Mit Herz und Verstand

Die Kunst der Entscheidung


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Oft erweisen sich recht banale Entscheidungen im Nachhinein als lebensbestimmende Weggabelungen. Dies frühzeitig mit allen Chancen und Risiken zu erkennen und dann schneller als andere die richtige Richtung einzuschlagen – das ist die Kunst der Entscheidung.

Aktiv handeln oder sich eher treiben lassen? Hier spielt die Persönlichkeitsstruktur eine wichtige Rolle. Nicht jeder ist der zupackende Managertyp. Gute bzw. schlechte Erfahrun­gen, die eigene Motivations­lage und der „Sättigungsgrad“ bestimmen ebenfalls das Entscheidungsverhalten. „Voller Bauch lernt nicht gerne“ – und er entscheidet auch nicht gerne, erst recht nicht, wenn ein hoher Einsatz im Raum steht. Die „Hungrigen“ sind dann schneller und schnappen das eine oder andere weg.

Doch selbst wenn der „Hunger“ da ist, gibt es praktisch oft noch nichts zu entschei­‑ den. Viele neue Ideen sind gar nicht entscheidungsreif, weil Grund­voraussetzungen fehlen oder erst andere ihre Zustimmung geben müssen. Bereiten Sie sich also sorgfältig vor. Dazu sollten Sie

  • Ihre Spielräume (finanziell, persönlich, zeitlich) realistisch abschätzen können,
  • gute Marktkenntnis haben über das Gebiet, auf dem Entscheidungen anfallen,
  • Ihre Position korrekt einschätzen, vor allem, wenn es um Entscheidungen im Wettbewerb geht,
  • das Projekt in seinen gan­zen Konsequenzen (nicht nur finanziell) umreißen können und
  • die kritischen projektentscheidenden Punkte sowie den logischen Entscheidungsweg einschließlich aller relevanten Personen und Institutionen kennen.

Für etliche dieser Punkte müssen Sie einfach in der Materie „drin sein“. Sie können externen Sachverstand dazukaufen, nur sollten Sie wissen, dass Sie damit mehr oder weniger bedeutende Teile der Entscheidung aus der Hand geben.

Ein Entscheidungsbaum, in welchem die einzelnen Abläufe dargestellt werden, leistet wertvolle Dienste. So ist häufig die Zustimmung weiterer Personen Voraussetzung für das Projekt. Dann gilt es, erst einmal Dinge zu klären wie Fi­nanzierung, Mietvertrag, Ge­neh­mi­gungen usw. Vorher lohnt es sich ohnehin nicht, hohe Vorlaufkosten zu investieren, schließlich kann z.B. eine wichtige Genehmigung versagt werden. Das klingt trivial, aber hier werden oft teure Fehler gemacht und Projekte scheitern an Nichtigkeiten, die man rechtzeitig hätte klären können.

Strategische Hilfsmittel

Während manche Menschen Naturtalente sind, benötigen andere Hilfsmittel, um sich die Entscheidungsfindung leichter zu machen. Das kann ganz rational angelegt sein, etwa in Form von Checklisten oder Pro- und Kontra-Gegenüberstellungen, aber auch beinahe schamanische Züge annehmen. „Er/sie liebt mich, liebt mich nicht“ – so wurden Blütenblätter in der Kinderzeit abgezupft und irgendwann stand das Votum fest. Man kann Münzen werfen. Sie können sich verschiedene Gutachten erstellen lassen. Eines sagt zu, ein anderes findet Wenn und Aber, das dritte rät eher ab...

Die Menge an „Hilfskrücken“ ist groß. Zu zahlreich und nicht sachgerecht eingesetzt, bringen zu viele Krücken Sie eher ins Stolpern und kosten noch Geld und Zeit dazu. Doch einige bewährte Methoden finden Sie hier.

Der erste Eindruck

Der erste Eindruck trügt selten – und spontane Entscheidungen kommen aus dem Herzen und treffen oft den Kern. Hier spielt das Bauchgefühl eine große Rolle. Da ist tatsächlich etwas dran, in der Natur war es von überlebenswichtiger Bedeutung, Dinge sofort auf den ersten Blick zu erfassen und dann mit Flucht oder Angriff zu reagieren. Darüber hinaus gilt, dass ein schlechter erster Eindruck und ein ungutes Bauchgefühl nur schwer wieder revidiert werden können – die Grund­skepsis bleibt und beeinflusst den Entscheidungsgang.

