Prof. Dr. Reinhard Herzog
„Kaufen, wenn die Kanonen donnern“ – so lautet eine alte Börsenregel, die viel zu selten beachtet wird. Tatsache ist jedenfalls, dass immer dann die größten Gewinne erzielt werden können, wenn die Stimmung der Anleger gegenüber dem Aktienmarkt extrem negativ ist.
Bestes Beispiel hierfür ist das Jahr 2003, als der DAX in der vorangegangenen Baisse von über 8.000 auf rund 2.200 Punkte gefallen war und sich selbst langjährige Börsenoptimisten kaum noch für das Anlageinstrument Aktie erwärmen konnten. Nach ersten vorsichtigen Käufen insbesondere ausländischer Investoren begann eine inzwischen bereits fünf Jahre andauernde Hausse, die den Index zeitweise wieder in den Bereich von 8.000 Punkten klettern ließ.
Unerwarteter Zuwachs beim DAX
Gerade das Börsenjahr 2007 entwickelte sich – auch dies ist häufig zu beobachten – ganz anders als von den meisten Analysten erwartet: Als der DAX zu Jahresbeginn auf rund 6.500 Punkte geklettert war, billigte man ihm allenfalls noch ein mäßiges Kurssteigerungspotenzial zu, viele Experten rechneten für 2007 sogar mit einem deutlichen Rückgang. Doch die günstige Konjunkturentwicklung sorgte dafür, dass das Frankfurter Börsenbarometer bereits zur Jahresmitte mehr als 20% zulegen und die Marke von 8.000 Punkten erreichen konnte. Wenige Wochen später wurde dann sogar der Rekordstand vom Frühjahr 2000 übersprungen.
Risikofaktor Subprime-Krise
Kaum Beachtung fanden in dieser Phase Negativfaktoren wie die steigenden Rohstoffpreise und der schwache US-Dollar. Wie stark der Markt tatsächlich war, wurde mit der im Juli 2007 bekannt gewordenen amerikanischen Subprime-Krise deutlich: Der DAX gab nur temporär nach, konnte sich aber im vierten Quartal wieder sichtlich erholen.
Allerdings war die Entwicklung keineswegs in allen Segmenten zu beobachten. Unter Druck standen insbesondere die Finanztitel, fürchtete man doch – zum Teil zu Recht – entsprechende Auswirkungen der US-Krise auf den deutschen Bankensektor. Aber auch die jahrelang besonders bevorzugten Nebenwerte büßten teilweise deutlich ein, als sich einige Großinvestoren, insbesondere aus dem Ausland, für Gewinnmitnahmen entschieden.
Kursrückgang nicht unwahrscheinlich
Die Kernfrage gilt jetzt der weiteren Entwicklung. Hochkonjunktur haben nach dem jüngsten Rückgang die sogenannten Crash-Propheten, die mit Schlagworten wie „Das kommende Inferno“, „Besiege den Crash“ oder auch nur „Das Ende des Aufschwungs“ die Vortragssäle füllen können. Und in der Tat spricht derzeit einiges für eine mehr oder minder nachhaltige Kursschwäche.
Risikofaktor Nummer eins ist dabei weiterhin die US-Immobilienkrise. Während die einen davon ausgehen, dass mit den bekannt gewordenen Schieflagen zahlreicher Institute das Schlimmste bereits ausgestanden ist, sehen andere durchaus die Gefahr weiterer unliebsamer Überraschungen. Zu unterschätzen ist dieses Risiko nicht: Sollte beispielsweise einer der „Global Player“ der Finanzszene durch die US-Krise in Bedrängnis geraten, erscheint ein massiver Kursrückgang an allen Aktienbörsen mehr als wahrscheinlich.
Unbehagen bereitet mittlerweile aber auch die Entwicklung des US-Dollar, insbesondere gegenüber dem Euro. Eine daraus resultierende weitere Abschwächung des Exports hätte zweifellos auch entsprechende Konsequenzen für die deutsche Gesamtwirtschaft und hier speziell für die kleineren Unternehmen, die nicht zu den „Global Playern“ zählen.
