Dr. Christine Ahlheim
? Welche Erwartungen haben Sie an die anstehende Gesundheitsreform der neuen Bundesregierung?
All jene Parteien, die erklärtermaßen eine sogenannte Bürgerversicherung einführen und somit die private Krankenversicherung quasi abschaffen wollten, sind nicht mehr in der Regierung. Die neue Koalition bietet daher die Chance auf einen Richtungswechsel, den die Gesundheitspolitik dringend nötig hat. Schwarz-Gelb bekennt sich im Koalitionsvertrag ausdrücklich zur privaten Krankenversicherung als festem Bestandteil eines freiheitlichen Gesundheitswesens.
Nun muss die neue Regierung zügig handeln: Als ersten Schritt erwarte ich die Streichung der Wartefrist von drei Jahren für Arbeitnehmer, die von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung wechseln wollen. Nach aktuellem Recht müssen Arbeitnehmer drei Jahre über der Versicherungspflichtgrenze verdienen, bevor ein Wechsel möglich ist. Ab diesem Jahr sind das jährlich 49.950 €. So wird der Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung künstlich eingeschränkt. Union und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, wieder die alte Frist einzuführen, nach der ein Wechsel bereits nach einmaligem Überschreiten der Einkommensgrenze möglich ist. Diese Ankündigung muss jetzt schnellstmöglich umgesetzt werden, damit die Menschen, die in die private Krankenversicherung wechseln wollen, dies auch dürfen.
Zudem will die Koalition bei Zusatztarifen die Abgrenzung zwischen privaten Versicherungen und gesetzlichen Krankenkassen klarer ausgestalten. Auch dies ist richtig: Zusatzversicherungen haben im Angebot einer Sozialversicherung nun wirklich nichts zu suchen.
? Die von Ihnen angesprochenen Regelungen wurden ja erst vor Kurzem von der großen Koalition eingeführt. Haben Sie darüber hinaus noch grundsätzliche Änderungswünsche?
Wir fordern mehr Verhandlungskompetenz über Qualität, Mengen und Preise von Gesundheitsleistungen. In den letzten zehn Jahren hat die private Krankenversicherung überproportionale Kostensteigerungen verkraften müssen. Diese Entwicklung muss gebremst werden, denn wir können nicht dabei zuschauen, wie die Vorzüge des privaten Krankenversicherungssystems durch einen überproportionalen Anstieg der Leistungsausgaben konterkariert werden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der ärztlichen Leistungen, unseren größten Kostenblock.
Um hier mehr Einfluss zu nehmen, brauchen wir allerdings gesetzliche Änderungen. Denn bisher können wir aus kartellrechtlichen Gründen mit den Leistungserbringern, also zum Beispiel mit den Ärzten, nicht über Preise, Mengen und Qualität verhandeln.
Es gehört doch zum Wesen unseres Wirtschaftssystems, dass Geschäftspartner ihre Beziehungen frei über Verträge regeln. Es ist unbegreiflich, warum die private Krankenversicherung das bis jetzt nicht darf.
? Die Koalition plant die Einführung einer ergänzenden kapitalgedeckten Pflegeversicherung. Wie beurteilen Sie dieses Vorhaben?
Das wäre eine geradezu historische Weichenstellung. Ohne kapitalgedeckte Vorsorge ist der absehbare Anstieg der Pflegekosten infolge der demografischen Entwicklung gar nicht zu verkraften. Kommen heute in Deutschland vier bis fünf Pflegebedürftige auf 100 Erwerbstätige, so wird dieses Verhältnis 2050 bereits 14 zu 100 betragen. Noch ist es früh genug, dafür vorzusorgen. Doch damit das funktioniert, muss dieser Kapitalstock unbedingt staatsfern angelegt werden.
Ein Beispiel aus der Früh‑ zeit der gesetzlichen Pflegeversicherung zeigt, was passieren kann, wenn der Staat Zugriff auf finanzielle Rückstellungen hat: Als sie Mitte der Neunzigerjahre noch 2,8 Mrd. € Reserven hatte, wurde die soziale Pflegeversicherung genötigt, über eine halbe Milliarde davon als zinslosen Kredit für die Infrastruktur in den neuen Bundesländern zu geben. Im Klartext: Da wurden mit dem Geld der Pflegeversicherten Straßen gebaut. So etwas muss in einer kapitalgedeckten Versicherung absolut ausgeschlossen sein. Die private Pflegeversicherung bringt dabei die idealen Voraussetzungen für den Ausbau der Kapitaldeckung mit. Nur sie verfügt über vierzehnjährige Expertise in der Kapitaldeckung und in der Kalkulation des Pflegerisikos und hat überdies große Kompetenz bei der Qualitätssicherung und Pflegeberatung.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(03):3-3