Prof. Dr. Reinhard Herzog
Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Investmentfonds und Zertifikat ist die rechtliche Konstruktion: Ein Fonds gilt als Sondervermögen, d.h., das Fondsvermögen bleibt auch erhalten, wenn die emittierende Kapitalanlagegesellschaft zahlungsunfähig wird. Dies schützt den Anleger zwar nicht vor Verlusten, wenn die Börse auf Talfahrt geht, dennoch muss er sich um die Bonität des Emittenten keine Sorgen machen. Anders die Lage bei Zertifikaten: Hier handelt es sich um Inhaberschuldverschreibungen einer Bank, deren Rückzahlungskurs an ein bestimmtes Ereignis – z.B. den Stand eines Index – gekoppelt ist. Wird jedoch die Bank insolvent, fällt das Papier in die Konkursmasse – mit allen negativen Folgen.
Allerdings war die mögliche Insolvenz bisher weder bei Emittenten noch Vermittlern oder gar Anlegern ein Thema: Die am deutschen Markt vertretenen Namen galten meist als „erste Adressen“. Dass dies nicht in allen Fällen tatsächlich so war, bekamen Investoren erstmals bereits zu Jahresbeginn 2008 zu spüren: Die Turbulenzen an den Kapitalmärkten führten dazu, dass der Handel mit Papieren kleinerer Emittenten mangels Marktpflege zeitweise schwierig bzw. unmöglich wurde (vgl. AWA -Ausgabe Nr. 7/2008, Seite 13).
Insolvenz trotz Spitzennoten
Den gravierendsten Einschnitt erlebte der Markt am 15. September 2008, als die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Gläubigerschutz anmeldete. Rund 170 Zertifikate hatte die Bank bis dahin am deutschen Markt aufgelegt, oft in enger Kooperation mit deutschen Instituten. Der Börsenhandel dieser Papiere ist derzeit ausgesetzt und es ist zu befürchten, dass Anleger ihr investiertes Kapital ganz oder teilweise verlieren werden. Probleme kann es aber auch mit zahlreichen Geschlossenen Fonds geben, bei denen Lehman Brothers die regelmäßigen Zahlungen garantiert und auch eine Rückzahlungszusage abgegeben hatte.
Absehbar war die Pleite weder für Experten noch für private Anleger: Nur wenige Monate vor der Insolvenz beurteilten die führenden Ratingagenturen die amerikanische Investmentbank mit der fünftbesten Bewertung A1 (Moodys), A+ (Standard & Poors) bzw. AA- (Fitch) – mithin ähnlich gut wie die Dresdner Bank oder die WestLB. Entsprechend vollmundig gaben sich die Bankberater, wenn sie Zertifikate von Lehman Brothers verkauften: Hingewiesen wurde nur auf die Zertifikat-Konstruktion als solche und die damit verbundenen Risiken. Die Bonitätsfrage wurde jedoch in den Beratungsgesprächen kaum behandelt. Aber auch in den Werbeprospekten fand man vielfach in großen Lettern lediglich Schlagworte wie „Kapitalgarantie“, nicht jedoch Hinweise auf das Ausfallrisiko.
Hier liegt die Chance für Anleger, stellt sich doch die Frage der Beraterhaftung. Insbesondere wenn die Lehman-Papiere quasi „ins Depot gedrückt“ wurden, kann die vermittelnde Bank eventuell in Regress genommen werden. Als Anleger sollten Sie daher Ihre Unterlagen sichten: Optimal ist, wenn Sie z.B. einen Prospekt haben, der für die Sicherheit der Zertifikate wirbt, ohne auf die Risiken hinzuweisen. Weiterhelfen können aber auch Beratungsprotokolle, wie sie häufig erstellt werden. Hilfe bietet – neben mehreren Anwaltskanzleien –die Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz e.V., die ein Merkblatt für Zertifikate-Inhaber aufgelegt hat (anforderbar unter Tel. 0211/669702 oder bei dagmar.lutter@dsw-info.de).
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(22):16-16