Nun hat es auf den letzten Metern doch noch geklappt: Die umstrittene Cannabis-Teillegalisierung ist in Kraft. Aber wie lange? Aus der CDU ist bereits zu hören, dass man dies wieder zurückdrehen will. Zweiter Aufschlag Apotheke?
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Über das Für und Wider von Cannabis wird seit Langem erbittert gestritten. Eine sachliche, wissenschaftlich fundierte Linie zu halten fällt da schwer. Nicht zuletzt geht es auch um potenziell hochlukrative Märkte, die man nun mit den quasi genossenschaftlich-gewinnfrei arbeitenden „Cannabisclubs“ noch künstlich beschränkt. Aber wie lange? Sichten wir die Positionen und möglichen Chancen.
Hobbyanbau im pharmazeutischen Nirwana
Wir alle wissen, welch hohen Einfluss Art bzw. Unterart, Anbaumethoden, Erntezeitpunkte, Licht, Luft und Wasser und manches mehr auf den Wirkstoffgehalt in (Arznei-)Drogen hat. Auch kennen wir Pharmazeuten den Aufwand und die Tücken der Analytik (um überhaupt Wirkstoffgehalte zuverlässig quantifizieren zu können), der Drogenaufbereitung und schlussendlich der richtigen Anwendung, typischerweise durch die Formulierung von geeigneten Arzneiformen gewährleistet. Hinter all dem stehen bei der jetzigen Teillegalisierung größte Fragezeichen. Vielleicht mögen (größere) Anbauclubs akzeptable Lösungen finden – der heimische Anbau auf dem Fensterbrett wird keinerlei ernsthafte pharmazeutische Ansprüche an eine durchaus ja wirksame Arznei- und Genussdroge erfüllen können.
Viel wird jetzt davon abhängen, inwieweit sich die Legalisierung praktisch durchsetzen wird. Tatsache ist ja ebenfalls, dass die im Grunde grottenschlechte Legalisierung mit so vielen Fallstricken im täglichen Umgang gespickt ist, dass einige Zweifel bestehen, ob „der Markt“ das Angebot überhaupt nennenswert annimmt. Bundesländer wie Bayern haben zudem angekündigt, dass sie die Gesetze äußerst restriktiv auslegen wollen, wozu dieser Regelwirrwarr vielerlei Anhaltspunkte bietet. Andererseits ist der Geist dann aus der Flasche. Ebenso fraglich ist, ob eine neue Bundesregierung die „Cannabis-Uhr“ einfach wieder vor den 01. April (sic!) 2024 zurückstellen kann, kraftvolle Ankündigungen hin oder her. Somit steht eine Reformierung der Legalisierung mit fachlichem Sachverstand im Raum. An dieser Stelle könnten die Apotheken doch wieder ins Spiel kommen. Sie täten dieses Mal gut daran, den zweiten Aufschlag zu nutzen, nicht zuletzt, weil sie mit sonstigen Forderungen zur Einkommensverbesserung bislang weitestgehend abgeblitzt sind. Ob eine neue Regierung plötzlich das Rx-Honorarfüllhorn ausschüttet, mag trotz vollmundiger Versprechen einiger Randfiguren im Politikbetrieb mehr als zweifelhaft sein. Das Füllhorn könnte aber Cannabis heißen. Ein Blick auf das Marktpotenzial sollte die Augen öffnen (Abbildung 1), vor allem, wenn man das den gegenwärtigen Hauptertragsquellen gegenüberstellt.
Abbildung 1: Cannabis-Marktpotenzial, hochgerechnet aus kanadischen Erfahrungsdaten
Ausgehend von den Erfahrungen mit der Legalisierung in Kanada, wurden die dortigen Mengen auf unsere gut doppelt so große Bevölkerung hochgerechnet. Realistisch könnten um die 1.000 Tonnen legales Cannabis-Kraut sein, pro Apotheke um die 60 Kilogramm im Jahr, wenn sich denn alle gleichermaßen beteiligen würden – was sie ja nicht müssten. 3 bis 4 Euro Ertrag (nicht Umsatz) je Gramm sind sehr realistisch, um auf einen „konkurrenzfähigen“ Verkaufspreis um rund 10 Euro zu kommen. Damit winken theoretisch jeder Apotheke 180.000 € bis 240.000 € zusätzlich. Angesichts von gut 700.000 € Gesamt-Rohertrag einer durchschnittlichen Offizin-Apotheke wäre das schon ein gewichtiges Pfund in der Ertragsbilanz. Die reinen Cannabis-Herstellkosten (Anbau, Konfektionierung) liegen nach internationalen Erfahrungen um 1 Euro bis hoch gegriffen 2 Euro je Gramm. Eine Kalkulation je Gramm Cannabisblüten könnte beispielhaft so aussehen wie in Abbildung 2. Hier ist sogar noch eine 20%ige Sondersteuer mit vorgesehen.
Abbildung 2: Eine Cannabis-Beispielkalkulation auf Grammbasis
Bei dieser Rechnung verdienen die Apotheken auf Ebene Rohertrag rund 4 Milliarden Euro im Jahr, der Staat noch einmal 2,5 bis 3 Milliarden Euro. Die Apotheken sind Gewähr dafür, dass nur „gutes“, pharmazeutisch einwandfreies „Gras“ in den Handel gelangt, und zudem nur an die Personen, für welche es zulässig bzw. medizinisch vertretbar ist. Nüchtern betrachtet, eine Win-win-Situation, und man fragt sich, warum die Apotheken keinerlei Anstalten gemacht haben (trotz Signalen aus der Politik), sich um diese Chance zu bemühen. 12 € Rx-Packungshonorar zu fordern (um dann absehbar nichts zu bekommen) ist natürlich einfacher. Wie hieß es schon immer: „Apotheker – Beruf der verpassten Chancen.“
Angesichts der schlechten Gesetzesvorlage, die mit Sicherheit auf die eine oder andere Weise in nicht allzu ferner Zukunft korrigiert werden wird, bekommen die Apotheken vielleicht die Möglichkeit eines zweiten Aufschlages. Sie sollten sie in diesen Zeiten dringend nutzen. So viele neue Märkte mit diesem Potenzial gibt es auch wieder nicht. Und zudem kann man mit dem richtigen Spirit wirklich segensreich für die Gesellschaft tätig werden. Helfen Sie sich notfalls damit, dass Cannabis-Kunden ähnlich wie OTC-Kunden zu betrachten sind, die nach Johanniskraut, Lavendelöl oder Baldrian fragen. Diese werden auch gut beraten und adäquat versorgt – Ihre originäre Aufgabe! Und trotzdem machen Sie letztlich ihre Gewinne nach wie vor mit Produkten, und zwar wesentlich einfacher als mit aufwändigen neuen Dienstleistungen, bei welchen Sie froh sein müssen, Ihre Arbeitszeit abgegolten zu bekommen.
„Zwei Finger voll gehandelt sind besser als zwei Hände voll gearbeitet!“
(alter Kaufmannsspruch)
Prof. Dr. Reinhard Herzog
Apotheker
Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.