Prof. Dr. Reinhard Herzog
Trotz Abgabe weitreichender Staatsgarantien für die Spareinlagen fielen kurz darauf die Aktienkurse wie ein Stein. Warum? Weil offensichtlich der Staat gar nicht für diese Summen garantieren kann. Einem Bundeshaushalt von knapp 300 Mrd. € stehen jeweils rund 500 Mrd. € auf Spar- und Girokonten sowie über 300 Mrd. € auf Tages- und Festgeldkonten gegenüber. Das gesamte Geldvermögen der Bundesbürger in den verschiedensten Anlageklassen beläuft sich auf etwa 4,5 Billionen Euro. Das sagt schon alles. Wird es jetzt wirklich Ernst? Was steht für die Apotheken auf dem Spiel? Wir versuchen, einige Richtungen aufzuzeigen.
Vermögen und Wertanlagen
„Die Spargelder sind sicher!“ – das klingt wie „Die Rente ist sicher“, noch gut aus den Blüm`schen Tagen bekannt. Natürlich – die pünktliche Rentenzahlung gibt es nach wie vor, und das wird auch in Zukunft so sein. Fragt sich nur, in welcher Höhe und in welcher Relation zu den eingebrachten Beiträgen. Ganz ähnlich könnte es vielen Vermögensanlagen ergehen.
Da speziell die Apotheke zum ortsgebundenen Mittelstand gehört, der nicht einfach sein Geld auf der internationalen Bühne verschieben kann, wird sie möglicherweise zu den besonders stark Geschröpften gehören: zusätzliche Abgaben, Steuern, sonstige Belastungen und natürlich – immer weitergehende Kontrollen. Die jetzige Finanzkrise öffnet die Tür zum künftig völlig gläsernen Steuerbürger ganz weit.
Andererseits öffnet sich auch die Tür für „Schnäppchenjäger“. Da der „Weltuntergang“ wohl nicht kommen wird, aber doch manch einer daran glaubt, sind in der nahen Zukunft selbst exzellente Qualitätsaktien, die sogar durch eine massive Rezession passabel hindurchkommen werden, sehr günstig zu haben. In jeder Krise liegen daher enorme Gewinnchancen. Sie zu nutzen, setzt allerdings ein profundes Wissen und die stete Beschäftigung mit der Materie voraus. Geldverdienen mit Geld ist auch Arbeit. Wer sich dagegen auf andere verlässt, ist möglicherweise selbst schnell verlassen – und zahlt, wie jetzt oft genug zu sehen, viel Lehrgeld.
Gesamtwirtschaftliche Lage
In der Entwicklung der Gesamtwirtschaft liegen die größten Risiken. Rezession, gar Depression? Oder nur eine rasch vorübergehende Konjunkturdelle? Zwar verstärken sich die Hinweise, dass zunehmend die Realwirtschaft betroffen wird – 50% sind bekanntlich Psychologie. Andererseits besteht nach wie vor enormes Wachstumspotenzial in den aufstrebenden Ländern Asiens und infolge des Wirtschafts- und Rohstoffbooms gibt es dort sehr viel Investitionskapital, welches demnächst auf „Einkaufstour“ in der amerikanischen und europäischen Unternehmenslandschaft gehen wird.
Die Gefahr ist groß, dass gerade die Europäer aufgrund ihrer – jetzt wieder Auftrieb erhaltenden – Risiko-aversen Einstellung zu Kapitalanlagen mehr und mehr zu einer Angestelltengesellschaft für ausländische Kapitalgeber werden. Damit wechseln zwar die bestimmenden Akteure, aber nicht die renditehungrige Wirtschaftsweise an sich – bis die nächste Blase reif ist zum Platzen.
Durchgriff auf das Gesundheitswesen
Bisher hat sich das Gesundheitswesen immer als erstaunlich krisenresistent herausgestellt – kein Wunder, wird es doch im Wesentlichen aus einem großen zwangsbeitragsgespeisten Topf bedient. Viele Vorgänge in der freien Wirtschaft gehen schlicht daran vorbei. Allerdings ist das Gesundheitswesen im Wandel begriffen. Finanzinvestoren fassen zunehmend Fuß. Börsennotierte Klinikketten sind bedeutende Marktteilnehmer geworden. Manche Großhandlungen sind heute „Global Player“.
