Deutscher Apothekertag 2024
„Sie wollen nichts ändern, nur mehr Geld!“

Dr. Hubert Ortner

Der böse Lauterbach und die armen Apothekers – eine Tragödie in mehreren Akten. 3. Akt: der Deutsche Apothekertag 2024. Bei den strittigen Fragen zur Honorarreform und den „Apotheken light“ reden die Protagnisten – wie schon in den vorausgegangenen Akten – völlig aneinander vorbei. Emotional war es der erwartbare Punktesieg für ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening, argumentativ hatte der Bundesgesundheitsminister klar die Nase vorn. Eine kommentierende Analyse von AWA-Chefredakteur Dr. Hubert Ortner.

Die Fronten zwischen BGM Karl Lauterbach und der ABDA sind extrem verhärtet – 
wer dadurch den größeren Schaden hat, ist offensichtlich. 
(Quelle: AdobeStock_Jafree) 

Wie schon im Jahr davor war Karl Lauterbach auch diesmal nicht persönlich anwesend, sondern per Videoschaltung dem Deutschen Apothekertag in München zugeschaltet. Seine Schlüsselbotschaft bringt der Bundesgesundheitsminister nach anfänglichem Eigenlob genauso prägnant wie zutreffend auf den Punkt: „Ihre Strategie, alles soll möglichst so bleiben, wie es ist, nur das Honorar erhöht werden, wird nicht aufgehen.“ Einmal mehr erläutert er das Prinzip, das er all seinen Reformvorhaben zugrunde legt: keine Honorarreform ohne gleichzeitige Strukturreform. Denn man habe keine guten Erfahrungen mit dem „typisch deutschen Reformmodell“ gemacht, so Lauterbach weiter, „ein nicht funktionierendes System dadurch zu stabilisieren, dass man einfach mehr Geld hineingibt“.

Böser Fauxpas

Das war freilich harter Tobak für die Delegierten, dass der Bundesgesundheitsminister das bewährte deutsche Apothekensystem, das gerade erst in der Corona-Pandemie bewiesen hatte, wie robust und leistungsfähig es ist, mit einem Halbsatz als dysfunktional abkanzelt. Dementsprechend harsch fielen die Reaktionen darauf aus – unter anderem wurde er in einem von Dr. Christian Fehske eingebrachten Ad-hoc-Antrag aufgefordert, „klar zu benennen, welche Aspekte des Apothekenwesens so wenig funktionieren, dass eine Strukturreform zwingend erforderlich sei“. Was ihn geritten hat, sich diesen Fauxpas zu leisten, bleibe sein Geheimnis.

Wenn alle so überzeugt sind, dass die Bevölkerung unbedingt mehr Apotheken möchte: Warum wagt man dann nicht mehr Selbstzahler-Leistungen, wie die Ärzte es vormachen? Und wenn die Honorare z. B. für pharmazeutische Dienstleistungen ohnehin immer viel zu niedrig ausfallen, wieso wagt man dann nicht einen kreativen Ausbruch aus bisherigen Korsetts?

Im Übrigen verteidigte Lauterbach seine Vorschläge aus dem Apothekenreformgesetz (ApoRG): Kurzfristig sollen die Anhebung des Fixums (bei gleichzeitiger Senkung des variablen Zuschlags), eine höhere Notdienstvergütung sowie die Wiederzulassung von Großhandelsskonti für Entlastung sorgen. Mittelfristig (ab 2027) könnten die Apotheken ihr Honorar direkt mit den Krankenkassen verhandeln. „Damit kommen Sie endlich aus diesem starren System heraus“, so Lauterbach. Schließlich seien die Apotheker die letzten unter den Heilberufen, die sich mit den Pauschalen „selbst eingefroren“ hätten.

 

Larmoyante Laienschauspieler

Dazu ist zweierlei zu sagen: 

  • 1) Die Apotheker angesichts der drastisch gestiegenen Kosten der letzten zwei Jahre auf eine ferne Zukunft ab 2007 zu verweisen, zeugt von einer gewissen Ignoranz der aktuellen Situation: Zwar sind längst nicht alle Apotheken notleidend, wie uns die ABDA kontinuierlich glauben machen möchte. Aber die Zahl der Betriebe aus dem unterem Drittel, die gerade so (und bald überhaupt nicht mehr) über die Runden kommen, hat durch den hohen Kostendruck zuletzt deutlich zugenommen. Erschwerend kommen die weggefallenen Großhandels-Skonti hinzu. Insofern brauchen vor allem die schwächelnden Apothekenbetriebe so schnell wie möglich einen Kostenausgleich! So gesehen ist Lauterbachs Vertröstung, man möge durchhalten, denn ab 2027 würden die Krankenkassen ja bestimmt das große Füllhorn über den Apotheken ausschütten, wenig wert: In drei Jahren werden diese Apotheken nämlich zu einem großen Teil ihre Segel bereits gestrichen haben. Womöglich ist das aber auch das (zynische) Kalkül eines Politikers, der seine Vorliebe für zentralisierte Strukturen noch nie verhehlt hatte.
  • 2) Apropos großes Füllhorn: Wer ernsthaft damit rechnet, dass die Laienschauspielgruppe der ehrenamtlichen ABDA-Verhandler den ausgebufften GKV-Profis auch nur annähernd gewachsen ist, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann. Viel realistischer als eine Honorarerhöhung ist unter diesen Vorzeichen, dass die Honorare weiter eingefroren bleiben oder gar schrumpfen. Dafür jedoch dem Bundesgesundheitsminister den schwarzen Peter zuzuschieben, ist jedoch lächerlich: Ist es seine Verantwortung, dass sich die Branche mit solchen Laien an der Spitze ihrer Standesvertretung zufriedengibt? Bestimmt nicht.

