Helmut Lehr
Das frühere, bis einschließlich 2008 geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht war vom Bundesverfassungsgericht Ende 2006 als verfassungswidrig eingestuft worden. Der Gesetzgeber musste handeln und hat zum 1. Januar 2009 eine umfassende Reform in Kraft gesetzt1). Damit soll-ten u.a. die Bewertungsunterschiede bei den einzelnen Vermögensarten zumindest weitgehend beseitigt werden, schließlich wurde Kapitalvermögen vor der Reform in der Regel mit 100% seines tatsächlichen Werts angesetzt, während man z.B. privaten Grundbesitz oft nur mit der Hälfte (oder weniger) des Verkehrswerts berücksichtigte.
Verfassungsbeschwerden anhängig
Mittlerweile sind drei Verfassungsbeschwerden gegen das Erbschaftsteuerreformgesetz (Rechtslage ab 2009) erhoben worden2). Die Karlsruher Richter müssen deshalb nun auch zur neuen Rechtslage entscheiden, ob diese den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Beanstandet wird zum einen, dass dem Bund bei Erlass des Gesetzes die notwendige Gesetzgebungskompetenz (vgl. Artikel 105 Absatz 2 Grundgesetz) fehlte. Zum anderen hat der Bundesrat möglicherweise nicht wirksam zugestimmt, weil die hessische Landesregierung damals nur geschäftsführend im Amt war.
Hinweis: Es werden jedoch nicht nur formelle Fehler gerügt, sondern auch materi-ell-rechtliche Bedenken geltend gemacht. Verschiedene Vergünstigungen seien nicht mit dem allgemeinen Gleichheitsgebot vereinbar. Dies betrifft u.a. die Steuerbefreiung des Familienwohnheims, soweit sie für Kinder auf eine Wohnfläche von maximal 200 qm begrenzt wird3). Außerdem rügen die Beschwerdeführer die unterschiedliche erbschaftsteuerliche Behandlung verschiedener Lebensgemeinschaften.
Keine Aussetzung der Vollziehung
Der Bundesfinanzhof hat in einem Beschluss vom 1. April 20104) die Aussetzung der Vollziehung eines bereits auf neuer Rechtslage basierenden Erbschaftsteuerbescheids abgelehnt, weil dem öffentlichen Interesse am Vollzug des neuen Gesetzes („geordnete Haushaltsführung“) Vorrang einzuräumen sei. Geklagt hatte ein Mann, der 2009 von seinem Bruder einen größeren Geldbetrag geschenkt bekommen hatte und hierfür 30% Schenkungsteuer (nach Abzug des persönlichen Freibetrags) entrichten musste. Dies sei nicht gerechtfertigt, da er als Verwandter der Steuerklasse II der gleichen Tarifbelastung unterläge wie ein Nichtverwandter der Steuerklasse III.
Hinweis: Mit Wirkung ab 2010 hat der Gesetzgeber in diesem Bereich bereits nachgebessert und den Steuertarif für Personen der Steuerklasse II (insbesondere Geschwister, Schwiegereltern und bei Schenkungen auch Eltern und Großeltern) etwas gesenkt5).
Bescheide offenhalten
Bis der Bundesfinanzhof bzw. das Bundesverfassungsgericht abschließend über das neue Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht entscheidet, wird noch einige Zeit vergehen. Weil die Finanzämter aktuelle Erbschaft- und Schenkungsteuerbescheide hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zweifel nicht für vorläufig erklären, müssen Betroffene ihre Fälle ggf. selbst offenhalten, sofern sie ab 2009 Erbschaften oder Schenkungen erhalten (haben). Wird in den Einsprüchen auf die oben genannten Verfahren beim Bundesverfassungsgericht hingewiesen, muss die Finanzverwaltung die Bearbeitung zurückstellen und die Rechtsbehelfe kraft Gesetz ruhen lassen.
1) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 24 vom 15. Dezember 2008, Seite 10 und 11.
2) Aktenzeichen beim Bundesverfassungsgericht: 1 BvR 3196/09, 1 BvR 3197/09 und 1 BvR 3198/09.
3) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 6 vom 15. März 2009, Steuer-Spartipp Nr. 2, Seite 18.
4) Aktenzeichen II B 168/09.
5) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 24 vom 15. Dezember 2009, Seite 10.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(15):17-17