Neue Tarife: Einen Hunderter mehr plus …?

Lange haben wir auf den diesjährigen Tarifabschluss der Apotheken-Mitarbeitervertretung ADEXA mit der Arbeitgeberseite der Apotheken (ADA) gewartet. Es kreißte der Berg und gebar am Ende nur eine Maus – oder doch mehr? Schauen wir auf die Konsequenzen.

© Reinhard Herzog 2024 

Der monetäre Teil des Abschlusses lässt sich leicht überschlagen: Für die allermeisten gibt es rund 100 € mehr monatlich je Vollzeitstelle. Das ist ein prozentuales Plus von, je nach Gehaltslevel, rund 4,5 % (PKA zweite Gehaltsstufe) bis hinab zu 2,1 % (höchste Approbiertengehaltsstufe). Etwas mehr gibt es mit plus 150 € für die Eingangsbesoldungen, das sind knapp 7,0 % (PKA erste zwei Berufsjahre) bis rund 3,9 % (Approbierte 1. Jahr). 

Die Ausbildungsvergütungen steigen um fast 5 % bis gut 7 % auf „runde“ Beträge (neu: 1.100 € für Pharmaziepraktikanten, 850 € für PTA in ihrem Praktikumshalbjahr, 850 €, 900 € und 950 € für die PKA in den drei Ausbildungsjahren).

Die Praxis

Mit monatlich einem „Hunderter“ sind Sie je Vollzeitstelle also mehrheitlich dabei. Plus Nebenkosten und 13. Gehalt addiert sich das zu rund 1.600 € Gesamtkosten je Jahr. Bei sieben adressierten Vollzeitstellen (Boten, kaufmännische Hilfskräfte, Reinigungsdienst etc. sind ja nicht betroffen) macht das gut 11.000 € Zusatzkosten. Rechnen wir noch mit ein, zwei Einstiegsstufen (diese verteuern sich um rund 2.400 € p.a.), dann kommen wir vielleicht auf 12.000 € bis knapp 13.000 €. Diese werden in 2024 allerdings nur zur Hälfte wirksam, denn die neuen Gehälter gelten erst ab Juli 2024. Damit reden wir von um die 6.000 € bis 6.500 € oder größenordnungsmäßig 2 % der Lohnkosten einer solchen Apotheke. Das erscheint sehr überschaubar.

In 2025 beträgt der Zuwachs gegenüber der alten Situation im 1. Halbjahr 2024 um die 4 %. Das sind ebenfalls noch überschaubare Größenordnungen, ebenso wie die nächste Erhöhung von 3,0 % dann erst zum 1. Januar 2026; in 2025 ist somit Ruhe an der tariflichen Lohnfront.

Tipp: Immerhin ist bis Ende Jahr noch die Inflationsausgleichsprämie eine Option. Falls Sie die 3.000 € noch nicht ausgenutzt haben (diese Grenze gilt absolut über den gesamten Zeitraum ab Einführung dieser Sonderzahlung), nutzen Sie diese seltene Chance einer „Brutto-für-netto“-Zahlung und sorgen Sie so für zufriedenere Gesichter, zudem auch für Sie nebenkostenfrei!

Knackpunkt Arbeitszeit

Allerdings bleibt noch ein weiterer, wohl der praxisrelevantere Teil – die Arbeitszeitverkürzung. Während das Lohnthema angesichts der überwiegend deutlich übertariflichen Vergütung individuell umgesetzt werden kann, mit entsprechenden Gestaltungsoptionen, hat die Arbeitszeitverkürzung schon einen wegweisenden Charakter, welcher sich Inhaber nur entziehen können, wenn sie nicht tarifgebunden sind. Und selbst dann wird es ein Thema im Team.