Aufgrund der prägenden Wirkung des Erstkontaktes und der Gefühlsebene sollten Sie daher versuchen, diese Empfindungen zu objektivieren und aufzuschreiben:

  • Was hat mir spontan (nicht) gefallen?
  • Wie groß ist der persönli­che Einfluss des Gegen­übers (des Verkäufers, Maklers usw.) dabei?
  • Wie bin ich selbst „gestrickt“, d.h. in der Rückschau betrachtet, auf wel-che Schlüsselreize springe ich besonders an, wo lasse ich mich blenden und haben diese Schlüsselreize überhaupt einen realen Bezug zur Sache?

Pro-und-Kontra- Abwägung

Die sachlichste Möglichkeit, Entscheidungen zu objekti­vieren und zu beflügeln, besteht in der Aufstellung einer Liste der Pro- und Kontra-Argumente. Die einzelnen Argumente können dabei ggf. unterschiedlich gewichtet und in unterschiedliche Einfluss­sphären aufgeteilt werden wie z.B. finanzielle, persönliche und zeitliche sowie Kapazitäts-Argumente.

Jedes Argument bekommt dann eine gewisse Anzahl an Pluspunkten für die Chancen oder Minuspunkten für die Risiken. Seien Sie aber gerecht und gewichten Sie Plus und Minus angemessen. Der Nachteil dieser Methode besteht darin, dass Skeptiker natürlich mehr Kontra-Argumente auf die Waage bringen und sich mit Pro-Argumenten schwer tun, bei Optimisten ist es umgekehrt. Deshalb ist es sinnvoll, diese Liste der Argumente im größeren Kreis, mit Partnern, Freunden, Mitarbeitern usw. zu erstellen. Sie vermeiden damit „Schlagseite“.

Chance-Risiko- Verhältnis

Ein wichtiger Anhaltspunkt ist das Chance-Risiko-Verhältnis der ins Auge gefassten Aktivität oder Investition. Hier gerät man oft ins Staunen. Da werden hoch sechsstellige Beträge in die Hand genommen für eine Gewinnerwartung von wenigen zehntausend Euro, die zudem noch stark risi­kobehaftet ist. Die mögliche Kapitalrendite im Verhältnis zum Verlustrisiko ist bei solch größeren Investitionen eine wichtige Entscheidungsgrundlage.

Dagegen werden selbst vergleichsweise geringe Ausgaben gescheut, obwohl die Arbeitsentlastung und der Ra­tionalisierungseffekt auf der Hand liegen. Ganz kurios wird es, wenn dadurch die Apotheke völlig den technischen Anschluss verliert.

Eine Chance-Risiko-Matrix schafft hier Klarheit. Dort werden tabellarisch eingetragen:

  • Die jeweiligen Chancen, soweit möglich in quantifizierter Form und mit der geschätzten Wahrscheinlichkeit des Eintretens, wobei die Einstufung in sehr hoch, hoch, möglich, gering und sehr gering reichen sollte.
  • Dagegengestellt werden die Risiken, möglichst quantifiziert und mit ihrer geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit (Stufung wiederum in sehr hoch, hoch, möglich, gering und sehr gering).
  • Gleichfalls sollten immer die existenzbedrohenden Risiken herausgefiltert werden. Wie können Sie die­se minimieren oder ganz vermeiden?

Weiter perfektioniert, läuft dies auf die in der Industrie gängige FMEA-Analyse (Failure Mode and Effect Analysis) hinaus, eine Methode der Risikoquantifizierung beispielsweise in der Pharmaproduktion. Hier werden das mögliche Risiko und seine Auswirkun­gen, seine Eintrittswahrscheinlichkeit und die Chance, mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen und zu reagieren, gegeneinander abgewogen.

Alternative Nichtstun

Eine nicht selten genutzte Möglichkeit, unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen, ist das Nichtstun und Liegenlassen. Die Angelegenheit wird einfach aufgeschoben, bis sie sich selbst erledigt – was oft genug ja der Fall ist. Nichtstun ist insoweit eine unechte, nämlich passive Entscheidung. Man lässt andere machen. Das Bestellformular bleibt liegen, bis der Vertreter wieder nachfasst oder sich das Ganze erübrigt. Der Mietvertragsentwurf für die ungeliebte Filialgründung wird nicht zurückgeschickt. Vielleicht (hoffentlich?) gibt es ja noch andere Interessenten, dann erledigt sich das, ohne dass Sie explizit absagen und sich mit irgendwelchen Gründen herauswinden müssen.

