Bürgschaften

Aus Mitleid in die Schuldenkrise


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Ob ein guter Freund ein neues Auto oder eine langjährige Mitarbeiterin eine Wohnung erwerben möchte: Schnell stellt sich die Frage nach Sicherheiten. Hochgeschätzt bei Banken und Sparkassen ist nach wie vor die Bürgschaft, doch die Risiken für den Bürgen sind oft enorm.

„Wer bürgt, wird gewürgt“ – lautet eine alte Finanzierungsregel und dennoch werden in Deutschland mehr als 25% aller Darlehen allein mit einer Bürgschaft abgesichert. Denn diese Sicherheitenvariante ist den Kreditinstituten oft lieber als eine hohe Grundschuld auf einer Immobilie: Während die „Verwertung“ einer Grundschuld gewöhnlich die zeit­aufwendige Zwangsversteigerung der Immobilie erfordert, besteht bei der Bürgschaft in der Regel eine unmittelbare Rückgriffsmöglichkeit auf den Bürgen – und dies meist sogar ohne Einleitung gerichtlicher Schritte. Möglich machen dies die meist verwendeten Formular-Bürgschafts­verträge, die den Bürgen in eine denkbar schlechte Ausgangsposition bringen.

Verschiedene Bürgschaftsmodelle

Zu unterscheiden sind mehrere Arten der Bürgschaft, wobei es auch Kombinationen zwischen mehreren Bürgschaftsmodellen geben kann:

  • Die selbstschuldnerische Bürgschaft ist die heute im Finanzwesen verwendete Standardform der Absicherung durch Dritte. Hier haftet der Bürge wie der Schuldner selbst mit seinem gesamten Vermögen für das aufgenommene Geld plus alle auflaufenden Zinsen, Kosten und Gebühren. Kann oder will der eigentliche Schuldner seine Verbindlich­keiten nicht mehr bezah­len, darf sich die Bank direkt an den Bürgen wenden. Dabei muss sie nicht einmal prüfen, ob der Schuldner tatsächlich zahlungsunfähig ist.
  • Die Bürgschaft auf erste Anforderung bringt bereits in ihrer Formulierung zum Ausdruck, dass der Bürge sofort zahlen muss, wenn das Kreditinstitut dies von ihm verlangt. Ihm steht zunächst kein Recht zur Nachprüfung zu. Derartige Bürgschaften findet man heute aber eher selten, vielmehr werden die entsprechenden Klauseln von den kredit­gebenden Instituten meist geschickt in den Standardverträgen der selbstschuldnerischen Bürgschaft „versteckt“.
  • Die Globalbürgschaft ist die gefährlichste Form der Bürgschaft. Hier haftet der Bürge nicht nur für einen bestimmten Kredit, sondern für alle gegenwärtigen und zukünftigen Verbindlichkei­ten des Darlehensnehmers gegenüber dem Kreditins­titut. Auch diese strengen Formulierungen werden meist in entsprechenden Klauseln im Vertrag einer selbstschuldnerischen Bürg­schaft untergebracht – Bürgen sollten sich aber nicht scheuen, entsprechende Passagen im Vertrag zu streichen.
  • Die Höchstbetragsbürgschaft entspricht weitgehend der selbstschuldnerischen Bürgschaft, wobei aber ein Höchstbetrag für die Haftung festgelegt wird. Allerdings müssen auch hier im Ernstfall die entstehenden Kosten wie Zinsen und Gebühren vom Bürgen mit übernommen werden.
  • Die Ausfallbürgschaft verpflichtet den Bürgen nur dann zur Zahlung, wenn der Gläubiger einen – nachzuweisenden – Ausfall erlitten hat, d.h., er muss alle juristischen Maßnahmen bis hin zur Zwangsvollstreckung bereits erfolglos durchlaufen haben. Grundsätzlich wird jede Bürgschaft zur Ausfallbürgschaft, wenn sie die Klausel enthält, dass dem Bürgen „die Einrede der Vorausklage“ zusteht. Eine solche Ausfallbürgschaft bzw. entsprechende Klauseln kommen wegen ihrer einschränkenden Wirkung bei der Darlehensaufnahme sehr selten vor. Im umgekehrten Fall bestehen die Institute jedoch meist auf dieser Variante: Müssen sie sich für einen Kunden (z.B. eine Baufirma in Zusammenhang mit einer Baumaßnahme) verbürgen, gewähren sie in der Regel nur eine solche Ausfallbürgschaft.
  • Eine Gesamtbürgschaft oder Mitbürgschaft bedeutet, dass sich mehrere Bürgen für die Schulden eines Bankkunden verbürgen. Das Institut kann sich nach seiner Wahl entweder an alle Teilbürgen oder auch an einen einzelnen Bürgen wenden, dem dann wiederum ein Ausgleichsanspruch gegenüber den anderen Bürgen zusteht.
  • Die Zeitbürgschaft unterscheidet sich von der Standardform der Bürgschaft durch eine zeitliche Befristung, z.B. auf zwei Jahre. Hierdurch wird das Risiko für den Bürgen überschaubarer, jedoch kann es sein, dass das kreditgeben­de Institut zum Ende der Bürgschaftslaufzeit auf Rückzahlung des Darlehens drängt.

