Hemmfaktor Harmoniesucht

Kritik als Voraussetzung für gelungene Teamarbeit


Ute Jürgens

Das Betriebsklima in der Apotheke leidet manchmal unter einer ausgeprägten Harmoniesucht. Zahlreiche Konflikte lassen sich jedoch vermeiden, wenn Störungen frühzeitig angesprochen werden und über Kritikpunkte freundlich, aber deutlich geredet wird.

Entscheidend für die Entstehung von Konflikten ist oft die qualitativ und quantitativ unzureichende Kommunikation. Versteht unser Gegenüber, was wir meinen oder interpretiert er bzw. sie das Gesagte anders? Da einige Angestellte überhaupt keinen Kontakt miteinander haben, können sie sich nicht austauschen und sind auf Vermutungen und Mitteilungen Dritter angewiesen. Aus Nichtigkeiten entstehen dann manchmal große Probleme, die den Betriebsablauf und das gute Klima stören.

Persönlicher Kontakt

Abhilfe schaffen lässt sich z.B. mit regelmäßigen Teamsitzungen oder einander überschneidenden Schichten, so­dass zumindest eine Übergabe mit den wichtigsten Informationen stattfinden kann. Dieser persönliche Kontakt ist viel mehr wert als „Schriftverkehr“, weil dabei das Gegenüber mit allen Sinnen wahr­genommen wird und Missverständnisse eher bemerkt und geklärt werden. Die gegen­seitige Abhängigkeit, in der wir automatisch als Teammitglieder stehen, kann sich sonst – wird sie nicht als Selbstverständlichkeit akzeptiert – zu einem Kampf um Macht und Einfluss auswachsen. Auch hierin liegt ein großes Potenzial und häufiger Anlass für Spannungen.

Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, verur­sacht Neid und Unzufriedenheit. Fortbildungsstunden, die nur einigen gutgeschrieben oder bezahlt werden, unterschiedliche Gewährung von Brückentagen, ungleich verteilte Samstagsarbeit: All dies setzt sich in den Köpfen der Mitarbeiter fest. Dabei existiert kein Unterschied zwischen tatsächlichen oder vermuteten Ungerechtigkeiten: Das, was zählt und wirkt, ist das Gefühl! Eine Klärung des Problems sollte – wie immer bei Unstimmigkeiten – frühzeitig erfolgen.

Gefragt: Konfliktfähigkeit

Unvereinbare Persönlichkei­ten und Einstellungen können bereits in der Probezeit oder schon beim Vorstellungsgespräch zutage treten. Falls sich hier nicht die Wege trennen und auch nicht die Toleranz gegenüber dem anderen wächst, keimt der Widerstand. Zunächst innerlich, dann durch kurze Bemerkungen zu Dritten, schließlich beginnt der Versuch, das „Kuckucksei“ aus dem Nest zu werfen.

Ärger, Groll und Empfindlichkeiten erschweren uns oftmals den Alltag. Jeder Mitarbeiter hat unterschiedliche Toleranzgrenzen, die Tagesform ist bei allen anders, manche reißen sich immer zusammen, andere nie usw. Bei Meinungsverschiedenheiten unterscheidet man zwischen den Konfliktscheuen und den Streitlustigen als extremen Typen. In der Mitte davon befinden sich die konfliktfähigen Menschen. Sie haben weder Angst vor Aggressivität noch vor zuviel Nachgiebigkeit, die ihnen als Schwäche ausgelegt werden könnte.

Den Verlauf von Konflikten kann man auf die Kurzformel „Je später die Klärung versucht wird, desto schwieriger wird sie“ bringen. Eine Schlüsselfrage dazu: „Habe ich den Konflikt oder hat der Konflikt mich?“ Solange ich selbst alles unter Kontrolle und den Willen zur Lösung habe, ist noch „Land in Sicht“. Fühle ich mich ausgeliefert, habe überhaupt keinen Überblick mehr und kann meine normalen Aufgaben nicht mehr konzen­triert erfüllen, ist es höchste Zeit für professionelle Hilfe.

Das Schwierige an Kritik ist, dass wir anderen nicht zu nahe treten möchten bzw. schnell selbst verunsichert sind und uns automatisch verteidigen. Zudem wollen wir uns nicht unbeliebt machen oder Ablehnung ernten. Aber ist es nicht viel verletzender, wenn wir einander nicht zutrauen, Dinge annehmen oder zusammen lösen zu können und daher unehrlich sind?

Wenn Sie als Chef ein Feedback bekommen, hören Sie erst einmal zu. Achten Sie da­rauf, dass Ihr Gesprächspartner von seinen eigenen Problemen und Befindlichkeiten spricht. Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen, sondern können sich in Ruhe überlegen, ob Ihnen Ihre Handlungsweise so wichtig ist, dass Sie sie immer genauso fortführen müssen, oder ob Sie sie ebenso gut modifizieren können.

Kritik zeugt von Vertrauen

Es ist nicht immer einfach, eigene Gefühle zu offenbaren. Dass Ihr Mitarbeiter sich Ihnen gegenüber öffnet, zeugt von viel Vertrauen. Enttäuschen Sie es nicht, sondern antworten Sie genauso offen und ehrlich. Um sich als Chef weiterzuentwickeln, müssen Sie meist zu Kritik ermutigen. Angestellte trauen sich oft nicht, den direkten Weg zu gehen, sondern äußern sich in Andeutungen oder untereinander über Sie.

Insgesamt ist es wichtig, als Chef im Vorfeld unparteiisch zu sein und Kritikgespräche unter den Mitarbeitern zu fördern. Wer als Leiter sagt: „Ich will hier Harmonie, macht das unter euch aus“ und dann nicht mehr ansprechbar ist, drückt sich vor seiner Verantwortung für ein gutes Betriebsklima.

Das gleichzeitige Beachten all dieser Gesichtspunkte ist nicht leicht und erfordert Ihre volle Konzentration, Kraft und Geduld. Der gute Wille wird oft auf die Probe gestellt, lassen Sie nicht locker, sondern erkämpfen Sie gemeinsam eine tragfähige Basis für die weitere Zusammenarbeit. Falls das nicht möglich ist, sollten Sie professionelle Hilfe wahrnehmen, die Ihnen mit dem notwendigen emotiona­len Abstand und methodisch versiert beistehen kann.




Ute Jürgens, Kommunikationstrainerin
und Einzelcoach,
KomMed, 28865 Lilienthal,
E-Mail: KomMed@freenet.de

Buchtipp

Benien, Karl: Schwierige Gespräche führen – Modelle für Beratungs-, Kritik- und Konfliktgespräche im Berufsalltag. Rowohlt, 2003, 9,95 € zu beziehen über den Deutschen Apo­theker Verlag (Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de). Jürgens, Ute: Vollzeit, Teilzeit: Kommunikation mit Kollegin Phantom. Zu beziehen über die Autorin.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(01):8-8