Insolvenz von Apotheken

Gefahren erkennen und vermeiden


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Zwar sind echte „Pleiten“ bei Apotheken und Ärzten noch selten. Dennoch kann sich ein Gefährdungspotenzial rasch aufbauen: Sinkende Gewinne, höhere Kosten und Anforderungen sowie nicht selten eigene Selbstüberschätzung liefern eine brisante Mixtur.

Insolvenz – das bedeutet erst einmal nichts anderes als Zahlungsunfähigkeit, aber nicht immer das endgültige Ende. Mit der Insolvenz endet jedoch in jedem Fall ein großer Teil der Selbstständigkeit, da die weitere Existenz in die Hand von Beratern und Anwälten gelegt wird und vom Entgegenkommen vieler Geschäftspartner abhängig ist. Dass es nicht häufiger zum „Schlimmsten“ kommt, hat im Apothekenmarkt besondere Ursachen.

Zehren von den „guten Zeiten“

Zum einen haben ältere Kol­leginnen und Kollegen die „guten Zeiten“ mitgemacht. Es ist ein gewisses Vermögen da, die Altersvorsorge ist dank der berufsständischen Versorgungswerke vergleichsweise gut gepolstert. Nicht selten findet sich eine gutbürgerliche Herkunft mit einem gewissen Wohlstand in der nä­heren Verwandtschaft. Dies alles führt dazu, dass viele Objekte nicht „pleitegehen“, wie eigentlich zu erwarten wäre, sondern vielmehr bis zu ihrer regulären Schließung, z.B. bei Auslaufen des Mietvertrags und Erreichen der Altersgrenze, „abgewohnt“ werden. Zudem erwirtschaften selbst kleine „Ein-Mann-Apotheken“ meist immer noch einen gewissen – wenn auch geringen – Cashflow, verbrennen also insoweit kein Geld, zumal wenn sich die private Lebens­haltung in vernünfti­gem Rahmen abspielt. Schulden sind oft nicht mehr da. Kaufmännisch betrachtet, schreiben sie natürlich dicke rote Zahlen, insoweit wird das Vermögen nicht gemehrt und manchmal doch auf die eine oder andere Art gemindert (z.B. weil das eigene Wohn- und Geschäftshaus veraltet ist und im Wert verfällt).

Schon deutlich stärker ge­fährdet sind oft erstaunlich potent ausse­hende Objekte, die jedoch mit hohen Schulden belastet sind und vor einigen Jahren im Grunde überteuert gekauft wurden. Bisweilen musste noch ein aufwendiger Umbau erfolgen, vielleicht existieren halblebige Filialen und eine schmucke private Bleibe will man dem Jung­unternehmer ja ebenfalls nicht verwehren... Hier baut sich dann rasch ein beachtliches Gefährdungspo­tenzial auf, da nur auf Wachstum gesetzt wurde, Rückschläge aber nicht verkraftet werden können.

Und auch so manche Neugründung erfüllt die Erwartungen nicht. Einfach so auf der Straße liegen rentable Umsätze nicht mehr.

Bisher hat es aber den berühmten „Ruck“, das reinigende Gewitter in der Apothekenlandschaft nicht gegeben, die Margen verfallen eher langsam, dafür kontinuierlich. Doch wie kann es bis zur Insolvenz kommen? Und wie sieht eine wirksame Vorbeugung aus? Die Ursachen für eine Insolvenz lassen sich bildlich in mehrere Muster einteilen.

Crash-Theorie

Aus der Unfallanalyse ist bekannt, dass große Katastrophen sehr häufig dem unglücklichen Zusammenkommen gleich mehrerer unerwarteter Ereignisse geschuldet sind. Einem ähnli­chen Muster können Firmen­pleiten folgen. Da bricht ein Hauptverordner weg, gleichzeitig schließt ein wichtiger Frequenzbringer. Privat steht es ebenfalls nicht zum Bes­‑ ten, die Scheidung naht. Und unglücklicherweise ist der Haus­bau auch noch etwas teurer ge­worden als gedacht... Das sind Konstellationen, die den „stärksten Mann umhauen“. Vieles ist schlicht nicht absehbar und fällt zudem noch zeitlich zusammen. Rein statistisch betrachtet, sind solche Pech-Konstellationen zum Glück selten – aber nach Murphy gilt bekanntlich: Wenn etwas schiefgehen kann, geht es auch schief. Selbst mit großer Umsicht und Vorsicht sind für beinahe jedermann Situationen denkbar, die nicht mehr geschultert werden können. Damit ist diese Form der Krise diejenige, der am schwierigsten zuvorzukommen ist.

