Prof. Dr. Reinhard Herzog
Gemessen an früheren Zeiten von „1+1“ und Barrabatten von über 25%, herrscht heute regelrechte Rabattflaute im Direktgeschäft. Nicht wenige Rabattangebote spielen sich derzeit unter 20% ab. Die Großhandelskonditionen bewegen sich gleichfalls im Rückwärtsgang, auch im Nicht-Rx-Segment.
Rabattflaute herrscht aber nur auf den ersten Blick. Die Ausschreibungen der Krankenkassen dürften teilweise Rabatte jenseits der 50% auf das nach bisheriger Lesart schon enge Festbetragsniveau erzielen. Anders lassen sich z.B. die avisierten Einsparungen von 500 Mio. € der AOK auf die „berühmten“ 63 Wirkstoffe nicht erklären. Das wiederum bedeutet, dass die Überwälzungseffekte auf das Direkteinkaufsgeschäft der Apotheken noch einmal zunehmen könnten. Insgesamt werden nämlich beträchtliche Erträge umverteilt, die etliche Firmen nicht mehr so ohne Weiteres ausschließlich aus internen Kosteneinsparungen regenerieren können.
Sogenannte A-Kunden (die Top-Kunden, zu denen neben starken Einzelapotheken die Kooperationen und bekannte Versandapotheken gehören) erzielen zwar noch überdurchschnittliche Nachlässe. Allerdings wird es bei den Kooperationen schon schwierig. Wenn 70% der Apotheken hier organisiert sind, können das nicht alles A-Kunden sein. Vielfach findet bei diesen Gruppenkonditionen die „Regression zum Mittelwert“ statt – der wirklich starke Einzelne kann schon wieder mehr erzielen als die breite Masse. Und Verbund ist nicht gleich Verbund.
Grundsätzlich sind diese Entwicklungen ein ernstes Alarmsignal. Rabatte von 30%, 40% oder mehr zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist in einem Markt. Wo liegt denn da der wirkliche Preis? Wer stolze 30% Nachlass bekommt, fühlt sich trotzdem betrogen, wenn er erfährt, dass der Nachbar oder eine andere Kooperation 40% bekommen haben. So waren z.B. die Rabattschlachten vornehmlich der amerikanischen Autoindustrie die Ouvertüre zur jetzigen Agonie eines ganzen Industriezweigs, dem womöglich der kollektive Untergang bevorsteht. Ähnliches droht vielleicht, wenngleich mit weitaus geringerer absoluter Bedeutung, auch Teilen der Pharmaindustrie. Erst der Generikabranche und den Hilfsmittelanbietern, später könnten solche Entwicklungen infolge geplanter Preiskontrollen auf Teile der forschenden Industrie überschwappen.
Gefahren für die Rabatte
Die Gefahren für die Rabatte kommen von verschiedenen Seiten:
- Die Überwälzungseffekte seitens der Hersteller auf das OTC-Segment wurden bereits erwähnt.
- Im Gefolge von Wirkstoffzuschlägen an einen einzelnen Anbieter innerhalb eines Gebietsloses besteht seitens der Industrie zu‑ dem keine Notwendigkeit mehr, im Rx-Segment Rabatte selbst auf dem eingeschränkten Nach-AVWG-Niveau einzuräumen. Die Apotheken haben schließlich kaum mehr Auswahl- Alternativen. Warum sollen hier noch Erträge „verschenkt“ werden?
- Die geplante neue Großhandelstaxe könnte ebenfalls Verdruss bringen: Sollte sich das Fixzuschlagsmodell plus prozentualem Zuschlag von 3% im Sinne der „Waffengleichheit“ auch auf den Direktbezug von Rx-Arzneimitteln beziehen, sind selbst die heuti-gen Rabatte weitestgehend Geschichte und werden auf besagte 3% gedeckelt.
- Dass im Zuge der Novellierung der Großhandelsvergütung deutliche Abstriche beim Rx-Rabattniveau auch beim Großhandelsbezug gemacht werden müssen, liegt ebenfalls in der Luft.
