Gesetzliche Krankenversicherung

Drei Fragen an Prof. Dr. h. c. Herbert Rebscher


Dr. Christine Ahlheim

Prof. Dr. h. c. Herbert Rebscher ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen AngestelltenKrankenkasse (DAK) und Honorarprofessor für Gesundheitspolitik und Gesundheits­ökonomie an der Universität Bayreuth.

?Wo sehen Sie generell und speziell bei der DAK die Zukunft der Zusatzbeiträge?

Alle künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen müssen über Zusatzbeiträge finanziert werden. Das hat der Gesetzgeber so festgelegt. Die Konsequenz daraus lautet, dass alle Kassen in naher Zukunft einen Zusatzbeitrag benötigen werden. Kassen, die heute noch keinen Zusatzbeitrag benötigen, verbrauchen zum Teil ihre Rücklagen, zum Teil profitieren sie von einer besseren Morbidität. Der derzeitige Wettbewerbsrahmen einschließlich des Finanzausgleichs in der Krankenversicherung wird den in ihrer Alters- und Morbiditätsstruktur sehr heterogenen Solidargemeinschaften nicht gerecht. Um die Versorgungslasten gerecht zu verteilen, ist neben dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ein Hoch­risikopool erforderlich.

Zusatzbeiträge sind kein Effekt schlechten Wirtschaftens, wie mancher weismachen will, sondern ein Ergebnis besonders hoher Krankheitskosten in diesen Solidargemeinschaften. Während die höchste Zuweisung aus dem Risikostrukturausgleich im Jahr 2010 rund 184.000 € betrug, gibt die DAK für ihren „teuersten“ Versicherten 2,8 Mio. € aus. Bei einem auf den Zusatzbeitrag fokussierten Preiswett­bewerb rückt die Qualität der Versorgung in den Hintergrund. Was wir wirklich leisten rückt in den Hintergrund.

? Wie könnte es gelingen, dass gesetzlich Versicherte wieder mehr echte Wahlmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Krankenkassen haben?

Versicherte haben nach wie vor die Möglichkeit, die Kasse zu wechseln. Es gibt also Wahlmöglichkeiten. Das Problem ist nur, dass durch den Zusatzbeitrag die Akzente im Wettbewerb verschoben wurden und der Wettbewerb auf einen reinen Preiswettbewerb reduziert wird. Weil es eine Binsenweisheit ist, hält es niemand für skandalös, sondern jeder für selbstverständlich, wenn mehr Qualität auch mehr kostet. Wir machen alle alltäglich diese Erfahrung. Warum soll das nicht gelten, wenn es um die Absicherung gesundheitlicher Lebensrisiken geht? Erhebt eine Kasse einen Zusatzbeitrag, wird ihr pauschal vorgeworfen, unwirtschaftlich zu sein. Bietet diese Krankenkasse aber mehr Service, mehr Spezialistennetzwerke für eine bessere medizinische Versorgung, mehr persönliche und individuelle Beratung als andere also mehr Qualität –, muss das auch mehr kosten dürfen.

? Zum Jahresbeginn gab es Änderungen im Arzneimittelsektor. Besonders umstritten ist die Mehrkostenregelung. Können Sie da schon eine erste Bilanz ziehen?

Bis Mitte Januar hatten wir nur wenige Fälle, in denen Ver­sicherte von der Mehrkostenregelung Gebrauch gemacht haben. Wir haben aber zunehmend Anfragen von Versicherten, die wissen wollen, was diese Regelung für sie bedeutet. Die Kunden sind zu Recht verunsichert, weil sie in der Zeitung lesen, dass es für sie teurer werden könnte. Tatsächlich werden Versicherte, ohne dass es für sie einen substanziellen Mehrwert gibt, vom Sachleistungsprinzip in das Kostenerstattungsprinzip umgesteuert. Nehmen Versicherte die Möglichkeit in Anspruch, kann es für sie teurer werden, ohne dass sie einen Zuwachs an medizinischer Versorgungsqualität haben. Ganz grundsätzlich ist die Mehrkostenregelung also nur scheinbar verbraucherfreundlich.

Ich bin aber sicher, dass un­sere Versicherten weiter nur in geringerem Umfang von dieser Regelung Gebrauch machen werden als die Ver­sicherten anderer Kassen. Die DAK hat im Bereich der Rabattverträge durch ihre Vertragsstrategie vorgesorgt. Schließ­lich haben wir für viele Wirkstoffe Rabattverträge mit drei Herstellern geschlossen, sodass unsere Kunden immer eine Wahlmöglichkeit haben, ohne dabei in Vorleistung gehen zu müssen.

Für problematisch halte ich außerdem, dass Apotheken einen finanziellen Anreiz zur Förderung der Mehrkosten­regelung haben, da sie ihnen höhere Umsätze und Gewinne ermöglicht. Wir setzen genauso wie die Verbraucherberatungsstellen auf Aufklärung, um den Versicherten die finanziellen Risiken einer Inanspruchnahme klarzumachen. Hinzu kommt, dass die Mehrkostenregelung unmittelbare Auswirkungen auf die Rabattverträge hat. Es ist nicht mehr planbar, ob Versicherte auch tatsächlich Rabattarzneimittel beziehen. Dadurch können zukünftig die von den Herstellern gebotenen Rabatte sinken und in letzter Konsequenz die Ausgaben für Arzneimittel steigen.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(03):3-3