Nicht selten haben daher „Nichtstuer“ bereits entschieden – nämlich dagegen. Nur trauen sie sich nicht, das zu sa­gen. In anderen Kulturen, ins­besondere den asiatischen, ist Nein-Sagen per se verpönt. Da wird Ihnen so etwas häufiger begegnen – es ist für Kenner jedoch ein klares Signal.

Sie werden dieses Verhalten auch bei Mitarbeitern oder Kunden beobachten können. Wer Zeit schindet („Ich brauche noch soundso viel Bedenkzeit“) und letztlich dann nichts tut, ist weder ein begeisterter Bewerber noch ein interessierter Kunde. Ein Arbeitsverhältnis bzw. der Verkauf kommt in den meisten Fällen dann nicht zustande.

Diese Strategie kann durchaus sinnvoll sein, falls sie bewusst als reibungsar­mer Kommunikationsweg angelegt ist. Völlig unproduktiv ist sie jedoch, falls sie Folge Ihrer eigenen Entscheidungsunfähigkeit ist. Dann stehen Sie sich nämlich selbst im Wege.

Nichtstun kann übrigens ebenfalls Geld kosten in Form von Opportunitätskosten. Kluge Entscheider überlegen also sorgfältig, wie teuer sie passi­ves Verhalten kommt, und zwar nicht nur jetzt, sondern auch langfristig, weil z.B. Marktanteile aufgrund einer nicht wahrgenommenen Stand­ort­chance verloren gehen. Damit sind wir wieder beim Chance-Risiko-Verhältnis.

An Alternativen und Exit-Strategie denken

Intelligente Menschen haben immer eine gangbare Alter­native und lassen sich nicht ins Bockshorn jagen nach dem Motto: Wenn Sie es nicht machen, macht es jemand anders, und dann ist alles aus... Eine solche Situation erlaubt keine freie Entscheidung mehr. Deshalb ist es ratsam, die Ge­danken bewusst schweifen und sich setzen zu lassen (das vielfach zitierte Brainstorming und Mindmapping), um selbst unkonventionelle Lösungen zu finden. Es gibt viel mehr – auch real umsetzbare – Alternativen, als die meisten denken. Das kann im Einzelfall so weit gehen, dass jemand an sich völlig ver­nachlässigte Talente entdeckt und komplett neue berufliche Wege einschlägt.

Vermeiden Sie also das „Mauseloch- und Sackgassen-Denken“. Denn dieses lässt eine wohlausgewogene freie Entscheidung oft gar nicht mehr zu.

Wer sich für einen Weg erwärmt hat, sollte trotzdem bereits ein Ausstiegsszenario parat haben. „Gehe nie irgendwo hinein, ohne vorher zu wissen, wie Du wieder hinauskommst“ – diese militärische Weisheit gilt auch im Zivilleben. Wer sich beispielsweise eine Filiale zulegt, sollte wissen, was ein Ausstieg schlimmstenfalls kosten und wie er vonstattengehen würde. Das reicht heute bis in den privaten Bereich hinein: Ein Ehevertrag ist im Grunde nichts weiter als eine vorformulierte Exit-Strategie, nicht sehr romantisch, im Schadensfall aber wirksam.

Nicht gegen den inneren Willen entscheiden

Fazit: Entscheiden fällt bisweilen schwer. Mit einigen Techniken kann man das leichter, zumindest aber objek­tiver machen. Und manchmal ist es tatsächlich klüger, abzuwarten und nichts zu tun. Dies gilt insbesondere, wenn Projekte noch lückenhaft und gar nicht entscheidungsreif sind oder aber Sie selbst einfach nicht die Verfassung und Stärke haben, größere Dinge in An­griff zu nehmen. Die schlech­testen Entscheidungen sind stets die, die gegen den inneren Willen getroffen werden. Sie halten oft nicht lange vor und werden teuer revidiert.

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Checkliste online

Umfangreiche Hilfen für das Treffen von Entscheidungen
finden Sie hier

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(05):5-5