Apothekenkauf und -verkauf

Aktuelle Ermittlung von Apothekenwerten


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Die zutreffende Ermittlung des Betriebswerts ist die hohe Schule der Betriebswirtschaft. Doch was heißt „zutreffend“? Die Börse zeigt, wie Unternehmenswerte schwanken. Eine „marktgerechte“ faktenbasierte Unternehmensbewertung trifft den Kern der Sache eher.

Zuerst eine ganz simple Tat­sache: Der Wert einer Apotheke wird dadurch bestimmt, was ein Käufer dafür bezahlt – Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Und da spielen Psychologie, politische Wetter­lage, aber auch demografische Faktoren (wie viele Kollegen scheiden aus, wie viele treten in den Markt ein?) oder lokale Besonderheiten (attraktive Ge­genden versus ungefragte Standorte) eine gehörige Rolle. Das erklärt die teils beträchtlichen Abweichungen der Marktpreise von jenen, die in Gutachten ermittelt werden.

Nichtsdestotrotz haben sich „objektive“ Bewertungsmaßstäbe herausgebildet. Wobei das Wort „objektiv“ mit Vorsicht zu sehen ist; Sie werden erkennen, dass selbst in nüchternen Formeln viel subjektiver Ermessensspielraum steckt.

Zuerst ist aber zwischen den verschiedenen Werten zu unterscheiden. Der Warenlagerwert ist dabei am objektivsten zu beziffern. Allenfalls die Grenzziehung zur „Unverkäuflichkeit“ und der vorzunehmende Rabattabschlag können strittig sein – doch praktisch bewegt sich das in einem Bereich von wenigen Prozentpunkten. Bezogen auf den Gesamtkaufpreis verblasst dies und es lohnt meist nicht, hier zu streiten. Es sei denn, es handelt sich um ein aus dem Ruder gelaufenes, ungepflegtes Warenlager – heute eher selten.

Der noch vorhandene Sachwert orientiert sich am bilanziell ausgewiesenen Buchwert. Nicht immer treffen diese steuerlich bedingten Wertabschreibungen die wahre Sachlage. Dann ist der Gebrauchswert anzusetzen und hier können Diskussionen entstehen. Vergleichsangebote von Apothekenverwertern dienen als Orientierungsmarke, spiegeln aber meist nicht das gesamte Inventar wider. Dass Differen­zen um den Sachwert eher selten sind, liegt einfach daran, dass üblicherweise ein Geschäftswert ermittelt wird, der sowohl den Sachwert als auch den „Goodwill“, d.h. den nicht-materiellen Wert für den Kundenstamm, den Ruf der Apotheke, ihre Marktstellung usw., umfasst.

Die alte Umsatzmethode

Die frühere und heute noch in vielen Köpfen verankerte Umsatzmethode definiert den Geschäftswert (ohne Warenlager) als einen festen Prozentwert vom Nettoumsatz. Gängige Sätze sind 15% bis 25%, in Phasen spekulativer Übertreibung (Vor-EuGH-Phase!) oder bei exponierten Objekten auch einmal jenseits der 30%-Marke. Nichtsdestotrotz: Umsatz und Gewinn sind zu wenig miteinander korreliert, als dass darauf eine zutreffende Unternehmensbewertung aufgebaut werden könnte. Wie sehr die Umsatzbewertung schwankt, zeigt die Börse: Selbst Großunternehmen z.B. aus Handels- und Grundstoffbranchen erreichen zum Teil nur 10% oder 20% des Umsat­zes als Börsenwert; bei High-Tech- und Pharmawerten wird dagegen von Umsatzmultiplen gesprochen – mit dem zwei- oder dreifachen des Umsatzes.

Heute: Standard Ertragswertmethode

Daher wird heute der nach­hal­tige Gewinn im Ertragswertverfahren als weitaus sinnvollere Bezugsgröße zugrunde gelegt. Dabei wird dieser Gewinn mit einem Kapitalisierungszinssatz – meist in Höhe von etwa 12% bis 16%, was die höhere Kapitalverzinsung unternehmerisch arbeitenden Kapitals abdecken soll – kapitalisiert. In Sonderfällen werden auch einmal Zinssätze außerhalb dieses Bereichs angesetzt. Man kann jetzt den Kehrwert des Zinssatzes bilden und erhält einen Gewinn-Multiplikator, einen Faktor, der sich üblicherweise zwischen 6,25 und 8,33 bewegt. Bereits diese Spannbreite signalisiert den Spielraum bei der Wertberechnung.

