Entwicklung des Gesundheitswesens

Drei Fragen an Professor Dr. Norbert Klusen


Dr. Christine Ahlheim

Professor Dr. Norbert Klusen ist Vorsitzender des Vorstandes der Techniker Krankenkasse (TK).

?Wo sehen Sie das Gesundheitssystem allgemein und speziell die gesetzliche Krankenversicherung in zehn Jahren?

Zehn Jahre sind ein langer Zeitraum in der Gesundheitspolitik. Wenn man von heute eine Dekade zurückblickt, hat sich im deutschen Gesundheitswesen eine Menge ver­ändert. Zwei große und fast unzählige kleinere Gesundheitsreformen haben ihre Spuren hinterlassen. Den- noch sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von 134 Mil­liarden Euro im Jahr 2000 bis zuletzt auf 171 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gestiegen. Gesundheit wird also nicht billiger – und daran wird sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern. Dies ist schon allein der Tat­sache geschuldet, dass die Menschen auch dank des medizinischen Fortschritts immer älter werden. Erfreu­licherweise.

Ich bin überzeugt, dass wir auch in den nächsten zehn Jahren einige Gesundheits­reformen erleben werden. In der gesetzlichen Kranken­versicherung wird sich meines Erachtens der Konzen­trationsprozess weiter fort­setzen. In den zurückliegen-den zehn Jahren ist die Zahl der Krankenkassen bereits von 420 auf derzeit 163 gesunken. 2020 werden es wesentlich weniger als 100 sein. Wie viele Krankenkassen aber letztendlich bestehen bleiben, sollte man dem Markt über­lassen.

?Welche Wünsche haben Sie an die Gesundheitspolitik?

Bei allen zum Teil auch emotional aufgeladenen Diskussionen zur Gesundheitspolitik sollte man nicht vergessen: Wir haben hierzulande eines der besten Gesundheitssys­teme der Welt. Zu den wesentlichen Erfolgsrezepten gehört mit Sicherheit die relative Staatsferne, durch die sich unser Gesundheitswesen auszeichnet.

In den vergangenen Jahren konnte man jedoch den Trend feststellen, dass die Politik versucht hat, den Einfluss des Staates auszuweiten. Die Bundesregierung legt inzwischen den Beitragssatz für sämtliche Kassen fest. Man hat den Steueranteil an der Finanzierung nach und nach ausgebaut. Und auch mit der Schaffung des GKV-Spitzenverbandes hat man die Weichen in Richtung eines stärker zentralistisch orientierten Systems gestellt.

Schaut man allerdings ins Ausland, zeigt sich, dass De­fizite in der medizinischen Versorgung – wie beispielsweise Wartelisten – vor allem in staatlich gelenkten Ge­sundheitssystemen vorzufinden sind. Deshalb brauchen wir auch in Deutschland mehr wettbewerbliche Elemente im System, um das hohe Versorgungsniveau in Zukunft aufrechtzuerhalten – auf allen Ebenen. Dort, wo wir heute schon die Freiheit haben, eigene Ver­träge zu schließen, sind die positiven Effekte klar erkennbar. Bei der Integrierten Versorgung zum Beispiel entstehen ständig innovative und qualitativ hochwertige Versorgungs­angebote. Davon profitieren nicht nur die Kassen und die motivierten Leistungserbringer, sondern in erster Linie die Patienten. Oder die Arzneimittel-Rabattverträge: Sie helfen, die stetig steigenden Ausgaben für Medikamente im Griff zu behalten. Das Potenzial, das im Gesundheitsmarkt steckt, schöpft man am effektivsten aus, wenn man den Wettbewerb wirken lässt.

?Wie beurteilen Sie die Entwicklungen im Apothekensektor?

Schaut man auch hier auf die zurückliegenden Jahre, hat sich an den Strukturen des Apothekensektors nur wenig verändert. Meine Familie und ich persönlich beziehen un­sere Medikamente in der Apotheke vor Ort. Die Offizin­apotheke um die Ecke wird meiner Ansicht nach auch in Zukunft erste Anlauf- stelle für die Versicherten bleiben.

Die Zahl der Apotheken bleibt seit Jahrzehnten relativ stabil. Auch neue Vertriebswege wie Versandapotheken oder Pick-up-Stellen hatten darauf kaum Auswirkungen. Denn letztendlich nutzt doch nur ein relativ kleiner Personenkreis diese Möglichkeiten. Solange gewährleistet ist, dass die Patienten qualitativ einwandfreie Arzneimittel erhalten, ist meines Erachtens dagegen nichts einzuwenden. Für eine hochwertige Arzneimittelversorgung ist es aber wichtig, dass auch die Apotheken mit der Zeit gehen und aufgeschlossen gegenüber neuen Entwicklungen im Markt sind. Wer Herausforderungen der Zukunft weniger als Gefahr, sondern stattdessen als Chance begreift, wird zu den Gewinnern zählen.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(16):3-3