Zwar geht es nur um eine Wochenstunde weniger (39 statt 40 Stunden). Es kommen bei 44 tatsächlich gearbeiteten Wochen im Jahr (nach Abzug von Urlaub und Krankheit) aber doch 44 Stunden weniger zusammen. Zudem gibt es einen Urlaubstag mehr, nochmals rund 8 Stunden. Das addiert zu etwa 52 Stunden im Jahr oder knapp 3 % der Arbeitskapazität. Die prozentualen Lohnsteigerungen oben sind also insoweit zusätzlich um diese 3 % zu erhöhen. Die Modellapotheke mit ihren sieben Vollzeitstellen verliert insoweit gut 360 Stunden jährlich. Bundesweit entspricht das gut 3.000 Stellen. Das meiste davon wird schlicht in Arbeitsverdichtung aufgehen. Nichtsdestotrotz kann die Personalplanung an manchen Stellen noch mehr als heute schon haken, Stichwort Randzeiten oder die ungeliebten Samstage oder Notdienste. Es fehlt dann eben doch die eine oder andere Stunde. Praktisch können Sie nun noch mit 1.700 Stunden (oder etwas weniger) an effektiv erbrachter Arbeitszeit für eine Vollzeitstelle rechnen, statt bislang um die 1.750 bei nicht allzu hohen Krankenständen. Eine Beispielberechnung zeigt die Abbildung.

 

Abb. 1: Beispielkalkulation effektive Jahres-Arbeitszeit bisher und künftig

Seitenblick in andere Branchen

Was wurde andernorts erreicht? In der chemischen Industrie steigen die Tarifgehälter in 2024 im Schnitt um 6,85 %. Bei den Ärzten an den Unikliniken stehen 10,0 % an Lohnzuwachs zu Buche (in zwei Stufen: 4,0 % ab April 2024, 6,0 % ab Februar 2025, Laufzeit bis Ende März 2026), plus eine Verringerung der Wochenarbeitszeit um 2 Stunden (von 42 auf 40 Stunden). Unter dem Strich steht damit eine Erhöhung der Stundenvergütung um rund 15 %. Im Einzelhandel, Beispiel Baden-Württemberg, gibt es 5,3 % ab Oktober 2023, und weitere 4,7 % ab April 2024. Ab April 2025 gibt es dann 40 € monatlich fest und zusätzlich 1,8 %. Im Spätsommer 2024 füllen zudem 1.000 € Inflationsausgleichsprämie je Vollzeitstelle die zuvor geleerte Urlaubskasse.

Ohne Frage – die Attraktivität der Apothekenberufe steigt damit nicht gerade. Berufe, die allerdings unter einem hohen Rationalisierungs- und Verdrängungsdruck stehen. Immer noch sinkt die Apothekenzahl beträchtlich, sich wohl weiter beschleunigend, ohne dass in der Breite nun der Arzneiversorgungs-Notstand ausbricht. Und große Teile der Apothekentätigkeiten sind prinzipiell automatisierbar. Keiner will das wahrhaben, fast jeder weiß es aber im Grunde und hofft auf die weiter schützende Hand des Gesetzgebers. Die Ideen in der geplanten Apothekenreform sind jedoch ein Weckruf, selbst wenn dort manches doch noch abgewendet werden sollte. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Fazit

In Zeiten des Fachkräftemangels und der demografischen Herausforderungen die Arbeitszeit zu verkürzen und den Urlaub zu verlängern, sendet die völlig falschen Signale. Eher das Gegenteil wäre nötig - längere Arbeitszeiten, weniger Urlaub, weniger Feiertage. International liegen wir hinsichtlich effektiver Jahres-Arbeitszeiten weit zurück - leisten uns aber einen der teuersten Sozialstaaten und haben auch sonst gesellschaftspolitisch so einiges vor der Brust.

Ja, das klingt alles wirklich nicht schön. Doch es sind nackte Tatsachen, unter Ökonomen unumstritten. Alle müssen mehr ran - und dann gerne für bessere Löhne. Von nichts kommt andererseits auch nichts. Wir befinden uns gesellschaftlich und ökonomisch bereits geraume Zeit und aus verschiedensten Gründen auf einer schiefen Ebene. Wir können diesen schön bequemen Weg abwärts so weitergehen - und werden uns am Ende auf einem ganz anderen Wohlstandslevel wiederfinden, nämlich einige Etagen tiefer. Für die Inhaber und Inhaberinnen ist dieser Weg abwärts jedoch alles andere als bequem. Schlimmstenfalls kostet er ihre Existenz. Bestenfalls bestätigt sich nur das Bonmot, jetzt nochmals verstärkt: Selbstständig sein heißt "arbeitet ständig selbst". Solange noch genügend viele dieses Spiel mitmachen.

 „Je mehr Vergnügen du an deiner Arbeit hast, umso besser wird sie bezahlt.“ (Mark Twain)

„Man sollte sein Geld nicht mit dem Hintern verdienen, sondern mit seinem Kopf.“ (Honoré de Balzac, französischer Philosoph und Romanautor)

 

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Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.