Helga Niemann
„Wir verstehen uns sehr gut“, „Wir haben über alles geredet“, „Eigentlich sind wir uns einig“ – mit diesen Sätzen beginnen vielfach Beratungen zum Thema „Übergabe der Apotheke in der Familie“. Eine langwierige Tätigkeit von Steuerberater und Rechtsanwalt wird seitens der Familie nicht erwartet. Doch bereits erste Antworten auf Fragen des persönlichen Beraters zu einzelnen Aspekten der gewünschten Übergabeform lassen unterschiedliche Meinungen innerhalb der Familie erkennen. Relativ schnell spürt der erfahrene Beistand, wie sinnvoll eine ausführliche neutrale Darstellung von Chancen und Risiken der verschiedenen Alternativen bei der Übergabe ist. Sie schafft eine Plattform für die Einschätzung der Situation durch die Familienangehörigen sowie die anschließende Diskussion und bietet letztlich die Grundlage für eine alle Beteiligten zufriedenstellende Entscheidung.
Der Entwicklungsprozess, den die Familie durchläuft, wird wesentlich durch wirtschaftliche, steuerliche und rechtliche Aspekte der möglichen Gestaltungsformen beeinflusst. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den langfristigen Bestand der Übergaberegelung sind aber auch persönliche Aspekte der Beteiligten.
Eigentlich sollte es innerhalb der Familie möglich sein, ehrlich über persönliche Wünsche, Erwartungen und Vorstellungen zu sprechen. Häufig verhindert aber gerade die Nähe der Beteiligten die offene Aussprache, weil man den Familienfrieden nicht gefährden möchte. Werden die latenten Ängste und Sorgen nicht aufrichtig diskutiert, erschwert dies den Prozess der Übergabe der Apotheke innerhalb der Familie, schlimmstenfalls scheitert sie sogar. Der Steuerberater kann als neutrale Person die Familie bei ihrem wichtigen Vorhaben unterstützen, indem er die Darstellung der steuerlich relevanten Aspekte um die unausgesprochenen Bedenken der Beteiligten ergänzt und aufgrund seiner Erfahrungen Vorschläge zu deren Lösung unterbreitet.
Sicht der Eltern
Über viele Jahre hinweg hat die abgebende Generation intensiv am Aufbau der Apotheke und der Vermehrung des Vermögens gearbeitet. Nicht selten kompensierte in diesen Jahren die Zufriedenheit über das herausragende wirtschaftliche Ergebnis zu kurz gekommene persönliche Interessen. Nun, wenn der Zeitpunkt der Abgabe der Apotheke näherrückt, wird dieses Defizit häufig spürbar. Die Eltern stellen sich die Frage: Wie wird das Leben „nach der Apotheke“ aussehen? Obwohl sie zuvor im Gespräch mit Altersgenossen voller Freude die Interessen, die später wahrgenommen werden sollen, beschrieben haben, wird, je näher der Zeitpunkt der Entscheidung kommt, deutlich, dass dies nicht so einfach sein wird. Für die Beteiligten selbst völlig unerklärlich stellen sich Ängste vor der Zukunft ein: „Dann wird man ja gar nicht mehr gebraucht!“ Das „Loslassen“ fällt schwer, Ausflüchte werden gesucht, warum momentan noch nicht der richtige Zeitpunkt für die Übergabe ist.
Übergabe wird hinausgezögert
So werden Zweifel an der Kompetenz des Nachwuchses geäußert, eine längere Einarbeitungszeit wird als unabdingbar für eine erfolgreiche Zukunft der Apotheke angesehen. Immer wieder finden sich Gründe, den Übergabezeitpunkt hinauszuschieben, bis die jüngere Generation schließlich eine fremde Apotheke übernimmt. So weit sollten es die Beteiligten nicht kommen lassen!
Daher gilt: Wenn die abgebende Generation die Zukunft nicht nur in finanzieller, sondern auch in privater Hinsicht vorausschauend plant, wird die persönliche Zufriedenheit der langjährigen Unternehmer zum Wohl der gesamten Familie steigen.
