Dr. Christine Ahlheim
?Wo sehen Sie die Zukunft des Zielpreismodells angesichts der eher ablehnenden Haltung der Krankenkassen?
Zielpreise sind unsere Alternative zu Rabattverträgen. Wir werben für sie aus Überzeugung. Denn sie zielen darauf ab, dass Ärzte und Apotheker sich Arbeit und Verantwortung teilen und jeder sich seinen Kernkompetenzen widmen kann. Dabei übernehmen Ärzte Diagnose und Therapieempfehlung, Apotheker übernehmen pharmazeutische Beratung und Preisverantwortung.
Das Mehr an Arzneimittelvielfalt und pharmazeutischer Flexibilität fällt derzeit bei Krankenkassen leider nicht auf fruchtbaren Boden, weil die Ökonomie absoluten Vorrang hat. Außerdem sind sie aktuell darauf fixiert, ein Instrument, das ihnen der Gesetzgeber an die Hand gegeben hat, zunächst einmal selbst auszuprobieren, anstatt die Apotheker und ihre Verbände als Dienstleister zu nutzen. Dabei haben die Kassen unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Die AOK hat über aufwendige juristische Verfahren einiges zum Thema Ausschreibungen und Wettbewerbsrecht gelernt und sicherlich auch viel Geld für juristische Beratung und Streitigkeiten aufwenden müssen. Einige Ersatz- und zahlreiche Betriebskrankenkassen haben es sich einfacher gemacht und zum Teil ohne Ausschreibung Komplett- bzw. Teilsortiment-Verträge vergeben.
Das ist die einfache Art, Preisreduzierungsangebote der Industrie ohne größeren Aufwand mitzunehmen. Zugleich bedeutet dies, sich der Illusion hinzugeben, die eigenen Versicherten dadurch zufriedenzustellen, dass sie auf die Produkte einzelner Hersteller beschränkt werden. Wer einschränkt, schafft Unzufriedenheit. Wer einschränkt, schafft darüber hinaus neuerliche Rezepte beim Arzt, wenn die Versicherten merken, dass der ihnen das an sich gewünschte Arzneimittel auch direkt verordnen kann. Für Kassen bedeuten klassische Ausweichreaktionen der Versicherten Mehrausgaben, weil sie zweimal bezahlen dürfen.
Insofern erleben wir hier aktuell einen Lernprozess, der hoffentlich zum Umdenken führt. Wir erwarten, dass die Versicherten stärker in den Blick genommen werden. Und wir erwarten, dass in Zukunft auch im Ersatz- und Betriebskrankenkassenbereich notwendige Ausschreibungsverfahren nicht bei jeder Krankenkasse Begeisterung auslösen werden. Das heißt: Wir setzen auf Erkenntnis aus Erfahrung und auf das bessere Modell.
Wir werden nicht müde werden, das Zielpreismodell immer wieder als Alternative zu bewerben – aus Überzeugung, damit eine Alternative anzupreisen, die den Patienten ein höheres Maß an Auswahl bringt, den Apothekern mehr pharmazeutische Flexibilität einräumt, für Krankenkassen Einsparungen und eine Vermeidung von Ausschreibungsaufwand und Risiken bedeutet und im Endergebnis dazu führt, dass der Herstellermarkt vielfältig bleibt.
?Welche Faktoren beeinflussen die GKV-Arzneimittelausgaben am stärksten, von denen manche Beobachter sagen, sie würden immer noch allzu schnell steigen?
Wichtig ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber selbst steigende Arzneimittelausgaben erwartet
- Veränderung der Zahl und Altersstruktur der Versicherten,
- Veränderung der Preise für Arzneimittel und Verbandmittel,
- Veränderung der gesetzlichen Leistungspflicht der Krankenkassen,
- der wirtschaftliche und qualitätsgesicherte Einsatz innovativer Arzneimittel und
- Verlagerungen zwischen den Leistungsbereichen Krankenhaus und ambulanter Bereich.
Legt man diese gesetzliche Vorgabe zugrunde, so resultieren daraus über die jährlichen Vereinbarungen auf Bundesebene und in der Folge über Vereinbarungen in den Ländern zwischen KVen und GKV-Verbänden nicht unerhebliche Steigerungsraten. Sie betrug für das Jahr 2007 insgesamt 6,1 %. Die Vorausschätzung für 2008 lautet zwischen 4,9 % und 5,8 %. Darin nicht enthalten sind die deutlichen Steigerungen für Impfstoffe, die mehrere Ursachen haben. Zum einen wurde der Katalog der von der Impfkommission empfohlenen Impfungen in den vergangenen Jahren erweitert. Zum anderen gibt es seit Anfang 2007 die erste Impfung gegen Krebs. Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren können erstmals wirksam gegen Gebärmutterhalskrebs geimpft werden. Zudem wurde Imp- fen mit dem GKV-WSG zum 1. April 2007 eine Pflichtleistung der Krankenkassen, womit der Wille des Gesetzgebers nach einer Ausweitung dieser Präventionsleistungen deutlich gemacht wurde.
?Welche Bedeutung messen Sie den öffentlichen Apotheken in Staat und Gesellschaft bei?
Mit 21.570 Apotheken waren im Jahr 2007 insgesamt 19 Apotheken mehr in der Versorgung tätig als im Jahr zuvor. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Apotheken weitgehend stabil geblieben – stabil und stark in der Versorgung von Patienten, das ist ihr Auftrag, den sie mit 143.585 Beschäftigten auf qualitativ hochstehendem Niveau gut und zuverlässig erfüllen.
Damit übernehmen sie im Gesundheitssystem die ihnen zugedachte Rolle, nämlich mit einem öffentlichen Versorgungsauftrag als selbstständige und selbstverantwortliche Mittelständler Gutes zu tun im Rahmen der Arzneimittelversorgung, der Arzneimittelberatung und der Arzneimittelsicherheit. Somit arbeiten Apothekerinnen und Apotheker täglich – darüber hinaus auch im Nacht- und Notdienst – als Verbraucherschützer bei 4,1 Millionen Kundenkontakten an vorderster Front. Kurzum: Apothekerinnen und Apotheker sind wie kaum ein anderer Berufszweig vielfältig und umfassend für die Gesellschaft tätig.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(12):4-4