Essener Apotheker folgt Streikaufruf
Insofern stand es für ihn und seine Frau völlig außer Frage, sich an dem von der Standesvertretung organisierten Streik am 14. Juni zu beteiligen. Die Apotheke bleibe selbstverständlich geschlossen, mehrere Mitarbeiter fahren sogar zur zentralen Großkundgebung nach Düsseldorf. Iltgen: „Die von der ABDA geforderten 12 € sind keinesfalls überzogen! Ich erwarte endlich eine vernünftige Kooperation zwischen Politik, Krankenkassen, Apothekern und Ärzten, damit eine verlässliche Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt ist.“ Dass eine solche dem agilen Unternehmer und Pharmazeuten tatsächlich ein wichtiges Anliegen ist, zeigt ein Blick in seinen Terminkalender: Für den Streiktag am 14. Juni steht für ihn eine ganztägige Fortbildung zur Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Apothekern und Ärzten in Papenburg auf dem Programm. Das tut sich niemand an, dem die bestmögliche Versorgung der Patienten nicht ein echtes Herzensanliegen ist.
Als positives Signal bewertet Iltgen, dass sich in Essen fast alle Apotheken an dem Protesttag beteiligen und ihre Offizin geschlossen halten. Nur der Notdienst wird aufrechterhalten. Und wenn die Politik sich auch nach diesem Streiktag nicht bewegt? Die Antwort kommt prompt: „Dann werden noch härtere Maßnahmen folgen, bis die Politik reagieren muss. Unsere Kraft und Geduld sind am Ende!“
Schon jetzt spürt man in Essen-Rellinghausen die Auswirkungen einer einseitig auf Sparen ausgerichteten Gesundheitspolitik: So bleibt die Reichsadler-Apotheke seit Anfang dieses Jahres samstags geschlossen, weil der Betrieb an sechs Tagen in der Woche schlicht nicht mehr leistbar sei. Das schmerzt das Ehepaar Iltgen, zumal die eigene Offizin über eine sehr lange Tradition verfügt: Erst vor vier Jahren feierte man das 150-jährige Jubiläum der Traditionsapotheke, die für historisch interessierte Besucher sogar mit einem kleinen Apothekenmuseum aufwartet.
Opfer eines legalen Diebstahls
Ein weiteres Ärgernis, mit dem sich Klaus-Hartmut Iltgen gerade herumschlagen muss, ist das leidige Retax-Thema. „Das ist für mich eine unmoralische institutionalisierte Form der Geldbeschaffung durch die Krankenkassen.“ Erst unlängst hat ihn eine Krankenkasse für ein 5.000 € teures Hochpreismedikament wegen eines kleinen Flüchtigkeitsfehlers einer Mitarbeitern auf null retaxiert. „Dafür kann ich 650 Rezepte umsonst beliefern. Das geht überhaupt nicht. So geht man pleite!“ Er will sich das aber nicht gefallen lassen, sondern mit allen juristischen Mitteln dagegen angehen.
Klaus-Hartmut Iltgen ist Apotheker aus Leidenschaft – und ernsthaft besorgt, dass seine und die Arbeit vieler Kollegen von der Politik kaputtgespart wird.
Dieser Ärger ist sehr gut nachvollziehbar, zumal viele Krankenkassen geradezu ein Geschäftsmodell daraus entwickelt haben, Ärzte, Apotheker und andere Heilberufler mit dubiosen Regress- und Retax-Forderungen meist völlig zu Unrecht abzuzocken. Erst kürzlich hat der Vorstandschef des BKK-Dachverbands, Franz Knieps, erklärt, dass „der GKV ein erheblicher Schaden drohe, sollte die Möglichkeit der Nullretaxation wegfallen“. Welch absurde Logik! Iltgen kommentiert diese Praxis mit einer Prise Sarkasmus: „Nicht, dass die Krankenkassen womöglich pleitegehen, wenn ihnen plötzlich verwehrt wird, die Leistungserbringer im Gesundheitssystem weiter zu betrügen…“
Zum Glück ist die Debatte über die Auswüchse der Retax-Praxis mittlerweile auch im politischen Berlin angekommen. Und es gab dazu auch bereits klare Statements verschiedener Gesundheitspolitiker, die sich klar für eine Abschaffung insbesondere der Nullretaxation ausgesprochen haben. Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL), brachte es unlängst so auf den Punkt: „Retax ist Diebstahl – zumindest bei unbedeutenden Formfehlern.“ Das sieht Klaus-Hartmut Iltgen wohl ganz gleich.
Dr. Hubert Ortner
Biochemiker
Chefredakteur des AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT
Experte für Handels- und Wirtschaftsthemen