Steht der Lackmustest bevor?

Apotheke und Heilberuf: Steht jetzt der Lackmustest bevor?
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Viel ist schon über den Koalitionsvertrag gesprochen worden. Möglicherweise ist manches darin doch gar nicht so gemeint. So steht zunächst einmal alles unter Finanzierungsvorbehalt. Allein das lässt sehr viel Luft in der Umsetzung. Zudem ist Etliches wohl stärker interpretationsbedürftig, als es zunächst schien. Der Mindest-Stundenlohn von 15 €? Nach den jüngsten Äußerungen von Friedrich Merz stehen dahinter einige Fragezeichen. Ähnliches bei den Steuersenkungen für niedrige und mittlere Einkommen. Damit dürften die ersten Streitlinien in der Koalition angelegt sein, bevor sie überhaupt die Arbeit aufgenommen hat. Es dürfte also „heiter“, wohl eher gewittrig werden – und manch einer hofft schon insgeheim auf ein baldiges Ende dieser politischen Zwangsehe.

Unter diesen Prämissen sind die Passagen zum Gesundheitswesen mitsamt Apotheken zu sehen. Unzweifelhaft nimmt der Druck im Beitragskessel enorm zu. Spekulieren wir in das Jahr 2026: Beitragssatz der gesetzlichen Kassen nochmals plus 0,5 Prozentpunkte auf dann an die 18 %, die Pflegeversicherung auf 4 % zugehend (selbst ohne Kinderlosen-Zuschlag), und realistische 5.750 € Beitragsbemessungsgrenze: Das addiert sich zu einem Monats-Höchstbeitrag in der Gegend deutlich oberhalb 1.200 €. Oder: „Einen schönen guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da?“ Besonders trifft dies die freiwillig Versicherten, gerade Selbstständige, welche den gesamten Beitrag ohne Arbeitgeberanteil zu schultern haben.

In der Schweiz dürften die Beiträge zur „Obligatorischen Kranken- und Pflegeversicherung“ im nächsten Jahr durchschnittlich zwischen 450 und 500 Schweizer Franken liegen, wobei einige Kantone teurer, andere deutlich billiger sind. In den Niederlanden beträgt die feste Prämie zur Basis-Krankenversicherung um 160 € monatlich, ergänzt durch 6,5 % auf den Lohn bis zu einer Bemessungsgrenze von aktuell rund 76.000 € jährlich; dieser prozentuale Anteil wird vom Arbeitgeber übernommen. Beide Länder zeichnen sich durch hochentwickelte Gesundheitssysteme aus. Irgendetwas läuft also bei uns in Deutschland gewaltig schief.

Vielleicht auch, dass wir die vorhandenen Ressourcen viel zu schlecht nutzen? Was die Nutzung der Kompetenz der Apotheken angeht, sind uns die Niederlande wie die Schweiz voraus. Der besagte Koalitionsvertrag könnte hier mit der Zeile 3428 neue Perspektiven öffnen: „Den Apothekerberuf entwickeln wir zu einem Heilberuf weiter.“ Manch einer stockt da erst einmal. Diesen Satz könnte man ja durchaus so verstehen, dass der Apothekerberuf noch gar kein richtiger Heilberuf ist, wenn man ihn erst „dahin weiterentwickeln“ will. Zeigt sich darin, wie wir aktuell wahrgenommen werden?

Abseits dieser Wortklaubereien kann dieser Satz viel Sprengkraft bergen, ja eine epochale Weichenstellung bedeuten. Je nachdem, inwieweit die Politik uns diesen Ball zuspielt, stehen wir vor bedeutsamen Entscheidungen: Annehmen und tatsächlich viel mehr Heilberufler als Kaufmann werden? Das bedeutet aber auch: Noch mehr fremdbestimmte Honorare, letztlich mehr „Arbeitszeit verkaufen“, als an Produkten zu verdienen. Der Verkauf von Arbeitszeit ist viel schlechter skalierbar als ein Warenverkauf, zudem steht er nochmals stärker unter der Knute der Lohnkostenentwicklung für hochqualifiziertes Personal, ganz abgesehen von dessen Verfügbarkeit. Es stellen sich weiterhin Fragen der Weiterqualifizierung. Wie weit soll der Heilberuf reichen? Bis hin zur Erstanlaufstelle („Primärversorgerfunktion“) mit Gatekeeper-Aufgaben und viel höherer Verantwortung, wenn man tatsächlich eine auch ökonomisch spürbare Filterfunktion wahrnehmen will? Dann reicht eben nicht mehr, bei jedem leisesten Zweifel doch wieder nur zum Arzt zu verweisen. Sollten demzufolge Apotheker eine „Erlaubnis zu Ausübung der Heilkunde“ (modifizierte Heilpraktiker-Befähigung) erwerben?

Wer „Heilberuf“ ernstnimmt, muss solche Fragen durchdeklinieren und die Auseinandersetzung mit den Ärzten aushalten. Sonst bleibt es nur bei Lippenbekenntnissen ohne nennenswerten Nutzwert. Womöglich verlangt uns die Politik sehr bald schon klare Bekenntnisse ab. Sind wir darauf vorbereitet, und wissen wir, was wir wirklich wollen – außer einfach nur weiter gut bezahlt mitspielen zu dürfen?

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Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.