Unterschiedliche Betroffenheit
Gleichwohl wird die Betroffenheit sehr unterschiedlich ausfallen. Wer heute schon schlechte Konditionen hat, kann nicht mehr allzu viel verlieren. „Aktive“ Apotheken können hingegen kräftig einbüßen. Wer bei 1 Mio. € Einkaufsvolumen für 200.000 € direkt bestellt und darauf durchschnittlich 20% Rabatt bekommt, für den stehen rund 40.000 € Rabattvolumen zur Disposition. Auf die Handelsspanne umgerechnet, sind das gut und gerne um die 3 %- Punkte, die allein diese Direktrabatte ausmachen. Wer lediglich 5% direkt einkauft, hat selbstredend nur einen geringen Gewinnbeitrag. Jedem ist daher anzuraten, einmal den Gewinnbeitrag der Rabatte allgemein und speziell der Direktrabatte für die eigene Apotheke zu analysieren.
Besonders pikant wird die Lage bei zahlreichen Filialkonstruktionen, deren Gewinnbeitrag sich – wenn überhaupt schwarze Zahlen geschrieben werden – vor allem aus Nachlässen speist. Gehen dann die Spannen um ein, zwei oder gar noch mehr Prozentpunkte zurück, schrumpfen die Gewinne überproportional oder es drohen gar rote Zahlen. Von 3% Gewinn ist man natürlich schneller auf null als von 9% aus. Diese Betriebe verdienen dann oft nicht einmal mehr die getätigten Investitionen.
Das Geschäft wird schnelllebiger
Die Zeiten, in denen die Firma XY immer gute Konditionen gab, sind ebenfalls vorbei. Die Angebote wechseln rasch – und mit ihnen die Rabatte und sonstigen Nachlässe. Was gestern war, gilt heute nicht mehr. Es hält zunehmend eine Art „Schaukelpolitik“ wie an der Börse Einzug: Mal geht es rauf, mal runter mit den Konditionen. In diesem Wechsel liegt der Gewinn. Wer nicht hinschaut und „dranbleibt“, erzielt schlechtere Ergebnisse.
Da stellt sich stets die Frage nach dem Aufwand. Nach einer Faustregel lohnt das Direktgeschäft erst ab einem Auftragsvolumen von zirka 500 € und einem Rabattvorsprung von etwa 5 %-Punkten. Andernfalls ist der Großhandelsbezug meist die berechenbarere und weit einfachere Alternative. Das ist natürlich auch immer eine Frage der Personalressourcen und -auslastung. Wer „an der Kante“ besetzt ist, wird eher den bequemeren, schnelleren Weg wählen. Wer personell vergleichsweise üppig ausgestattet ist, vielleicht sogar spezialisierte „Einkäufer“ im Personalstamm hat, kann bei entsprechend guter Organisation selbst kleinere Rabattvorteile noch gewinnbringend nutzen. Rationelle Arbeitsweise ist hier bares Geld wert.
Der durchschnittliche Einkaufspreis einer OTC-Packung bewegt sich je nach Apotheke in der Größenordnung von 3,00 € bis 5,00 €. Eine nach Anzahl sehr starke Klasse liegt mehr oder weniger deutlich unter 2,00 € Einkaufswert je Packung (viele Schmerzmittel, Nasensprays usw.); 1 %-Punkt Rabatt steht damit für wenige Cent. In der Masse macht dies zwar auch etwas aus. Doch angesichts eines stagnierenden OTC-Markts kommt es mehr auf den Absatz an sich an. Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie günstig einkaufen und eine hohe Spanne haben, aber die Produkte sich nicht drehen. Nicht umsonst geben schwache Marken überproportional gute Konditionen, während starke Marken schon einmal die Zügel empfindlich anziehen.
So sind 100 verkaufte Packungen mit einem Stückertrag von 4,50 € immer noch schlechter als 300 Stück zu lediglich 3,00 € Stücknutzen – die bekannte Nutzenkennziffer lässt grüßen. Die entscheidenden Fragen lauten daher, welches Produkt verspricht den höheren Gesamtnutzen und welche Erfolgschancen können Sie sich angesichts der Produktaufmachung und -quali‑ tät, der Preisgestaltung sowie der Werbeunterstützung ausrechnen?