Konjunktureintrübung gefährdet Gewinne
In den vergangenen Jahren konnten die Unternehmen ihre Erträge kräftig steigern, sodass das heutige Kurs- niveau der Aktien gerechtfertigt erscheint. Auch die Auftragslage der meisten Firmen ist derzeit noch ausgezeichnet. Kommt diese Entwicklung jedoch – wie von vielen Marktbeobachtern angesichts der sich abzeichnenden Konjunktureintrübung erwartet – zum Stillstand, besteht auch kein nennenswertes Potenzial mehr für den Aktienmarkt. Und da an der Börse „die Zukunft gehandelt wird“, könn-ten die Kurse bereits nachgeben, lange bevor die Gewinne tatsächlich zurückgehen.
Dem stehen jedoch auch bedeutende positive Argumente gegenüber. So hat das schnelle Handeln der Finanzwirtschaft, aber auch der Europäischen Zentralbank dazu geführt, dass die US- Immobilienkrise – zumindest bisher – vergleichsweise glimpflich an den meisten Finanzdienstleistern vorübergegangen ist. Zudem konnten einige Geldhäuser entstandene Lücken durch Sondereffekte aus der Unternehmenssteuerreform schließen, sodass das Gewinnwachstum beibehalten wurde. Im Übrigen zeigen die geringen Reaktionen des Marktes etwa auf Bekannt- gabe milliardenschwerer Verluste Schweizer Großbanken, dass die Subprime-Krise in vielen Kursen bereits eskomptiert ist.
Global Player haben rechtzeitig vorgesorgt
Auch der US-Dollar und die Rohstoffpreisentwicklung werden von Börsen-Optimisten als keineswegs beängstigend gesehen: Insbesondere die großen Konzerne, auf die über 85% der Anlagegelder deutscher Sparer entfallen, agieren längst als „Global Player“, das heißt sie können Wech-selkursschwankungen ebenso wie steigende Herstellungskosten unternehmensintern ausgleichen.
Produziert etwa ein deutscher Automobilkonzern die für den amerikanischen Markt bestimmten Fahrzeuge direkt in den USA, spielen für ihn Wechselkursveränderungen nur noch eine untergeordnete Rolle. Im Gegenteil: Durch den Export der preiswert hergestellten US-Modelle in andere Länder lassen sich zusätzliche Gewinne erzielen.
Keineswegs einheitlich sind die Meinungen hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Weltkonjunktur. Tatsache ist zwar, dass u.a. die US-Immobilienkrise die Märkte Wachstumspunkte kosten wird. Tatsache ist aber auch, dass mittlerweile die Emerging Markets, allen voran China und Indien, nicht mehr nur als „billige Lieferanten“ auftreten. Stattdessen werden sie in zunehmendem Maße zu Kunden der Industrienationen – wie etwa der deutsche Maschinenbau seit mehreren Jahren mit Freude feststellen kann. Solange also der Boom in China anhält, profitiert davon auch die deutsche Konjunktur. Ein Rückschlag – und dies muss als echter Risikofaktor gesehen werden – oder gar eine neuerliche Asienkrise würde jedoch auch der deutschen Börse erheblichen Schaden zufügen.
Chartanalyse: Ampeln weiterhin auf Grün
Schließlich ist auch die Chartanalyse zu berücksichtigen, also die grafische Auswertung des bisherigen Kursverlaufs. Hier wurde mit dem jüngsten Kursrückschlag der fünfjährige Aufwärtstrend gebrochen. Nach den Regeln der Chartanalyse lässt dies grundsätzlich auf eine Fortsetzung der Kursschwäche in den kommenden Monaten schließen. Positiv ist jedoch die Stärke des Rückgangs innerhalb kürzester Zeit zu bewerten. Sollte der DAX im ersten Halbjahr 2008 wieder in den Bereich von 7.000 bis 7.200 Punkten ansteigen können, wäre der Rückschlag charttechnisch lediglich als „Ausrutscher“ einzustufen.
Ohnehin ist das mehrfache Scheitern an einer psychologisch wichtigen Marke wie jetzt der 8.000-Punkte-Linie eine recht typische Reaktion, wie wir sie z.B. auch im Jahr 2004 bei der 4.000er-Marke erlebt haben. Kann der Index eine solche Schwelle jedoch erst einmal nachhaltig überschreiten, bekommt er erhebliches Potenzial für einen weiteren Aufschwung.
