Wackelt jetzt auch noch die Rente der Versorgungswerke? Meldungen wie unlängst diejenigen zur Apothekerversorgung in Schleswig-Holstein haben für Unruhe gesorgt. Da liegt die Überlegung nahe: Wie viel „Kleingeld“ braucht man für die „finanzielle Freiheit“ im Alter?
© Reinhard Herzog
Dieses Thema wird in vielen Publikationen herauf und herunter gespielt, nicht zuletzt aus eigener Interessenlage, wenn beispielsweise Vermögensverwalter oder Fondsanbieter dahinter stehen. Dabei ist diese Frage äußert vielschichtig, genau wie die vielen individuellen Lebenssachverhalte. Unterhalten wir uns also zuerst über die wichtigsten Einflussgrößen, welche es zu beachten gilt.
Die wichtigsten Randbedingungen
Gehen wir davon aus, dass Sie völlig unabhängig von der Rente oder sonstigen Versorgungsansprüchen wie Pachten oder Mieten kalkulieren, also notfalls auch deren Wegfall wegstecken könnten (was zwar unrealistisch ist, aber wer weiß?). Oder Sie sich in einen Winkel der Welt zurückziehen (müssen), wo Sie auf offizielle Verbindungen zur ehemaligen Heimat keinen gesteigerten Wert mehr legen. Wir wollen also einmal skizzieren, wie viel „Kleingeld“ sie bräuchten, um zum einen hierzulande oder eben woanders entspannt den Rest Ihrer Tage verbringen zu können. Diese Einflussgrößen gilt es dann zu beachten:
- Ihre angenommene Restlebenserwartung.
- Auf welchem Anspruchslevel sollen diese Jahre wo verbracht werden?
- Wie preisen Sie die Entwicklung der Lebenshaltungskosten ein – das tückische Thema Inflation und die individuelle Veränderung des Bedarfs, u.a. für Pflege, altersgerechtes Wohnen, private Gesundheitsausgaben usw.
- Soll das Kapital komplett aufgebraucht oder aber erhalten werden; bei Kapitalerhalt: nur nominal oder sogar kaufkraftbereinigt real?
- Welche Renditen trauen Sie sich zu? Trauen Sie sich überhaupt eine nachhaltig stabile Kapitalanlage zu, bzw. wer kann das für Sie vertrauensvoll erledigen (insbesondere abseits heimischer Gefilde eine spannende Frage)?
- Ad 1.: Die statistische Restlebenserwartung lässt sich aus sogenannten Sterbetafeln (z.B. beim Statistischen Bundesamt) ablesen. Aber was ist schon Statistik? Wer sicher gehen will, kalkuliert bis 95 oder gar 100. Wer heute schon kränkelt, kann womöglich (erhebliche) Abschläge machen. Aber sicher ist das keinesfalls. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
- Ad 2.: Hier wird es schon diffiziler, insbesondere bei einem Lebensabend fernab der Heimat. Da kann man mit 1.000 € oder 1.500 € monatlich schon der King sein (in etlichen Schwellen- und Entwicklungsländern), oder mit 10.000 € gerade so achtbar über die Runden kommen (letzteres gilt z.B. für attraktive Regionen in den USA wie Kalifornien oder grundsätzlich für viele Metropolen). Neben den Ansprüchen an den Lebensstandard und Lebensumgebung – wonach sich insbesondere die teils grotesken Wohnkosten richten – sind Dinge wie Krankheitsabsicherung, Steuern und sonstige Abgaben zu beachten. Am sichersten geht, wer in seiner Heimat in den eigenen vier Wänden überdauern kann, sofern nicht auch hier beispielsweise gesetzliche Auflagen („klimaneutrale Transformation“) empfindliche Löcher in die Kalkulation reißen.
- Ad 3.: Hier nähern wir uns der Hohen Kunst der Zukunftsprognosen vor dem Hintergrund einer unbestechlichen Finanzmathematik. Gerade im Ausland kann ein anhaltend starker Anstieg der Lebenshaltungskosten im Zuge der dortigen ökonomischen Entwicklung – von der eben diejenigen profitieren, die noch im aktiven Leben stehen – ein passives Einkommen über die Jahre hinweg soweit entwerten, dass ernste Probleme drohen. Das A und O besteht darin, mit dieser Entwicklung bei den eigenen Kapitalrenditen mitzuhalten, was jedoch vertiefte Marktkenntnisse verlangt. Hierzulande können jedoch ebenfalls Kostenschocks wie in den vergangenen Jahren ganz empfindliche Schrammen in Konzepte basierend auf passiven Kapitaleinkommen hinterlassen.