Somit kommt den Unterstützungsmaßnahmen für den Abverkauf eine oft unterschätzte Bedeutung zu. Neben dem Werbekostenzuschuss (der ja eine Art Extrarabatt ist) sind hier vor allem Dinge wie Proben, Werbematerial, Broschüren usw. gemeint, aber auch eine ansprechende begleitende Publikumswerbung. Auf der pharmazeutischen Ebene geht rasch hervor, welche Stärken und Vorteile das Produkt gegenüber anderen hat. Dem Packungsdesign, der Aufmachung der Patientenbeilage usw. sollte ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Mit den Augen der Kunden sehen
Das Erfolgsrezept der angebotsorientierten Profilierung liegt darin, Ihre Angebote mit den Augen der Kunden zu sehen: Welche Vorteile bieten diese, was sticht ins Auge, wo liegt das gewisse Etwas, das die Kunden gerade dieses Produkt wählen lässt? Somit finden Sie die Diamanten und Goldstücke in der Fülle der Edel-, Halbedel- und vielen Kieselsteine – was nicht leicht ist angesichts der heutigen Produktüberflutung. Aber eine dankbare Aufgabe, verspricht dieser Ansatz doch gute Chancen, sich zumindest besser als die Konkurrenz im Markt zu behaupten. Wenn Sie einmal Ihr eigenes Einkaufsverhalten anschauen, dann werden Sie feststellen, dass Sie etliche Läden nur deshalb besuchen, weil diese bestimmte Sortimente oder einzelne Produkte führen, die andere eben so nicht haben.
Die Kompensation schwächelnder Rabatte durch Preiserhöhungen wird dagegen schwieriger. Zum einen passt dies nicht mehr in die aktuelle Großwetterlage, zum anderen unterliegen gerade wettbewerbsintensive Massenprodukte einer zunehmend kritischen Beobachtung durch die Kunden. So müssen Sie diese zwar nicht verramschen, wohl aber ist der Weg zu Preiserhöhungen, die Ihnen mehr bringen, als dass sie Image zerstören, weitgehend verbaut. Preisspielräume haben Sie nur dort, wo die Vergleichbarkeit gering und gleichzeitig der emotionale Wert des Produkts hoch ist.
In jedem Fall sollten Sie aber alle Weichen für ein Sortimentscontrolling und die Nachverfolgung der „echten“ Stückerträge (d.h. un‑ ter Einrechnung der aktuellen Rabatte) stellen. Die meisten EDV-Programme können dies heute, auch wenn sich mehrere Lieferungen zu unterschiedlichen Konditionen mischen.
Anlegen einer „Lieferantenakte“
Sehr aufschlussreich ist eine „Lieferantenakte“ mit der entsprechenden Historie: Legen Sie für jeden bedeutsamen Lieferanten eine Mappe (bzw. eine Kartei in der EDV) an. Neben den Einkaufskonditionen gehören hier selbstredend die nominalen Einkaufspreise, die empfohlenen Verkaufspreise (die oft immer noch die Messlatte bilden) sowie die Produkthistorie hinein: Welche Produkte kamen und verschwanden wieder? Welche Umstellungen und Packungsgrößenveränderungen gab es? Wie dreht sich der gesamte Lagerbestand bei dieser Firma? Stimmt die Sortimentsbreite und -gestaltung? Dies sind wertvolle Informationen für ein Konditionengespräch und die Frage, ob Sie A-, B- oder gar nur C-Kunde sind. Sie haben zudem die Veränderungen der Einkaufsvorteile schwarz auf weiß und sind nicht nur auf Ihr Gefühl angewiesen. Legen Sie mehrere Lieferanten nebeneinander, werden Sie vielleicht feststellen, dass es sich angesichts ähnlicher Sortimente lohnt, eine Firma konsequent ein- oder bis auf ein unverzichtbares Restsortiment auszulisten.
Fazit: Sinkende Rabatte kompensieren
Die Rabattjagd wird schwieriger und zudem noch weniger einträglich. Solide Finanzplanungen nehmen für künftige Ertragsberechnungen einen Sicherheitsabschlag vor, der je nach dem heute erzielten Rabattvolumen im Direkt- und Großhandelsbezug die Größenordnung von 1 bis 3 %-Punkten vom Nettoumsatz erreichen könnte. Die interessanteste Möglichkeit der Kompensation besteht sicher darin, sich neuen, heute in der Apotheke noch wenig erschlossenen Sortimenten und Dienstleistungen zuzuwenden – ein mühsamer, aber Erfolg versprechender Weg. Der ertragsmäßige Niedergang der Massenprodukte scheint dagegen erst einmal vorgezeichnet.
Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(10):5-5