Kollegialer Austausch

Nutzen und Grenzen von Erfa-Gruppen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Erfa-Gruppen sind eine altbewährte Form des kollegialen Austausches, doch sind sie nicht frei von „Risiken und Nebenwirkungen“. Langjährig zusammengewachsenen Gruppen stehen Neugründungen mit bisweilen nur kurzer Lebensdauer gegenüber.

Die Teilnahme an einer Erfa-Gruppe bedeutet Zeitaufwand – insbesondere auch für Vor- und Nachbereitung. „Haus­aufgaben“ sind eher die Regel als die Ausnahme. Stecken Sie deshalb Ihren Erwartungshorizont im Vorhinein ab. Soll eine Erfa-Gruppe...

  • ...Ihnen neue Anregungen und Ideen vermitteln (Modell „Mein Erfolg – Dein Erfolg“, auch mit Besuchen in den anderen Apotheken)?
  • ... ganz konkrete Fragestellungen aufbereiten, z.B. aus den Bereichen Betriebswirtschaft, Marketing, Mit­arbeiterführung oder Technik und EDV?
  • ...einen ausgeprägten Erlebnischarakter mit Wohl­fühl-At­mosphäre haben, dem kollegialen Austausch von Neuigkeiten aus der Branche dienen und ein wenig das Gefühl vermitteln, mit vielen Herausforderun­gen nicht al­lein dazustehen?
  • ...konkrete eigene Schwie­rig­keiten überwinden helfen?

Ausgesprochene Stärken haben Erfa-Gruppen beim Zusammentragen von Branchenentwicklungen und Betriebs­erfahrungen sowie bei der Dis­kussion neuer Wege der Apothekenführung und Marktbearbeitung. Ebenfalls sehr wertvoll ist der Vergleich der wirtschaftlichen Daten sowie von Einkaufskonditionen al­ler Art, vom Großhandel bis zu Dienstleistern und Gerä­te­an­bietern. Nicht vergessen wer­den sollte der erwähnte Wohlfühl-Aspekt: einmal „raus­kommen“, das Nützli­che mit dem An­ge­neh­men verbinden. Dies dient nicht zuletzt dem Kennenlernen und dem Aufbau einer Vertrauensbasis.

Die Erfahrung zeigt aber auch, dass selbst in lange bestehenden Gruppen ein gewisses Maß an Unverbindlichkeit erhalten bleibt. Tiefgreifen­‑ de­re Probleme mit der eigenen Apotheke können nur ansatzweise aufgearbeitet werden. Bei größeren Schwierigkeiten ist deshalb eine Ein­zelberatung (vielleicht sogar durch ein erfahrenes Gruppenmitglied) meist effektiver.

Erfolgsfaktoren

Eine Voraussetzung für ein längerfristiges Gelingen ist, dass sich alle Mitglieder vertrauensvoll „ auf Augenhöhe“ begegnen. Deshalb passen Apotheken mit ähnlicher Positionierung und mit ähnlichen Motivlagen und „Aktivitätsniveaus“ am besten zusammen. Eine „Satzung“ mit den Zielen der Gruppe kann hilfreich sein. Teilweise gibt es regelrechte Aufnahmerituale, in jedem Fall lohnt näheres Hin­sehen bei neuen Mitgliedern.

Zwar scheint es reizvoll, eine Zytostatika-, eine Cen­ter- und eine typische Landapotheke an einen Tisch zu bringen, schließlich kann so jeder lernen. Das stimmt, setzt aber viel Verständnis für andere Sichtweisen voraus. So ist für den Center-Apotheker das Verhält­nis zu Ärzten weniger wichtig als für die Landapothekerin. Und der Kollege mit Zytostatika-Labor sieht Personalkosten unter einem ganz anderen Aspekt als der Center-Apotheker. Bei freundschaftlicher Ver­bundenheit lassen sich die­se verschiedenen Sichtweisen überbrücken, vor allem wenn der Austausch an sich und der Erlebnischarakter im Vordergrund stehen. Sonst kann es schnell schwierig werden.

