Die große Mehrheit der Apotheken spart und kürzt gerade. Ist es da nicht eine clevere Idee, genau das Gegenteil zu tun und kräftig zu investieren, um den „Sparkönigen“ im Umfeld Kunden abspenstig zu machen? Von den Chancen und Risiken des „antizyklischen Handelns“ …
© Reinhard Herzog 2024
Zurzeit ist allenthalben „Cost-Cutting“ angesagt, selbst wenn es schwerfällt und im Grunde eher mehr Personalkapazitäten und Ressourcen benötigt würden. Zur Wahrheit gehört freilich, dass allzu viele Apotheken eher einem etwas vernachlässigten Hundefell gleichen, in welchem sich zahlreiche Flöhe, Zecken und anderes saugendes Kleingetier bequem eingerichtet haben. Da gehört von Zeit zu Zeit einmal durchgekämmt. Und natürlich kommt so auch der Posten „Marketing“ auf den Prüfstand. Zwischen 0,5 % und knapp 1 % des Umsatzes werden hierfür mehrheitlich aufgewandt. Die größten Posten nach wie vor: Kundenzeitungen, allerlei Zugaben sowie Rabattsysteme („Taler“, Rabattmarken, bzw. heute digitale Pendants).
Um nun rational über die Sinnhaftigkeit entscheiden zu können, sollten Sie nicht nur die absoluten Beträge betrachten, sondern diese stets noch spezifisch auf die Zahl Ihrer Kunden umlegen (= Gesamtkosten Marketing geteilt durch die Bonkundenzahl in der Apotheke). Unter Marketing sind in jedem Falle alle Zugaben und Goodies, Aufwendungen für Flyer, Internetwerbung, Schaufenster, Aktionen usw. sowie die erwähnten Prämiensysteme zu verstehen. Pro Kunde umgerechnet sind das im Schnitt häufig zwischen 0,30 € bis 0,50 €. Manch einer wendet gegen 1,00 € auf.
In einer erweiterten Betrachtung sind ehrlicherweise zudem die entgangenen Roherträge durch (aktionsgetriebene) Preissenkungen in die Marketingkosten einzubeziehen. Wer nur ein Viertel seines Frei- und Sichtwahlumsatzes 10 % vergünstigt abgibt, verzichtet im Schnitt bei angenommen 400.000 € insgesamt frei kalkulierbarem Umsatz auf gut und gerne 10.000 € im Jahr oder weitere 0,20 € je Kunde (über alle gerechnet).
Weitere Kennzahlen auf dem Weg zur Entscheidungsfindung sind der gesamte Betriebs-Rohertrag, seine Gesamtkosten und der verbleibende Gewinn – und zwar ebenfalls jeweils wiederum pro Kunde umgerechnet.
Und wie hoch sind die Mindestkosten, wieder stets je Kunde berechnet? Das sind erst einmal alle Betriebskosten ohne das reine Handverkaufspersonal. Für letzteres rechnen Sie noch einmal eine Mindest-Bedienzeit von z.B. 2 Minuten zu realistischen 0,75 € je Minute für Nicht-Rezeptkunden obenauf. Im Durchschnitt kommen Sie auf Werte im Bereich von bestenfalls 6,50 € bis gern gegen 8,00 € - das ist letztlich der Mindest-Rohertrag, der jeder wie auch immer angelockte Kunde eigentlich kaufmännisch einbringen müsste. Und da haben Sie noch keinen Cent verdient, sondern nur nicht draufgelegt! Real brauchen Sie im Minimum einen oder zwei Euro obenauf, also um 7,50 € bis 10,00 € Rohertrag je Neukundenbesuch. Und das läge immer noch deutlich unter den typischen Ertragswerten je Kunde (12,50 € bis 15,00 € bei mindestens 3,00 € Gewinn je Kunde; hier sind allerdings die aufwändigeren Rezeptkunden enthalten).
Last but not least: Wie steht es um Ihre Auslastung, nach Tageszeit und Wochentagen aufgeschlüsselt? Arbeitet der Betrieb an den meisten Tagen am Limit oder gar darüber hinaus (permanenter Überlastungszustand), kann also im Grunde kaum mehr neue Kunden vertragen? Oder bestehen noch freie Kapazitäten? Rein subjektive Einschätzungen reichen allein nicht. Vielmehr sollten Sie Zeiten guter Auslastung (aber nicht Überlastung), in denen alles noch „rund“ läuft, zum Maßstab nehmen.
Provokativ: Brauchen Sie überhaupt mehr Kunden?
Es mag defätistisch klingen, denn sind die Kundenzahlen nicht eine der wichtigsten Erfolgsgrößen? Ja und nein. Es kommt schlicht auf die Kunden an – und welchen Aufwand sie erfordern. Nebenbei: Es ist heute nicht unüblich, dass Anbieter keine neuen Kunden mehr annehmen, siehe Praxen oder Handwerker.
