Claudia Mittmeyer
?Das Bundesverwaltungsgericht hat bekanntlich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster in Sachen „dm“-Markt bestätigt. Wie kann nach Ihrer Meinung nun verhindert werden, dass Arzneimittel zukünftig auch an Tankstellen oder Imbissbuden vertrieben werden?
In der Tat hat das Oberverwaltungsgericht Münster – jetzt bestätigt durch das Bundesverwaltungsgericht – den Begriff „Versand“, der der gesetzlichen Intention und Formulierung nach Versendung von der Versandapotheke an den Patienten bedeutet, dahin erweitert oder aufgeweicht, dass Medikamente auch an Sammelstellen verschickt werden können, wo sie die Patienten abholen. Dabei ist z.B. an Drogerien, aber auch an Tankstellen zu denken. Das heißt freilich nicht, dass die Medikamente von diesen Abholstellen vertrieben werden. Der Vertrieb geht von der Versandapotheke aus.
?Besteht aus Ihrer Sicht die realistische Chance, dass der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten wieder verboten wird?
Der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Medikamenten unter Einschluss verschreibungspflichtiger Medikamente ist durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003 eingeführt worden. Der Gesetzgeber handelte damals in der Annahme, dass die Zulassung des Versandhandels mit Medikamenten jeglicher Art europarechtlich zwingend sei.
Nach Erlass des Gesetzes, noch vor dessen Inkrafttreten, hat der Europäische Gerichtshof im Dezember 2003 zwischen verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten unterschieden. In der Entscheidung heißt es, dass hinsichtlich verschreibungspflichtiger Arzneimittel die öffentliche Versorgung eine strenge Kontrolle erfordere. Dies lasse sich zum einen mit der größeren Gefahr, die von diesen Arzneimitteln ausgehen könne, und zum anderen mit der für diese Kategorie von Arzneimitteln geltenden Festpreisregelung rechtfertigen. Im weiteren Verlauf der Begründung weist der Europäische Gerichtshof auf die verschiedenen besonders naheliegenden Gefahrenquellen beim Versand verschreibungspflichtiger Medikamente hin. Diese Gefahrenquellen haben sich als real erwiesen. Die Versandapotheke kann die Echtheit der Verschreibung nicht wirksam prüfen, der Besteller ist der Gefahr unseriöser Anbieter ausgesetzt, die Arzneimittelsicherheit ist nicht gewährleistet und im Vertriebsweg lauert eine Menge von Gefahren.
Dem Staat obliegt eine grundrechtliche Schutzpflicht, Gesundheit und Leben der Menschen zu sichern. Hierin sehe ich den Ansatzpunkt für die notwendige gesetzliche Neujustierung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten (siehe dazu demnächst ausführlich Christian Starck, „Die notwendige gesetzliche Neujustierung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Medikamenten“, erscheint im Mai 2008 in Heft 10 der Zeitschrift „Die öffentliche Verwaltung“).
?Welche Gründe sprechen aus europarechtlicher Sicht gegen eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots in Deutschland?
Zurzeit ist ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig, in dem es um die Frage geht, ob das Fremdbesitz- und das Mehrbesitzverbot des deutschen Apothekenrechts europarechtlich Bestand hat. Die Neuregelung in dem erwähnten Modernisierungsgesetz, wonach jeder Apotheker bis zu drei Filialapotheken in der Nähe der Hauptapotheke unterhalten darf, ist noch keine Abkehr vom Berufsbild des Apothekers in seiner Apotheke, aber eine gewisse Aufweichung wird doch deutlich.
Das Fremdbesitzverbot, das die Koinzidenz von wirtschaftlicher und fachlich-pharmazeutischer Verantwortung des Apothekers sichert, ist eine bewährte Grundlage des deutschen Apothekenrechts und gehört zur Organisation des Gesundheitswesens, die in der Verantwortung der Mitgliedstaaten steht, wie es in Artikel 152 Absatz 5 des EG-Vertrages heißt. Deshalb darf das Fremdbesitzverbot nicht am Gemeinschaftsrecht scheitern.
Artikel 48 EG-Vertrag, der Gesellschaften im Niederlassungsrecht mit natürlichen Personen gleichstellt, ist kein Instrument, um die mitgliedstaatlich verantwortete Organisation des Gesundheitswesens auszuhebeln. Es ist also Artikel 152 Absatz 5 EG-Vertrag, aus dem sich ergibt, dass eine Aufhebung des Fremdbesitz- und des Mehrbesitzverbots in Deutschland nicht europarechtlich verlangt werden kann. Denn nach Artikel 152 Absatz 5 EG-Vertrag „wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt“.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(08):3-3