Die Ermittlung des nachhaltigen Gewinns ist mit Fallstricken gespickt. Zuerst ist der in der Vergangenheit erzielte Gewinn um alle Sonderfaktoren zu bereinigen, die künftig erkennbar wegfallen werden. Danach sind die Kostenpositionen auf die spätere Käufersicht hin zu korrigie-ren, beispielsweise

  • zu hohe Kfz- und Reisekosten wegen Verquickung mit Privatem,
  • viel zu niedrige Werbe- oder Instandhaltungskosten, weil man nur noch „geerntet“ hat,
  • außergewöhnliche einmalige Aufwendungen,
  • Personalkosten, die nur deshalb so extrem niedrig waren, weil die ganze Familie unentgeltlich oder zu nicht angemessenen Löhnen mitgearbeitet hat, aber auch
  • der umgekehrte Fall, dass z.B. der Ehepartner zu weit überhöhten Kosten „in den Büchern“ steht.

Vollkommen anders fallen aus Käufersicht die Kapitalkosten aus, d.h. Zinsen und Abschreibungen. Ein kriti­scher Punkt! Ermittelt man nämlich den nachhaltigen Gewinn unter Einrechnung von AfA und Zinsen (geht man also vom Ergebnis vor Steuern aus), dann muss eine rekursive Rechnung erfolgen, da die Zinsen und Abschreibungen ja selbst vom Kaufpreis abhängen. Dies wird nur selten beherrscht (es ist z.B. in Excel mit der Zielwertsuche-Funktion möglich). Eine ganz andere Betrachtung geht daher schlicht vom operativ erwirtschafteten Cashflow aus, also dem Rohgewinn minus aller in Geld angefallenen Kosten für den reinen Apo­thekenbetrieb (betriebswirtschaftlich das EBITDA, Earnings before Interests, Taxes, Depreciation and Amortization) – dazu in einem späteren Beitrag mehr.



Auch die Gewerbesteuer ist so ein Punkt: Reduziert sie den Gewinn (sie ist ja inzwischen keine Betriebsausgabe mehr und wird bei der Einkommensteuer angerechnet) oder nicht?

Das alles signalisiert bereits eine Menge Diskussionsstoff. Es verwundert daher nicht, das gerade wegen der Er­mittlung dieses nachhaltigen Gewinns teure Gutachter ins Spiel gebracht werden. Deren Bewährungsprobe besteht da­rin, dies sachgerecht „auseinanderzupflücken“.

Ist das vollbracht, ist der Rest ganz leicht. Eine Kröte muss noch geschluckt werden – der Ansatz des kalkulatorischen Unternehmerlohns. Kapitalisiert und bezahlt wird nur die „Überrendite“, die über diesem Unternehmerlohn liegt. Es liegt auf der Hand, dass der Käufer auf einen möglichst hohen, der Verkäufer auf einen niedrigen Wert drängen wird. Ausgehend vom höchsten Tarifgehalt mit einem Zuschlag von 10% bis 20% für die unternehmerische Verantwortung sowie gut 20% für die allein zu tragenden Sozialnebenkosten erreichen wir Beträge von gut 60.000 € bis gut 70.000 €. Bei größeren Apotheken müssen verantwortungsgerechte höhere Gehälter an­gesetzt werden, das können gut und gerne 60.000 € bis 70.000 € p.a. sein – zuzüglich 20% Sozialnebenkosten.

Da der jetzt übrig bleibende Gewinn mit Faktoren von rund 6 bis 8 multipliziert wird, machen 1.000 € plus oder minus 6.000 € bis 8.000 € im Wert aus. 10.000 € mehr oder weniger Unternehmerlohn sind also bereits ein kleines Vermögen von 60.000 € bis 80.000 €. Das illustriert die eingangs erwähnte Subjektivität und die Bewertungsspielräume. Provokativ formuliert: Sie können sich beinahe jeden Wert zusammenrechnen!

Aus der Sicht des Käufers bedeutet der Ertragswertansatz im Übrigen (ohne steuerliche Erwägungen), dass er 6 bis 8 Jahre, entsprechend dem Wert des Gewinn-Multiplikators, mit dem kalkulatori­schen Unternehmerlohn vor­liebneh­men muss und den dar­über hinausgehenden mut­maßli­chen Gewinn in dieser Zeit vorab an den Verkäufer entrichtet...