Die obigen Zahlen illustrieren bereits die Marschroute (siehe auch die Abbildung 1): Werden gewisse Mindesterträge nicht erreicht, kaufen Sie sich zusätzliche Arbeit ein. Zwar fallen die meisten Betriebskosten sowieso an („So-da-Kosten“ – die sind eben so da …). Da wäre man geneigt, nur die wirklich variablen Kosten (Bedienkosten am HV, echte Handlingkosten im Backoffice, prozentuale Abgaben) zugrunde zu legen. Das sind dann, bei minimalistischen 2 bis 3 Minuten Bedienzeit und Handlingkosten von 0,70 € bis 0,80 € je Packung, nur noch um die 2,50 € je Kunde. Jede weitere Minute am HV zählt 0,75 € zusätzlich.
Abb. 1: Entscheidungshilfe zur (Neu-)Kundengewinnung – eher durchstarten oder lieber auf die Kostenbremse treten?
Das geht aber nur auf, wenn Sie freie Kapazitäten haben. Dann kann auch ein zusätzlicher Kunde mit nur 4,00 € oder 5,00 € Rohertrag insoweit rentabel sein, denn er liefert einen Deckungsbeitrag über die reinen für ihn aufgewandten (Zeit-)Kosten hinaus. So kann man ehrlicherweise aber nur für einen kleinen Teil an Zusatzkunden kalkulieren, die man gerne noch obenauf bei mangelnder Auslastung mitnimmt. Einen ganzen Betrieb kann man so nicht tragen. Und eine entscheidende Frage steht eben auch noch aus: Was kostet die Akquise? Da kommen wieder die Marketingkosten pro Kunde ins Spiel. Gern stehen da 0,50 € (oder gar mehr) für nette Zugaben und teils weitaus höhere Rohertragsminderungen infolge von „Lockpreisen“ im Raum.
Die Richtung ist also insoweit klar: Wer „Däumchen dreht“ und über reichlich freie Ressourcen verfügt, kann (und muss womöglich) tatsächlich schärfer kalkulieren und in der Not mit Fliegen zufrieden sein – wenn er nicht lieber seine Kapazitäten nach unten anpassen will oder kann. Ansonsten lohnt teure Neukunden-Akquise in heutiger Zeit nur, wenn die oben erwähnten, wirklich vollkostendeckenden Roherträge plus Gewinnbeitrag erzielt werden. Dabei gilt: Nur auf einer fetten Wiese lässt sich trefflich weiden und gern mal gegen den Strom rechts und links grasen, und fett bedeutet: Wie viele Rezepte, besonders gern Privatverordnungen, lassen sich anlocken? Sind überhaupt genügend Rezepte, heute elektronisch mit nochmals anderen Implikationen, im Umlauf, die Sie zu sich ziehen können? Dann lohnt es, sich zu „strecken“ – aber nicht für zusätzliche Gelegenheitskunden auf der Suche nach dem günstigsten Angebot. Diese Beurteilung fällt in einer kompetitiven Großstadtlage anders aus als in Randlagen oder auf dem Land.
Inverse Betrachtung
Im allgemeinen Strom des „Cost-Cutting“ könnte aber Ihr wertvollstes Kapital unter die Räder kommen – Ihre (Rezept-)Stammkunden. Grundsätzlich ist es immer schwierig, Menschen etwas Gewohntes wegzunehmen. Das funktioniert am ehesten, wenn die Leistung sowieso kaum geschätzt wurde. Da fallen einem als erstes die teils zwanghaft angebotenen Papiertaschentücher und Kinder-Traubenzucker ein. Im Zuge der medialen Umbrüche kamen bereits die (Wand-)Kalender unter die Räder, und inzwischen werden es mehr und mehr die (teuren) Kundenzeitungen. Deshalb empfiehlt es sich, bei diesen Goodies sorgfältig die Akzeptanz zu analysieren, u.a. mit konkreten Befragungen. Was wirklich geschätzt wird, sollte nicht leichtfertig gestrichen werden. Vielleicht kommunizieren Sie künftig den Wert Ihrer Goodies besser (zu denen übrigens auch Leistungen wie Botendienste, spezielle Aktionen usw. zählen können), und packen diese in ein Stammkundenprogramm nur für im Rechner angelegte Kunden mit einer gewissen Mindestfrequenz. So reduzieren Sie Streuverluste.
Antizyklisch handeln?
Die Antwort ist ein typisches „Jein“. Im allgemeinen Jammer- und Kostensparstrom mitzuschwimmen ist genauso suboptimal wie sich nach der Maxime „nun erst recht“ zu teuer aus dem Fenster zu lehnen. Immer steht die Frage im Raum, was überhaupt im direkten Umfeld zu holen ist, und ob das, was ich mir zusätzlich ins Haus hole, überhaupt meine Rendite steigern wird.
Es geht somit nicht um antizyklisches, sondern intelligenteres Handeln – zielgerichtet, auf den „Customer Value“ ausgerichtet. Mehr Kunden sind schön – wenn es die richtigen sind, und nicht um jeden Preis. So viel sollten Sie sich auch selbst wert sein. Profis springen nicht mehr über jedes (Marketing-)Stöckchen.
„Spare, ohne zu geizen, und lebe ohne zu verschwenden.“ (Konfuzius)
„Rabatt ist der nachträgliche Abzug auf einen Aufschlag.“ (Kaufmännische Weisheit)
„Spare, wenn Du kannst, und nicht, wenn Du musst.“ (John D. Rockefeller)
Prof. Dr. Reinhard Herzog
Apotheker
Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.