Schneeball-Theorie

Aus einem Schneeball kann bald eine Lawine werden, die sich nicht mehr stoppen lässt. Staatspleiten sind ein Beispiel oder der Zusammenbruch großer Firmen. Die jetzige Finanzkrise ist für Kenner ebenfalls nicht vom Himmel gefallen. Über Jahre hinweg haben sich Ungleichgewichte aufgebaut, die sich irgendwann krisenhaft zuspitzen.

In die Apothekenwelt übersetzt, könnte dies so aussehen: Ein ehemals guter Innenstadt-Standort verliert beständig. Die Privatentnahmen und der Lebensstandard bleiben kon­stant hoch. Die Kosten steigen relativ gesehen immer weiter. Die Apothekenleitung erkennt die Zeichen der Zeit nicht. Stattdessen werden Schulden aufgetürmt, wird immer mehr Phantasie und Kreativität dafür aufgewandt, ein kunstvolles Lügengebäude aufzubauen, um hier einen Kreditrahmen auszuschöpfen, da Valuten einzugehen, die fällige Steuererklärung bleibt liegen, ebenso immer mehr Rechnungen... Beim ersten Windstoß fällt dann das Kartenhaus zusammen – für Außenstehende „plötzlich und unerwartet“, für Insider war es nur eine Frage der Zeit. Die Lawine der aufgestauten Verbindlichkeiten überrollt jetzt alles. Pleiten dieser Strickart haben wenigstens ein Gutes: Sie sind mit wachen Augen vermeidbar, sie kommen schließlich nicht über Nacht.

Illusionisten-Theorie

Wer erinnert sich noch an den Neuen Markt? Ein klassisches Beispiel beinahe grenzenloser Illusionen, die Rechnung kam aber prompt in Form des Absturzes.

Manche Apothekenpleite geht ebenfalls auf das Konto der „Illusionisten-Theorie“. Etliche gescheiterte Neugründungen oder Filialübernahmen gehören hierher. Schöne Gutachten und das „O.K.“ der Bank mögen erst einmal eine trügerische Sicherheit vorgaukeln.

Doch wenn in das „Traum-Ärztehaus“ statt des Hausarztes der chinesische Handaufleger einzieht, die Dreifach-Internisten-Praxis sich lediglich als fideles Teilzeit-Modell darstellt und die Miete zwar zur Zahl der Praxisschilder, aber nicht zum Verordnungsvolumen passt, dann ist dies ein Beispiel für illu­sorische Erwartungen. Das Gleiche gilt für das Einkaufscenter, welches zwar durchaus viele tausend Besucher jeden Tag anzuziehen vermag, nur dass diese dort lieber ­spazieren gehen und zudem durch mehrere Ein- und Ausgänge entschwinden, die eben nicht alle an der Apotheke vorbeiführen.

Hier stehen schnell Schuld­fragen im Raum wie „Aber ich dachte doch, dass ...“ oder „Wozu zahle ich hohe Honorare für (vermeintliche) Experten?“. Wie man das auch im Einzelfall immer auseinanderpuzzeln mag – merken Sie sich: Wer sich auf andere verlässt, ist schnell selbst verlassen. Die Kernfrage lautet doch stets: Wie kommen die erforderlichen Kunden gerade in meine Apotheke? Auf eine Neugründung wartet heute niemand mehr, Umsätze müssen zäh umverteilt werden. Entweder man hat dafür signifikant bessere Standortvorteile ins Feld zu führen oder es wird sehr schwer und teuer. Damit ist diese Form der Pleite aber in aller Regel vermeidbar: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste und die nötige Kritikfähigkeit wird zur Hüterin des Portemonnaies. Leider aber heißt es zu häufig „Gier frisst das Hirn auf“ – doch die Rechnung kommt bestimmt.

Indikatoren

Wie merken Sie frühzeitig, dass Sie sich auf einer abschüssigen Bahn befinden? Aufkommende Ungleichgewichte lassen sich im Grunde recht leicht erkennen: Sie müssen nur die Entwicklung der Rohgewinne und der Kosten sowie Ihrer Privatentnahmen im Laufe der Jahre gegenüberstellen. Steigen die Erträge langsamer als die Kosten oder fallen die Rohgewinne gar bei Kosten, die nicht adäquat abgebaut werden, schnappt die Kosten-Ertrags-Schere zu. Dieser Prozess muss frühzeitig erkannt, die Ursache identifiziert werden. Lässt sich noch mit Kostenanpassungen oder der Ankurbelung des Umsatzes gegensteuern, umso besser. Läuft die Zeit aber unabweisbar gegen den Standort, muss über eine Aufgabe nachgedacht werden, bevor sich das Minus auftürmt und die Substanz aufgebraucht wird.