Keine Familie ist wie die andere. Während in einigen Familien die Übergabe der Apotheke auf die nächste Generation problematisch erscheint, haben andere Eltern die Übertragung sowohl im geschäftlichen als auch im privaten Bereich generalstabsmäßig vorbereitet. Doch obwohl eine äußerst interessante Apotheke auf sie wartet, zögern die Kinder den Zeitpunkt der Übernahme immer mehr hinaus. Für den Wunsch der jüngeren Generation, mehrjährige Erfahrungen in anderen Apotheken zu sammeln, haben die Eltern in diesen Fällen nur bedingt Verständnis.
Sicht der Kinder
Bei einer Apothekerfamilie liegen nicht selten Apotheke und Privatwohnung nahe beieinander. So wird beim gemeinsamen Mittagessen der Familie über Schulerlebnisse der Kinder genauso gesprochen wie über die Tätigkeit der Eltern in der Apotheke. In welcher Form werden sich die Kinder später an diese Gespräche erinnern? Wurde die Arbeit des selbstständigen Apothekers als Belastung (Gesundheitsreformen, Konkurrenzsituation, Personalprobleme...) mit wenig Raum für die persönliche Entfaltung dargestellt? Dann ist es nicht verwunderlich, wenn Kinder – sofern sie sich für ein Pharmaziestudium entscheiden – eine Tätigkeit in der Krankenhausapotheke oder in der pharmazeutischen Industrie aufgrund geregelter Arbeitszeiten und langfristig sicherer Gehälter der Selbstständigkeit (zunächst) vorziehen.
Mit der Entscheidung für eine Tätigkeit außerhalb der öffentlichen Apotheke wollen die Nachkommen in den seltensten Fällen dem elterlichen Betrieb eine endgültige Absage erteilen. Die Chance zur späteren Übernahme soll grundsätzlich erhalten bleiben.
Sofern ein branchenkundiger Steuerberater die Übergabe einer Apotheke innerhalb der Familie begleitet, wird er in dieser Situation die Fremdverpachtung vorschlagen, um der jüngeren Generation die Möglichkeit zur späteren Übernahme der elterlichen Apotheke zu geben. Verpachtung bedeutet zeitlich befristete Überlassung der Apotheke an einen Dritten zur „Fruchtziehung“.
Wie engagiert wird dieser Dritte die Apotheke führen? In welchem Zustand wird er die Apotheke später übergeben? Diese Fragen sollten innerhalb der Familie offen erörtert werden. Der Pachtvertrag mit dem familienfremden Pächter sollte finanzielle Anreize enthalten, die dem Wohl des Pächters und damit dem langfristigen Wohl der Apothekerfamilie dienen, zudem aber auch der Familie zu gegebe-ner Zeit detaillierte Kenntnisse über die wirtschaftliche Situation der Apotheke verschaffen, um die spätere Übergabe an den Nachwuchs erfolgreich zu gestalten.
Erst pachten, dann übernehmen
Die Übergabe innerhalb der Familie kann auch durch die (Weiter-)Verpachtung an das Apothekerkind geschehen, wenn dieses an der Nachhaltigkeit der eigenen Entscheidung zweifelt. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Wird man sich in dem Umfeld, in dem man groß geworden ist, jedoch studienbedingt längere Zeit nicht gelebt hat, wieder wohlfühlen? Kann der Lebensgefährte seine beruflichen Pläne am Standort der Apotheke verwirklichen? Werden sich die Eltern tatsächlich mit Ratschlägen zurücknehmen? Bei diesen Bedenken bietet sich die Pacht als sinnvolle (Zwischen-)Lösung an.
Manchmal hadert die jüngere Generation mit dem überwältigenden Erfolg der Eltern. Die Kinder fragen sich, ob sie den Erwartungen der abgebenden Generation gerecht werden können. In dieser Situation sollte ebenfalls die Verpachtung innerhalb der Familie in Betracht gezogen werden. Für einen überschaubaren Zeitraum bekommt das Apothekerkind die Möglichkeit, sich mit der Selbstständigkeit auseinanderzusetzen und kann mit der Aufgabe wachsen, sodass einer späteren endgültigen Übernahme der Apotheke nichts im Weg steht.