Ganz wesentlich ist weiterhin eine gemeinsame „Sprache“ und eine funktionierende Austauschplattform. Dies beginnt bei der klaren Definition von Begriffen und Kennzahlen. Wird z.B. von Personalkosten geredet, muss die Basis bei allen gleich sein. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Beim einen fällt die Putzfrau unter Raum-, beim anderen unter Personalkosten. Deswegen sollten Sie die betriebswirtschaftlichen Auswertun­gen und die Daten der Warenwirtschaft bestmöglich vereinheitlichen. Zur Vermeidung ei­nes „Daten-Overkills“ bieten sich Excel-Blätter in einem festgelegten Format an, in welchen die wesentlichen Kennziffern eingetragen und der Gruppe zur Verfügung gestellt werden – die elektronische Kommunikation macht dies leicht. Klare Regeln sorgen dafür, wer was wann und wohin liefert. Hier lohnt es sich, anfangs etwas mehr Zeit zu investieren.

Die optimale Gruppengröße für eine vertrauliche Zusammenarbeit liegt bei etwa sechs bis zwölf Personen. Je „anonymer“ die Themen sind (z.B. EDV), umso größer können die Gruppen werden. Irgendwann ist man aber bei einer Massenveranstaltung im Seminarstil angekommen.

Die räumlichen Distanzen sind nicht zu unterschätzen. Wird – wie bei sehr erfolgreichen Apotheken üblich – bundesweit agiert, bieten sich Tagungsräume in der Nähe von Bahnhöfen und Flughäfen an. Freilich dominiert hier die Business-Atmosphäre. Abgelegenere Wohlfühl-Orte bedingen meist längere Anrei-sen und mehrtägige Treffen.

Lokal agierende Gruppen sind hier flexibler; allerdings besteht das Problem, dass sich die Apotheken aufgrund ausgedehnterer Wirkungskreise infolge von Filialen heute viel leichter ins Gehege kommen als früher.

Als gute Frequenz haben sich drei bis vier Treffen im Jahr erwiesen. Dies lässt genug zeitliche Distanz, um sich zu sammeln und Erkenntnisse umzusetzen.

Die wichtigsten Erfolgsfaktoren freilich sind Vertrauen, Toleranz und Offenheit. Wenn es hieran hapert, bleibt es bestenfalls bei oberflächlichen „Pflichtsitzungen“ oder aber der Sinn wird grundsätzlich in Frage gestellt.

Erfolgskiller

„Nehmen ist seliger denn Geben“ – falls eine solche Einstellung vorherrschen sollte, ist das Ende absehbar. Erfa-Gruppen leben davon, dass jeder seinen Teil beiträgt, Daten und Erfahrungsberichte liefert – ehrlich, vollständig, vorbehaltlos. Wenn hingegen bei einigen Teilnehmern die „Kinosessel-Mentalität“ vorherrscht nach dem Motto „Mal sehen, was die anderen so bieten“, ist ein wesentliches Ziel verfehlt – nämlich das der kooperativen Zusammenarbeit.

Problematisch sind auch Grüppchenbildungen und Ei­fersüchteleien, die sich bis­weilen zu echtem Konkurrenzdenken steigern können. Hier obsiegt entweder die sportliche Fairness – oder aber die Gruppe muss sich neu sortieren. Ähnliches gilt für das Thema Führung. Die meisten Gruppen leben von ein oder zwei „Machern“, welche die Initiative ergreifen und die „Seele“ des Teams darstellen. Nicht jeder kann jedoch mit dieser Dominanz so ohne Weiteres umgehen. Das sollte offen angesprochen werden, dann lassen sich Konflikte in aller Regel beilegen.

Erfa-Leitung

Eine professionelle Leitung – oft aus dem Steuer- oder Unternehmensberatersektor – bringt frischen Wind von außen in die Gruppe, und zwar möglichst mit einer branchenübergreifenden Sichtweise. So gelingt es, viele Proble­me des Alltags im Vergleich mit anderen ins rechte Licht zu setzen. Bekanntlich sind Nachbars Früchte immer besser – genau diesen verengten Blickwinkel kann eine gute Erfa-Leitung weiten. Ansonsten lebt eine Erfa-Gruppe aber in erster Linie von der Initiative ihrer Mitglieder und nicht dem „Bespaßungsfaktor“ des Leiters.

Fazit

Erfa-Gruppen sind eine gute Form des kollegialen Aus­tausches und ein wichtiger Baustein im heutigen eng gesponnenen Informationsnetz. Sie leben von der Vertrauenswürdigkeit kleiner über­schauba­rer Gruppen sowie ei­nem gewissen Erlebnischarakter und bieten eine Platt­form für betriebliche Pro­ble­me, für die sonst wenig Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Gift sind jedoch persönliche Unstimmigkeiten, Ten­denzen Einzelner zum „Mauern“ und zur Passivität sowie übersteigerte Erwartungen sehr ambitionierter Mitglieder.

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(06):5-5