Dr. Christine Ahlheim
?Wie wird sich das AMNOG aus Ihrer Sicht auf die Apothekenlandschaft auswirken?
Die Apotheker sind enttäuscht und wütend angesichts der massiven Einschnitte, die den Apotheken durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz drohen. In vielen Details entwickelt die Regierung die Arzneimittelversorgung nicht weiter, sondern beugt sich ihrem eigenen Spardiktat – ohne Rücksicht auf uns Apotheker, also diejenigen, die täglich vier Millionen Menschen versorgen. Der Raubbau an den 21.500 Apotheken und ihren 147.000 Beschäftigten wird somit zum Gesetz.
Die Koalition nimmt tausenden Apotheken die Luft zum Atmen und bedroht die hochwertige flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland. Mit diesem Angriff auf die Apotheken wird ein Stützpfeiler der flächendeckenden Gesundheitsversorgung angegriffen. Letztlich zahlen also nicht nur die Apotheker, sondern vor allem die Patienten die Zeche. Deshalb werden wir Apotheker uns auch in Zukunft gegen solche verantwortungslose und unfaire Politik zur Wehr setzen.
Gesundheitspolitisch kann man nicht immer mehr Leistung von uns Apothekern einfordern und gleichzeitig den Apotheken in die Kasse greifen. Die Planungssicherheit für kleine und mittelständische Unternehmen wird dadurch zerstört. Die Absurdität wird deutlich, wenn man weiß, dass die Apotheken nur 2,6% der Gesamtausgaben der Krankenkassen verantworten. Allein die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen sind doppelt so hoch wie das Apothekerhonorar.
?Welche Möglichkeiten haben die Apotheken, die AMNOG-bedingten Verluste abzufedern?
Die selbstständigen Apotheker werden durch die Anhebung des Zwangsrabatts an die Krankenkassen von 1,75 € auf 2,05 € je Arzneimittelpackung mit etwa 200 Millionen Euro pro Jahr belastet. In der Durchschnittsapotheke bedeutet dies für 2011 und 2012 einen jährlichen Rohertragsverlust von rund 7.500 €. Dieses Geld fehlt den Apothekern natürlich schmerzhaft. Dabei hat sich das Einkommen bereits seit mehreren Jahren rückläufig entwickelt.
Bei zuletzt stagnierenden Packungszahlen und einem Fixzuschlag pro Packung lässt sich der Umsatz der Apotheken mit den gesetzlichen Krankenkassen rein mathematisch kaum steigern. Das Ankurbeln eines massiven Mehrverkaufs und damit auch Mehrverbrauchs in der Selbstmedikation kann wohl auch kein verantwortungsbewusster Heilberufler als Umsatzwachstumsprogramm in Erwägung ziehen. Auf der Kostenseite sieht es leider genau umgekehrt aus: Rabattverträge, Personalkosten und Inflation sind nur drei Gründe, warum die Apotheken zuletzt immer mehr Geld ausgeben mussten.
Insofern wird sich manche Apotheke ganz genau überlegen müssen, ob sie bestimmte freiwillige Zusatzleistungen, wie den vielerorts kostenlosen Botendienst ans Krankenbett, noch erbringen kann. Der jetzt schon harte Wettbewerb zwischen den Apotheken wird für etliche von ihnen existenzbedrohend sein. Im Jahr 2009 war erst-mals seit Langem die Zahl der Apotheken gesunken – dieser Trend setzt sich in diesem Jahr offenbar deutlich verstärkt fort. Wenn Apotheken schließen müssen, bedeutet das nicht nur weniger Komfort für Patienten, sondern macht sich dann z.B. auch durch einen längeren Anfahrtsweg zur nächsten Nacht- und Notdienstapotheke bemerkbar.
?Wie kann es gelingen, dass der Beruf des Apothekers trotz der wiederholten Einsparmaßnahmen für den Nachwuchs attraktiv bleibt?
Der alljährliche Ärger über die jeweils neueste Gesundheitsreform – auch diesmal wieder in Form eines Apothekenbelastungsgesetzes – darf nicht den Blick in die Zukunft versperren. Die Berufsaussichten für Apotheker sind nämlich sehr gut: Prognosen zufolge wird der Bedarf an hochqualifizierten Apothekern in den nächsten Jahren weiter steigen. Das hat einerseits damit zu tun, dass etliche Apotheker in den Ruhestand gehen, also das Angebot auf dem Arbeitsmarkt sinkt.
Andererseits steigt die Nachfrage: Demografisch betrachtet wird die Bevölkerung in Deutschland immer älter, womit eine pharmazeutische Betreuung von immer mehr Menschen eingefordert wird. In der Gesundheitspolitik und in der Apothekerschaft ist man sich darüber einig, dass die Fachkompetenz der Pharmazeuten in vielen Bereichen noch stärker genutzt werden könnte. Arzneimittelversorgung, Gesundheitsvorsorge und Verbraucherschutz hängen eng zusammen.
Den derzeit 58.000 berufstätigen Apothekern stehen 12.000 Pharmaziestudierende gegenüber. Wer heute Pharmazie studiert, kann später einen verantwortungsvollen, sicheren Beruf ergreifen. Kaum ein anderer Job verbindet eine Naturwissenschaft so gut mit Sozialkompetenz. Ein Apotheker kann Patienten beraten, wissenschaftlich forschen oder Arzneimittel rechtlich bewerten. Neben der Apotheke bieten sich Krankenhäuser, Industrie, Forschung und Verwaltung an.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(23):3-3