Prof. Dr. Reinhard Herzog
Die Nachrichtenagentur AFP wusste es ganz genau: Am 22. September 2010 lief eine Meldung über den Ticker, die von einem „massiven Absturz“ der Aktie der Deutschen Bank zu berichten wusste. Grund dafür sei – so der AFP-Redakteur – eine Verlustwarnung des Kreditinstituts für das dritte Quartal 2010. Und die Medien stiegen voll darauf ein: „Aktien der Deutschen Bank sind am Mittwoch nach einer Verlustwarnung vom Vortag massiv abgestürzt“, berichtete etwa Spiegel Online, aber auch der Stern und die Rheinische Post titelten in ihren Onlinediensten „Nach Gewinnwarnung: Deutsche-Bank-Aktien stürzen acht Prozent ab“.
Ruhiger Gesamtmarkt
Ein Kursrückgang in dieser Größenordnung bei einer der wichtigsten Aktien Deutschlands wäre in der Tat ein Debakel gewesen, das auch den Deutschen Aktienindex DAX unter Druck gesetzt hätte. Doch ein Blick auf seinen Tageschart zeigt: Der Index bewegte sich in einer Bandbreite zwischen 6.192 und 6.297 Indexpunkten – also in durchaus üblichem Rahmen. Auch bei anderen Aktien zeigten sich keinerlei Reaktionen auf den vermeintlichen Kurssturz des Deutsche-Bank-Papiers.
Der Grund: Manche – nicht alle – Medien hatten den Kursrückgang schlicht falsch interpretiert. Die Deutsche Bank hatte eine Kapitalerhöhung vorgenommen, an der Alt-Aktionäre mit einem Bezugsrecht beteiligt wurden. Bis zum 21. September 2010 wurde die Aktie „inklusive Bezugsrecht“ gehandelt, am Morgen des 22. September wurden Aktie und Bezugsrecht getrennt. Und weil der Wert dieses Bezugsrechts bei 3,92 € lag, wurde der Aktienkurs automatisch um diesen Betrag reduziert. Für Deutsche-Bank-Aktionäre änderte sich damit gar nichts: Zum einen besaßen sie weiterhin die jetzt um 8,8% billiger gewordene Aktie, zugleich aber auch ein – jederzeit veräußerbares – Bezugsrecht im Wert von 3,92 €. Von einem Kurssturz kann also nicht die Rede sein, vielmehr legte die Summe aus Aktie und Bezugsrecht am 22. September sogar um 1,6% zu. Dies sollten auch charttechnische Darstellungen berücksichtigen, aus denen sich Widerstands- und Unterstützungsmarken herauslesen lassen.
Das Beispiel der Deutschen Bank zeigt jedoch, mit welcher Unerfahrenheit manche Medien über das Börsengeschehen berichten. Schon fast zum Alltag zählen etwa auch schlagzeilenmäßig publizierte Meldungen, nach denen eine Aktie z.B. 1,0% verloren habe, weil ein Analyst das Papier heruntergestuft habe. Handelt es sich dabei jedoch um ein Papier wie beispielsweise die Infineon-Aktie (aktueller Börsenkurs: 6,60 €), so zeigt sich schnell: Das Papier hat gerade einmal rund 0,06 € nachgegeben. Selbst ein unerfahrener Börsianer wird erkennen, dass es sich bei diesem Betrag angesichts der Schwankungsbreite des Papiers im Jahr 2010 von 3,60 € bis 6,60 € nur um eine Zufallsbewegung handelt, die keineswegs einer Schlagzeile würdig ist.
Dies macht jedoch deutlich: Es ist zwar durchaus wichtig, als Aktionär die Berichterstattung in den Medien zu beobachten. Allerdings sollte man auch eine gewisse Distanz wahren. Eine spektakuläre Kursveränderung eines bekannten Einzelwerts ohne Auswirkungen auf den Gesamtmarkt kann oftmals rein mathematische Gründe haben, ebenso sind Tageskursschwankungen von bis zu 3% durchaus üblich und erfordern kein Handeln. Erst wenn sich entsprechende Entwicklungen über Tage hinziehen, sollte man den Wert genauer betrachten und dann ggf. verkaufen oder auch kaufen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(23):16-16