Problematische Koppelungen

Gerade die Koppelung mehrerer Bürgschaftsarten durch die geschickte Auswahl der entsprechenden Klauseln machen Bürgschaften zu einem Problem. So kann der Darlehensgeber bei der am häufigsten verwendeten selbstschuldnerischen Bürgschaft direkt auf das Vermögen des Bürgen zugreifen, ohne Details prüfen oder gar andere Sicherheiten verwerten zu müssen. Aber auch bei anderen Vertragsarten wird gerne der Passus „unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage“ vorgesehen, die den Bürgen sofort zahlungspflichtig macht. Doch selbst dann, wenn dieser Passus fehlt, darf sich der Bürge nicht unbedingt in Sicherheit wiegen. Wurde die Bürgschaft von einem Vollkaufmann im Rahmen seiner Handelsgeschäfte abgegeben, steht ihm die Einrede der Vorausklage auch ohne diese Klausel nicht zu.

Ein weiteres Problem ist stets die Haftungsgrenze. Die meisten heute verwendeten Standardverträge sehen vor, dass zusätzlich zu dem eigentlichen Darlehen automatisch auch alle anderen anfallenden Kosten verbürgt werden. Doch nicht genug: Meist erstreckt sich die Bürgschaft gemäß Kleingedrucktem „auf alle Forderungen des Kreditinstituts“ gegenüber dem Schuldner. Es handelt sich letztlich um nichts anderes als eine Globalbürgschaft. Dies kann zu einer gefährlichen Falle werden, wenn der Schuldner ohne Kenntnis des Bürgen weitere Darlehen aufnimmt.

Zeitliche Befristung

Risiken ergeben sich auch in Zusammenhang mit dem zeitlichen Ablauf: Gemäß Standard-Bürgschaftsvertrag wird die Bürgschaft regelmäßig „zeitlich unbefristet“ übernommen, d.h., wenn der Schuldner nach vielen Jahren oder gar Jahrzehnten plötzlich nicht zahlen kann, wird die Bank auf den Bürgen zurückgreifen selbst wenn sich dieser an den Vorgang längst nicht mehr erinnern kann, keinen Kontakt mehr mit dem Darlehensnehmer hat oder der Darlehensnehmer unter Verweis auf eine bestehende Globalbürgschaft immer neue Mittel aufgenommen hat. Günstiger sind daher in jedem Fall Bürgschaften, die zunächst zeitlich befristet und bei Bedarf verlängert werden.

Darüber hinaus versuchen die meisten Kreditinstitute, die Verpflichtung zur Verwertung von Sicherheiten nach Möglichkeit zu umgehen. Selbst wenn ein Darlehen mit ausreichend anderen Sicherheiten abgedeckt ist, wählen sie bei einem befürchteten Ausfall als einfachsten Weg die Forderung an den Bürgen. Dieser muss dann was für eine Privatperson weitaus komplizierter ist als für ein in diesen Dingen erfahrenes Geldinstitut selbst versuchen, seine Ansprüche gegenüber dem Schuldner aus den anderen Sicherheiten zu befriedigen.

Eine Bürgschaft sollte man stets nur dann übernehmen, wenn man sich des Schuldners absolut sicher ist und auch künftige Veränderungen etwa ein Familienstreit an der Basis der Bürgschaft nichts ändern würden. Bereits bei den geringsten Zweifeln ist eine solche Gefälligkeits­bürgschaft jedoch abzulehnen. Wenn man bürgt, sollte man den vorgelegten Vertrag sehr genau lesen, risiko­behaftete Formulierungen streichen und – selbst auf die Gefahr, dass das Institut die Bürgschaft dann als Sicher-heit ablehnt – eigene Haftungskriterien festlegen.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(01):15-15