- Ad 4.: Eine Grundsatzentscheidung, die davon beeinflusst wird, ob Sie noch etwas hinterlassen möchten. Ist dies nicht der Fall, können Sie durchaus bis zu den erwähnten 95 oder gar 100 Jahren Lebenserwartung auf null planen. Die entnehmbaren Beträge sinken enorm, wenn Sie Ihr Kapital erhalten wollen, erst recht real. Für den Realerhalt müssen Sie eine Rendite erwirtschaften, die nicht nur die Inflation, sondern auch Steuern auf Kapitaleinkünfte und weitere Abgaben (z.B. einkommensabhängige Beiträge bei unserer gesetzlichen Krankenversicherung) abdeckt. Somit muss die Bruttorendite allein deshalb weitaus höher als die Inflation ausfallen, je nach individueller Situation möglicherweise fast doppelt so hoch. Und nur, was dann noch darüber hinaus erwirtschaftet wird, dürften Sie verbrauchen.
- Ad 5.: Nun kommt die Stunde der Wahrheit: Woher sollen die errechneten Renditen kommen? Nicht vergessen: Wir reden hier über nachhaltige Renditen über möglicherweise 20, 30 oder gar mehr Jahre hinweg. Und wie schaut die Rechnung aus, wenn diese nicht erreicht werden oder es Änderungen bei der Versteuerung oder bei den Abgaben u.a. für die soziale Absicherung gibt?
Ein Rechenbeispiel
Die Abbildung 1 zeigt nun ein Beispiel, wie das Schicksal eines einfachen Millionärs aussehen kann, der von seinem Geld 30 Jahre lang leben will. Besonderheit in dieser Darstellung: Die monatlichen Entnahmen werden an die Inflation (Annahme 2,5% p.a.) angepasst. Das passiert bei den meisten Rentenplänen privater Versicherer nicht. Sie sehen: Rendite ist alles, und die muss man erst einmal erwirtschaften, insbesondere netto nach Steuern und Abgaben (wie hier angegeben). Selbst mit einer Million ist Leben in Luxus keineswegs garantiert.
Für höhere Ansprüche oder ein Leben in teureren Destinationen benötigen Sie für ein sorgenfreies Leben über längere Zeit hinweg gerne mehrere Millionen „Free Cash“ als Eintrittsgeld. Kluge schauen daher nach Orten, wo man zumindest ordentliche Zweite-Welt-Leistungen noch für Dritte-Welt-Preise bekommt, und nicht, wie hierzulande, immer mehr Dritte-Welt-Leistungen für Erste-Welt-Preise. Und mit zunehmender Zeitdauer steigen die Unwägbarkeiten, nivellieren sich andererseits die Ups and Downs an den Kapitalmärkten. Wenn man denn deren Wellen zu reiten versteht.
Für die meisten lautet die Lösung aber: Eher länger arbeiten, noch etwas mehr Kapital ansammeln, um dann einen überschaubareren Zeitraum bequem abdecken zu können, und das wohl regelhaft in den eigenen vier Wänden daheim.
Abb. 1: Millionär – und nun? So viel dürfen Sie bei 1 Million Euro Startkapital Monat für Monat über 30 Jahre hinweg entnehmen (näherungsweise). Ein anderes Startkapital kann linear umgerechnet werden!
Fazit
Es ist gar nicht so leicht, über Jahrzehnte hinweg auf der faulen Bärenhaut zu liegen und nur vom Ersparten zu leben, insbesondere, wenn man kein glückliches Händchen für die Kapitalanlage hat. Das erforderliche „Spielgeld“ nimmt gern überraschende Größenordnungen an. Deshalb hat ein Mehrsäulen-Modell schon seinen Charme: Ein Teil aus gesetzlichen Rentenansprüchen, ein weiterer aus privater Vorsorge, gern aufgeteilt in berechenbare private Versicherungsleistungen und eben einen ausgewogenen Mix aus eigener Kapitalanlage. Und nochmals nicht zu vergessen: Wer im Alter mietfrei lebt, hat gerade in den heutigen Zeiten des Wohnungsmangels einen unschätzbaren Vorteil!
„Das Alter hat die Heiterkeit dessen, der seine Fesseln los ist und sich nun frei bewegt.“ (Arthur Schopenhauer)
„Welche Freude, wenn es heißt: Alter, du bist weiß an Haaren, blühend aber ist dein Geist.“ (Gotthold Ephraim Lessing)
Prof. Dr. Reinhard Herzog
Apotheker
Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.