Damit kommt die renditeorientierte „Unternehmensdenke“ immer mehr in diesem Sektor an. Will heißen: Beim Verfehlen der Gewinnziele wird die Schlagzahl erhöht, werden Standorte geschlossen, werden die Wettbewerbsaktivitäten intensiviert. Bis zur Apotheke hat sich das (noch) nicht allzu stark durchgesetzt. Doch durch den Eintritt zahlreicher korporaler Strukturen in den letzten Jahren – von der Kooperation bis zum Franchisesystem – sind die Keime der Zersplitterung gelegt. Das bedeutet: Läuft es mit einem Konzept nicht gut, wird der Druck vergrößert, werden immer neue Aktionen losgetreten, gerät der Markt immer mehr in Unruhe. Einzelne, auf raschen Marktanteilsgewinn ausgerichtete Kollegen verstärken diesen Prozess.
Einbußen im OTC-Geschäft
Als Konsequenz der zunehmend angespannten Renditesituation bedeuten vergleichsweise geringe Einbußen z.B. im rentablen OTC-Geschäft bereits empfindliche Gewinnrückgänge. An diesem Punkt kommt heute die private Konsumlaune deshalb stärker ins Spiel als z.B. noch vor zehn Jahren. Preissensibilität, „Gesundsparen“, verstärkte Preisvergleiche, Beschränkung der Ausgaben auf das wirklich Nötige – all das hinterlässt gerade in frequenzstarken barverkaufsorientierten Apotheken Spuren. Machen wir uns nichts vor: Die unverzichtbaren Produkte wie Schmerz-, Erkältungs- und Magen-Darm-Mittel sind recht billig. Auf viele teure OTC-Präparate wie Enzyme, manche Phytopharmaka und teure Ergänzungsnahrung sowie auf hochpreisige Kosmetika kann auch einmal verzichtet – oder auf billigere Anbieter ausgewichen – werden, ohne den Leidensdruck entscheidend zu erhöhen. Das ist die Achillesferse.
Nicht zu vergessen ist der unabhängig von der Finanzmarktlage in Kraft tretende Gesundheitsfonds, der den meisten GKV-Mitgliedern teilweise spürbar steigende Beiträge bescheren wird. Dies dürfte gleichfalls die Konsumstimmung nicht gerade heben. Das OTC-Geschäft bewegt sich damit weiter in schwierigem Fahrwasser, die Themen Preis und Versandhandelskonkurrenz werden vor allem für teure Packungen beherrschend bleiben.
Zudem sind die Auswirkun‑ gen des Fonds schwer abzusehen. Nachdem die politische Spendierlaune Ärzte und Krankenhäuser begünstigt hat und der Beitragssatz fixiert ist, bleibt für die Apotheken wenig zum Verteilen übrig. Über etwaige „Gegenleistungen“ für die geplante Absenkung des Kassenabschlags um 0,60 € je Rx-Packung ist noch nichts bekannt.
Handlungsoptionen
Eine mögliche Konsequenz aus der derzeitigen Situation ist, antizyklisch, aber sinnvoll und nachhaltig zu investieren. Falls Ihre EDV schwächelt, Ihr Auto alt ist und Sie sowieso ein neues brauchen, warum dann nicht jetzt – nach Rücksprache mit dem Steuerberater – an Ersatz denken? In der Krise sind die Preise günstig und volkswirtschaftlich wirken Sie dem weiteren Abschwung entgegen. Allerdings: Es kommt auf wirklich stärkende und werthaltige Investitionen an – also keine, die eine Menge „Luftgeld“ und Zukunftserwartungen beinhalten oder einem Expansionsdrang um jeden Preis geschuldet sind. Konzentrieren Sie sich deshalb auf handfeste Werte und Investitionsgüter, die Ihre Stellung im Markt nachweislich stärken können und nicht zusätzlich das Risiko erhöhen.
Eine weitere Handlungsopti-on ist konsequentes „Downsizing“ mit Verstand. Die Apotheken drohen – teilweise auch standespolitisch aus Angst vor neuer Konkurrenz initiiert – in eine Spirale immer höherer Auflagen, Aufwendungen und „Komplexitätskosten“ zu geraten, denen kein adäquater Nutzen gegenübersteht. Ob Rabattverträge, QMS um seiner selbst oder des unmotivierten Ansinnens der Kostenträger willen, das Gefahrstoffrecht, demnächst ein weiter bürokratisierter Botendienst – die Liste könnte beliebig verlängert werden.