 

„Kleiner Dissens“

Beim zweiten großen Streitpunkt neben der Honorarfrage – den „Apotheken ohne Apotheker“ – konstatierte der Bundesgesundheitsminister einen „kleinen Dissens“ mit der Apothekerschaft. Das klingt vor dem Hintergrund der massiven Proteste der letzten Monate gegen diesen Teil des ApoRG geradezu niedlich. Auch hierzu bekräftigte Lauterbach in München seinen bekannte Position: Er sei fest davon überzeugt, dass eine qualitativ hochwertige Beratung durch Apotheker telepharmazeutisch genauso gut möglich sei wie in Präsenz. Für ihn liege darin sogar der Schlüssel, das Apothekensterben aufzuhalten. Denn: „Europaweit sinkt die Bereitschaft, bei einer vollen Präsenzpflicht noch eine Apotheke auf dem Land zu gründen.“ Dafür erntet er erwartungsgemäß scharfe Kritik. Deren Grundtenor lautet: Durch solche „Apotheken light“ werde die bislang hohe Qualität der Versorgung deutlich schlechter, nur die persönliche Präsenz des Apothekers würde diese sicherstellen.

Tatsächlich ist die mit dieser Kritik mitschwingende Unterstellung, Lauterbach wolle damit die bisherige Apothekenstruktur „aushöhlen“ oder gar „zerstören“, absurd. Er betont mehrfach, dass es ihm um mehr Flexibilität gehe, die übrigens auf vergangenen Apothekertagen lautstark gefordert worden war. Schließlich werde kein Apotheker gezwungen, seinem Betrieb fernzubleiben. Wer befürchtet, die Qualität der Beratung würde darunter leiden, müsse von dieser Regelung ja nicht Gebrauch machen.

Lauterbachs stärkstes Argument gegen die Kritiker ist ein Widerspruch, der der ABDA noch auf die Füße fallen dürfte: „Wieso“, lautet seine Frage an die Delegierten, „sollte die telepharmazeutische Beratung eines Patienten in der Filiale durch den extern zugeschalteten Apotheker von minderer Qualität sein, als die telepharmazeutische Beratung eines kranken Patienten zuhause durch den Apotheker in seiner Offizin?“ Dass letztere Form der Telepharmazie sich genauso wenig aufhalten lassen wird wie die Telemedizin, dürfte selbst den hartnäckigsten Vertretern einer 100 % analogen Pharmazie klar sein. Die unnützen Diskussionen darüber, dass der Gesundheitsminister einen anderen Begriff für Telepharmazie verwendet, als den in zahlreichen Gremiensitzungen offiziell definierten, zeugen übrigens von einer Liebe zur Kleinkariertheit, wie man sie in wenigen anderen Branchen finden dürfte…

Für mehr freien Markt reicht der Mut dann doch nicht ...

Im Vergleich dazu wirkt die Replik von ABDA-Chefin Gabriele Overwiening emotional überladen, gewohnt larmoyant und in der Sache wenig zielführend. Sie wiederholt die bekannten Positionen, Lauterbachs Hauptkritikpunkte bleiben in der Sache unwidersprochen. Für ihre Rede hat sie einen neuen Slogan aus der bunten ABDA-Marketingschatulle nach München mitgebracht: „Mehr Apotheke wagen“. Wie blumig ist das denn…? Geht es nach Lauterbach, dann dürfen wir so viel Apotheke wagen, wie wir wollen, solange es seinen Etat oder die Beitragszahler nicht mit zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe belastet.

Wenn übrigens alle so überzeugt sind, dass die Bevölkerung unbedingt mehr Apotheken möchte: Warum wagt die Apothekerschaft dann nicht mehr Selbstzahler-Leistungen, so wie es die Ärzte schon lange vormachen? Und wenn die Honorare z.B. für pharmazeutische Dienstleistungen (vermeintlich?) viel zu niedrig sind, warum wagt man dann nicht einen kreativen Ausbruch aus bisherigen Korsetts? Oder fehlt dazu dann doch wieder der Mut? Genauso wie beim Thema Strukturreform, wo die ABDA trotz mehrfacher Aufforderung durch die Politik einen eigenen Vorschlag bislang konsequent schuldig geblieben ist. Warum wohl ...?

Demokratie à la ABDA:  

Das Parlament als Debattierclub

Overwienings Aufruf zur Geschlossenheit – ein festes Ritual auf Apothekertagen – wirkt vor dem Hintergrund der unterirdischen ABDA-Performance bizarr: Wenn ich selbst schon nichts erreiche und dann auch noch denjenigen einen Maulkorb verpassen will, die es anders angehen würden, dann zeigt das, worum es wirklich geht: um die Absicherung der eigenen Pfründe und Machtpositionen, selbst wenn das zu Lasten der Mitglieder geht. Die geplante Satzungsänderung zum Deutschen Apothekertag ist der schlagende Beweis dafür, wurde zum Glück aber durch einen Ad-hoc-Antrag zumindest in Frage gestellt. Was für ein sonderbares Verständnis von Demokratie, dabei hatte man sich immer so viel auf den Apothekertag als dem „Parlament der Apothekerschaft“ eingebildet. Ein Parlament, dessen Beschlüsse für die Regierung nur noch empfehlenden Charakter haben sollen – das ist ein schlechter Witz!

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA - APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de