Meist schließt der Ertragswert das Warenlager mit ein – es wird nämlich der Gesamtkaufpreis (basierend auf einer Gesamt-Kapitalverzinsung mit den erwähnten 12% bis 16%) errechnet. Der Gewinn wird auf die Gesamtinvestition hin kapitalisiert. Das wird allerdings bisweilen unterschiedlich gesehen und muss im jeweiligen Gutachten sorgfältig hinterfragt werden.

Bei den häufigen Apothekentypen im Umsatzbereich von 1 Mio. € bis 2 Mio. € machen die Gewinnkorrekturen sowie der Unternehmerlohn-Ansatz viel aus. Der Grund liegt darin, dass der Gewinn oft nicht allzu sehr über den kalkulatori­schen Unternehmerlohn hinausgeht. Ob dann 40.000 € oder nur 25.000 € kapitalisiert werden – dieser Unterschied ist ganz schnell beisammen. Das beeinflusst jedoch den Wert enorm, wie die Tabelle auf Seite 6 beispielhaft zeigt. Es fällt auch nicht schwer, einen nachhaltigen Gewinn von „nur“ 30.000 € durch allerlei Neu- und Umbewertungen gegen Null zu drücken – oder weiter zu „pushen“.

Anders sieht es dagegen aus, wenn sechsstellige Gewinne zur Kapitalisierung anstehen. Ein paar tausend Euro plus oder minus spielen hier relativ betrachtet eine geringe Rolle, die Bewertung ändert sich nur noch marginal. Dagegen schlägt der Kapitalisierungs-Zinssatz viel stärker zu Buche, sprich, ob der Gewinn mal 6 oder mal 8 gerechnet wird. Meist ist die Nachfrage nach solchen Ertragsperlen aber so groß, dass über den Preis, obgleich oft in beachtlichen Größenordnungen, gar nicht viel gefeilscht werden muss. Schließlich gibt es nach wie vor kapitalstarke Apotheker. Der frühe, schnelle und entschlussfreudige Vogel fängt hier den Wurm...

„Hausaufgaben“ zuerst machen

Für den Verkäufer sind die „Hausaufgaben“ klar: Er sollte frühzeitig alles daran setzen, seine Zahlen auf gute Branchenwerte hin zu trimmen und Ausreißer auf der Kos­tenseite auszubügeln – bevor Gutachter den Rotstift über seinen Bilanzen schwingen. Ziel muss es sein, einen guten kapitalisierungsfähigen Gewinn auszuweisen – mit Zukunftsperspektive. Wenn es auf den Verkauf zugeht, sollten Sie sich keine Blößen geben. Und falls Sie Kostenpositionen nicht mehr ändern können: Suchen Sie plausible Erklärungen und zeigen Sie selbst die Korrekturbeträge auf. Beim Verkauf spielt Vertrauen eine große Rolle, spielen Sie also mit offenen Karten!

Für den Käufer kommt es dagegen darauf an, die offenen Flanken in den Zahlenwerken des Kaufobjekts zu erkennen. Ihm ist natürlich daran gelegen, den Gewinn tendenziell zu drücken, zumindest aber ihn so realistisch wie möglich zu erfassen – mit korrigierten Kostenansätzen und Möglichkeiten aus seiner speziellen Sicht, die sich von der Verkäufersicht bisweilen beträchtlich unterscheidet. Weiterhin ist für den potenziellen Käufer das Zahlenwerk nur ein Anhaltspunkt. Die Standortbe­wertung, insbesondere die Zu­kunftsperspektiven, sind noch entscheidender.

Zwischenfazit: hohes Konfliktpotenzial

Die Bewertung nach scheinbar objektiven Methoden birgt somit trotz aller Formeln und Zahlen erhebliches Konfliktpotenzial. Gewinnkorrekturen, zugrunde liegender Kapitalisierungszinssatz, kalkulatori­scher Unternehmerlohn – die Stellschrauben sind vielfältig, die Auswirkungen groß. Damit kommt den Gutachtern eine enorme Bedeutung zu – ihre Ansätze sind quasi Gesetz. Zumindest bis ein anderer Gutachter kommt...

Mit gesundem Menschenverstand lässt sich das jedoch auch selbst hinterfragen und auf eine plausible Grundlage stellen. In einem weiteren Beitrag werden Sie daher etwas über alternative Bewertungsansätze erfahren.

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(17):5-5