Hier gibt es durchaus Parallelen zur Finanzwelt: Immer weiter wurde das System aufgebläht, immer neue „Finanzprodukte“ ersonnen, die kaum jemand versteht, wohl aber den Anbietern satte Provisionen bescherten. Das System ist nun unter seiner eigenen Last und Komplexität zusammengebrochen.
Deshalb ist dringend Abspecken geboten. Es ist wenig sinnvoll, allen mehr Gepäck auf den Rücken zu schnallen mit der Konsequenz, dass zwar der Konkurrenzdruck etwas kleiner wird, aber letztlich alle langsamer laufen und höher belastet sind.
Kundennutzen zählt
Dabei ist der echte belegbare Kundennutzen die Orientierungsmarke. Idealerweise ist der Kunde auch bereit, für guten Mehrwert zu bezahlen. Andernfalls liegt der Schluss nahe, dass es mit dem Nutzen nicht so weit her ist, es sich vielmehr um wenig geachtete Mitnahmeeffekte handelt.
So dürfte die „schlanke Apotheke“, damit beweglich und schneller als andere, am besten auf die Zukunft vorbereitet sein. Das bedeutet konkret: Jeder Vorgang, jeder Handschlag wird möglichst nur getan, wenn er sinnvoll ist, und nicht, weil es immer schon so war. Vorschriften werden natürlich befolgt, doch ist der Sinn zu hinterfragen, entsprechend das Engagement zu dosieren. In manchen Belangen ist es vielleicht sogar nötig, über die Vorschriften hinaus eigene Standards zu definieren, in anderen Fällen reicht das Minimum. Modernisiert wird nicht, weil es „Zeit ist“ oder der Nachbar das macht, sondern weil wirkliche Vorteile damit verbunden sind – Vorteile, die in erster Linie Ihre Kunden spüren müssen.
Kapazitäten aus dem Markt nehmen
Es gibt gerade in Ballungsräumen keinen Apothekenmangel. Sie sollten nicht zusätzlich daran mitstricken, halblebige und grenzwertige Betriebe im Markt zu halten. Durch die Anheizung des „Filialwahns“ vergrößern Sie die Probleme des Markts im Allgemeinen und leider allzu oft auch Ihre persönlichen Sorgen und Risiken im Speziellen, zumindest auf längere Sicht. Wenn, dann expandieren Sie wirklich professionell an belegbar zukunftsorientierten Standorten – oder gar nicht.
Grundsätzlich gilt: Planen Sie nicht mit hochgeschraubten Zukunftswerten, gehen Sie nicht davon aus, den „goldenen Schnitt“ zu machen, nur weil zahlreiche Interessenten momentan vor der Tür stehen und in den Markt eindringen möchten. Verheben Sie sich nicht mit unbotmäßigen Expansionsbestrebungen. Wie schnell der Wind dreht und der so attraktive Apothekenmarkt plötzlich uninteressant wird – dafür gibt es aus anderen freiberuflich organisierten Branchen inzwischen Vorbilder: McZahn meinte, den Zahnersatzmarkt aufzurollen, 400 bis 500 Filialen waren geplant. Es wurden 6 – Pleite. Juraxx – die Billig-Anwaltskette – ist insolvent, ein Billig-Pflegedienst ebenfalls gescheitert. Und die easy-Apotheken, Avie, selbst DocMorris – sehen so Konzepte aus, die den Markt im Sturm erobern und umkrempeln? Was Sie aus der Finanzkrise wirklich lernen können: Versteigen Sie sich nicht in Gigantomanie und in Konstruktionen, die auf Kante genäht sind, um bei der ersten Belastung zu reißen.
Fazit
Die Finanzkrise ist durchaus sehr Ernst zu nehmen. Zumal, wenn sie nicht zu durchgreifenden Lösungen, sondern nur fadenscheinigen Reparaturen führen sollte, die anschließend die Blase mit viel heißer Luft noch stärker aufpumpen. Die Krise zeigt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen und eine Branche unter der selbst geschaffenen Gigantomanie und Komplexität kollabieren kann. Eine Lehre daraus lautet: Orientieren Sie sich am Sinnvollen und Nötigen, bleiben Sie mit Ihren Erwartungen mit beiden Beinen auf dem Boden – und vergessen Sie nie, in welchem Verhältnis Ihr Gewinn zu Ihrer Leistung steht.
Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(21):5-5