Sicht der Geschwister
Wird innerhalb der Familie erstmals die Übertragung der Apotheke erörtert, versichern die Geschwister des „Über-nehmers“ den Eltern häufig verständnisvoll, jede Entscheidung akzeptieren zu wollen, haben sie doch das Wohl der Eltern im Auge. Aufgrund dieser Äußerung erhalten die Geschwister über die Gespräche der direkt Beteiligten oft lediglich kurze Zusammenfassungen, die der Komplexität des Übertragungsvorgangs nicht gerecht werden. Schwerwiegende Verstimmungen innerhalb der Familie sind möglich – für die Eltern unverständlich, hieß es doch zuvor, jede Entscheidung würde akzeptiert werden.
Diese Meinungsverschiedenheiten treten häufig aufgrund mangelhafter Kommunikation zwischen den Beteiligten auf. Grundsätzlich wollen Eltern ihre Kinder gleich behandeln. In die Gespräche zur Übergabe treten sie mit dem Vorsatz ein, im ersten Schritt eine sinnvolle Form der Übertragung der Apotheke zu wählen, die die erfolgreiche Fortführung durch die übernehmende Generation gewährleistet. Abhängig von dieser Entscheidung sollen im zweiten Schritt die berechtigten Interessen der weiteren Kinder bedacht werden. Konflikte in der Familie lassen sich manchmal – nicht immer – vermeiden, wenn diese Gedanken offen kommuniziert werden.
Geschwister, durch den Ehepartner manchmal stark beeinflusst, empfinden sich gelegentlich durch die Übertragung der Apotheke gegenüber dem zukünftigen Betriebserlaubnisinhaber benachteiligt. Dieser bekommt die Apotheke – und zwar jetzt. Sie, die Geschwister, werden auf den späteren Todesfall „vertröstet“, wenn das restliche Vermögen der Eltern verteilt wird. Nur – wann wird dies sein? Wird es dann weiterhin Vermögen geben oder ist es aufgrund einer langwierigen Pflege der Eltern aufgezehrt?
Der Wunsch nach Gleichbehandlung aller Kinder kann jedoch nicht immer umgesetzt werden, weil das Vermögen in der Apotheke, im Wohnhaus der Eltern und in Kapitalanlagen gebunden ist. Die Immobilie soll möglichst lange selbst genutzt werden, die Kapitalanlagen die Einkünfte aus der Apothekerversorgung aufstocken und damit die Finanzierung des nächsten Lebensabschnitts gewährleisten.
Versorgung der Eltern
Aus Sicht der Kinder wird das Versorgungsbedürfnis der Eltern gelegentlich als überhöht angesehen. Sie weisen auf erbschaftsteuerliche Vorteile hin, die die Familie bei lebzeitiger Vermögensübertragung durch Ausnutzung der erbschaftsteuerlichen Freibeträge erhalten würde. Eine Sichtweise, die nicht von allen Eltern geteilt wird. Eltern möchten frei über das von ihnen erarbeitete Vermögen verfügen. Auf keinen Fall wollen sie gegenüber ihren Kindern später als Bittsteller auftreten müssen, wenn die angemessene Unterbringung in einem Heim zur Diskussion steht. Über entsprechende negative Erfahrungen haben ihnen Kunden oft genug berichtet.
Aus Sicht der Geschwister stellt die Verpachtung der elterlichen Apotheke eine sinnvolle Lösung dar, verbleibt die Apotheke damit im Vermögen der Eltern, deren Versorgung durch Pachteinnahmen gesichert ist. Nach dem Tod des letztlebenden Elternteils erfolgt die Auseinandersetzung über das Erbe der Eltern insgesamt. Zu Recht fürchten die Kinder, die die elterliche Apotheke übernehmen, genau diese Erbauseinandersetzung. Fragen zum Wert einer Apotheke haben schon manche Familie entzweit. Hilft es, wenn testamentarische Lösungen gesucht werden? Oder sollten besser endgültige Übertragungsformen – wie der Kauf der Apotheke oder die vorweggenommene Erbfolge zum Zeitpunkt der Übernahme – gewählt werden?
Diese Erörterungen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, zeigen die verschiedenen Bedürfnisse der Beteiligten auf. Die konkreten Alternativen bei der Übertragung einer Apotheke in der Familie werden in der nächsten AWA-Ausgabe vorgestellt.
Dipl.-Ökonomin Helga Niemann, Steuerberaterin, TREUHAND HANNOVER GmbH, Steuerberatungsgesellschaft, 30519 Hannover, E-Mail: helga.niemann@treuhand-hannover.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(16):5-5