Europas Spitzenwerte haben Potenzial
Vergleicht man den DAX mit dem europäischen Spitzenwerteindex Euro-Stoxx-50, wird eines allerdings deutlich: Deutsche Papiere haben in den vergangenen Jahren weitaus stärker zugelegt als die anderen europäischen Märkte. Ursache hierfür ist einerseits der erhebliche Nachholbedarf deutscher Papie-re, die in der Krise massiv unter Druck standen. Andererseits wird deutschen Konzernen international weitaus mehr zugetraut als manchem europäischen Konglomerat etwa aus Südeuropa. „Made in Germany“ erfreut sich weiterhin eines erstklassigen Rufs.
Allerdings haben auch die europäischen Mitbewerber aus manchen Fehlern gelernt. Entsprechend sehen Experten für Spitzenwerte aus der Eurozone, aber auch aus Ländern wie der Schweiz erhebliches Potenzial. Gut beraten sind Anleger daher, wenn sie sich am europäischen Markt engagieren, etwa in Form von Zertifikaten auf den Dow Jones Euro-Stoxx-50-Index oder in Einzelwerten, speziell den Aktien der führenden Konzerne. Vergleichbares gilt für die im „Europa-Reigen“ stets außen stehende Schweiz, wobei hier neben den Banktiteln insbesondere die Chemie- und Pharmabranche interessant erscheinen.
In den USA sind die Kurse stabil
Mit heftigen Kursschwankungen, aber auch einer erstaunlichen Stabilität hat der amerikanische Markt auf die US-Immobilien/Subprime-Krise reagiert. Der Dow Jones-Index erreichte zwischenzeitlich sogar neue Höchststände im Bereich von 14.000 Punkten. Maßgeblich war hier insbesondere die hohe Liquidität infolge der Notenbank-Interventionen, aber auch – so paradox dies klingen mag – die anhaltend hohe Verschuldung des Landes.
Im Vergleich zu früheren Entwicklungen bestehen durchaus Chancen, dass sich die Börse auch 2008 gut behaupten kann, denn Krisen werden in den USA wesentlich schneller weggesteckt als etwa in Deutschland. Amerikanische Aktien sollten daher zumindest in kleinem Umfang einem international orientierten Depot beigemischt werden. Dabei könnten Anleger im Fall einer Trendwende beim US-Dollar zusätzlich von Wechselkursänderungen profitieren.
Japan unter Druck
Schwer enttäuscht hat – gerade in den vergangenen Wochen – der japanische Markt. Der Nikkei-Index, der im Sommer 2007 mühsam die 18.000-Punkte-Marke überschritt, ist mittlerweile wieder unter 14.000 Punkte „abgetaucht“. Viele Marktbeobachter rechnen derzeit mit einer weiteren Schwächeneigung, wobei der Einfluss der Boomregionen Asiens eine wichtige Rolle spielen wird. Eines ist dabei klar: Die bisherige Vormachtstellung japanischer Produkte in vielen Ländern der Region ist keineswegs sicher, vielmehr müssen sich die Japaner zunehmend dem Wettbewerb „vor der eigenen Haustür“ stellen.
China als Damoklesschwert der Weltwirtschaft
Andererseits ist es gerade China, das in den Wirtschaftsmedien im Jahr 2008 eine bedeutende Rolle spielen wird. Allerdings geht es dabei weniger um die Olympischen Spiele, sondern vielmehr um die Börsenentwicklung. Denn derzeit befindet sich der chinesische Aktienmarkt, analog zur boomenden Wirtschaft, in einem enormen Aufschwung.
Viele Faktoren – angefangen vom Neuemissionsboom bis hin zu Investitionen in vage Zukunftsprojekte – erinnern dabei an die Situation in Deutschland in den Jahren 1999/2000, sodass ein Rückschlag immer wahrscheinlicher wird. Und da sind sich die Analysten ausnahmsweise einig: Solange es eine mäßige Korrektur gibt, ist alles in bester Ordnung. Ein Crash wäre jedoch fatal – und dies nicht nur für chinesische Aktien.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(04):14-14