Weitere Indikatoren sind die Gesamtkapitalrentabilität und der Verschuldungsgrad. Sinkt die Kapitalrentabilität beständig und benötigen Sie bereits vier, fünf oder gar noch mehr Jahres-Cashflows, um theoretisch Ihre Schulden tilgen zu können, wird es bald kritisch. Sie drehen dann ein immer größeres Rad mit immer höherem Risiko.

Szenario-Technik

Im Fall einer Betriebsübernahme oder Neugründung sollten Sie einen „Best Case“, „Expected Case“ und „Worst Case“ vorab definieren (Szenario-Technik). Damit kennen Sie die Grenzen und „Leit-planken“. Nun geht es darum, stets zu beobachten, inwieweit Sie sich innerhalb dieser Leitplanken bewegen. Kommen Sie dem Worst Case nahe oder wird es gar noch schlimmer, sind starke Nerven gefragt: Lässt sich der Engpass nicht absehbar beheben, greift sofort die „Stopp-Loss-Technik“, d.h., es muss ein rascher Ausstieg eingeleitet werden. Zwar wird dies häufig mit empfindlichen Verlusten verbunden sein, aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Der kluge Unternehmer macht sich immer Gedanken, wie er aus einer Sache notfalls wieder herauskommen kann – bevor er unterschreibt.

Betriebswirtschaftliches Präventions­programm

Um die oben genannten Indikatoren abzuschätzen, sind aktuelle Betriebskennzahlen essenziell – dies kann man nicht oft genug wiederholen. Das setzt eine akkurate Erfassung und Verbuchung aller relevanten Vorgänge voraus. Profis lassen zudem nichts unkontrolliert auflaufen (beispielsweise Valuten und un­bezahlte Rechnungen) und können auf Knopfdruck hin­reichend genau jederzeit „Bi­lanz“ ziehen.

So sind wir beim nächsten Punkt: Ordnung, Disziplin und Transparenz. Damit verbieten sich die „Schuhkarton-Buchhaltung“ genauso wie irgendwelche „Schattenbuchun­gen“ und Verschleierungstaktiken. Nicht nur, dass sich die Kontroll- und Prüfmöglichkeiten in den letzten Jahren enorm verbessert haben – die Gefahr ist groß, dass Sie selbst die Übersicht verlieren. Das gilt umso mehr, je größer ein Betrieb ist. Auch die berüchtigte „Aufschieberitis“ ist ein Vabanquespiel: So bringen Sie nicht nur Ihr Steuerbüro durch nicht zeitnah weitergereichte Belege ins Schwitzen – Sie haben auch keinen aktuellen Überblick und fahren insoweit im Nebel.

Beobachten Sie Ihr Umfeld kontinuierlich. Vom Wegzug eines wichtigen Arztes oder dem Schließen des Lebensmittelhändlers nebenan sollte man nicht überrascht werden. Hier ist das „Networking“, die Verankerung im Ortsgeschehen, einfach Gold wert.

Vorsicht auch vor „Gigantismus“: Selbst wenn Filialen oder Preiskämpfe auf dem ver­meintlichen Weg an die Spitze locken – Hochmut kommt leider oft vor dem Fall.

Und noch einmal: Verlassen Sie sich möglichst wenig auf andere. Kaufen Sie wichtiges Spezialwissen gezielt ein, aber behalten Sie die Zügel in der Hand und den „roten Faden“ im Auge. Erwarten Sie nicht, dass andere umfassend für Sie denken oder gar in die Zukunft schauen. Das kann im Idealfall zwar so sein – die Regel ist es nicht. Achten Sie stets auf Motivlage und Neutralität Ihrer Geschäftspartner und Berater. Was treibt sie dazu an, Ihnen dieses und jenes zu raten?

Mit diesen Empfehlungen sollte eine Insolvenz schon wesentlich weiter weg rücken. Doch was passiert, wenn die „Pleite“ bereits zum Greifen nah ist? Lesen Sie hierzu unseren Beitrag in der nächsten AWA -Ausgabe vom 1. Dezember 2008.

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(22):5-5