Helmut Lehr
Krankheitskosten sind außergewöhnliche Belastungen und in der Regel durch ärztliche Verordnungen bzw. Rechnungen eines Arztes nachzuweisen. Die Abgrenzung zwischen echten Krankheitskosten und (lediglich) gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten ist in der Praxis allerdings sehr schwer. Bei Letzteren verlangte die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in den letzten 30 Jahren fast immer die Vorlage eines zeitlich vor Inanspruchnahme der Leistungen ausgestellten amtsärztlichen Attests/Gutachtens.
Hinweis: Der Beweiskraft eines solchen Attests/Gutachtens stehen nach Ansicht der Finanzverwaltung ärztliche Bescheinigungen eines medizinischen Dienstes der Krankenkassen oder entsprechende Bescheinigungen der Versicherungsanstalten bzw. – bei öffentlich Bediensteten – der Beihilfestellen gleich1).
Katalog der Finanzverwaltung
In Anlehnung an die Rechtsprechung hat die Finanzverwaltung bislang insbesondere in folgenden Fällen auf Vorlage eines amtsärztlichen Attests bzw. einer Bescheinigung der oben genannten Stellen/Behörden bestanden:
- Bade-, Heil- und Vorsorgekuren2);
- psychotherapeutische Behandlungen;
- auswärtige Unterbringung wegen Legasthenie oder einer anderen Behinderung eines Kindes;
- Notwendigkeit der Betreuung alter und hilfloser Menschen durch eine Begleitperson;
- medizinische Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind;
- wissenschaftlich nicht an‑ erkannte Methoden wie Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapien.
Kehrtwende des Bundesfinanzhofs
Der Bundesfinanzhof hat seine langjährige Rechtsprechung nun entscheidend geändert3). Der Nachweis einer Krankheit bzw. der medizinischen Indikation ist danach nicht mehr zwingend durch ein vor Beginn der Behandlung eingeholtes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten bzw. Attest eines öffentlich-rechtlichen Trägers zu führen. Er kann vielmehr auch noch später und durch alle geeigneten Beweismittel geführt werden.
Fall 1: Internat mit Legastheniezentrum
Im ersten entschiedenen Streitfall besuchte der Sohn der Kläger auf ärztliches Anraten ein besonderes Internat zur Behandlung einer Lese- und Rechtschreibschwäche. Die Eltern hatten auf die Übernahme der Schulkosten durch den Landkreis verzichtet, machten diese aber beim Finanzamt als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Klage vor dem Finanzgericht blieb erfolglos, da die Frage, ob einer Rechtschreibschwäche Krankheitswert zukomme, nur durch ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest beantwortet werden könne.
Fall 2: Asthma wegen alter Möbel
Hier wurde um die Anschaffungskosten für neue Möbel gestritten. Die Kläger hatten sich wegen der Asthmabeschwerden ihres Kindes zum Erwerb der Möbel veranlasst gesehen. Die Klage vor dem Finanzgericht scheiterte, weil die konkrete Gesundheitsgefährdung ebenfalls nur durch ein amtsärztliches Attest zu beantworten sei.
Allgemeine Beweisregeln gelten
In beiden Fällen hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass dem Einkommensteuergesetz eine solch formalisierte Nachweispflicht nicht zu entnehmen ist. Es sei auch nicht ersichtlich, warum nur ein Amtsarzt oder eine vergleichbare Institution die notwendigen Feststellungen treffen könne. Vielmehr habe das Finanzgericht in einer freien Beweiswürdigung zu entscheiden, ob die geltend gemachten Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig entstanden sowie notwendig und angemessen seien.
„Gefälligkeitsgutachten“ helfen nicht weiter
Die Rechtsprechungsänderung des Bundesfinanzhofs darf nicht als Freifahrschein für die Geltendmachung von „Krankheitskosten aller Art“ verstanden werden. Die obersten Steuerrichter haben zugleich klare Grenzen aufgezeigt. So ist z.B. ein vorgelegtes Privatgutachten – insbesondere des behandelnden Arztes – auch weiterhin nicht als entscheidender Nachweis anzusehen, vielmehr handelt es sich hierbei im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich um einen „urkundlich belegten“ Parteivortrag.
Hinweis: Deshalb wird es in Zukunft gerade nicht genügen, den Hausarzt um eine „entsprechende“ ärztliche Bestätigung für das Finanzamt zu bitten.
Steuervorteil sichern
Lässt das Finanzamt die außergewöhnlichen Belastungen unberücksichtigt, sollte der Steuerpflichtige spätestens im finanzgerichtlichen Verfahren im Rahmen eines Beweisantrags die Einholung eines Sachverständigengutachtens verlangen. Diesem Antrag muss das Finanzgericht nach Ansicht des Bundesfinanzhofs regelmäßig entsprechen, weil es selbst nicht über die erforderliche medizinische Sachkenntnis verfügt.
Hinweis: Hier besteht jedoch in Einzelfällen die Gefahr, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger im Nachhinein die medizinische Indikation einer streitigen Behandlung womöglich nicht mehr verlässlich feststellen kann. Dieser Gefahr kann der Steuerpflichtige natürlich dadurch entgehen, dass er sich – wie bislang vorgeschrieben – vor Beginn der Behandlung auf eigene Initiative ein amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis einholt. Er könnte aber auch im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens (gemäß §155 Finanzgerichtsordnung in Verbindung mit §§485 ff. Zivilprozessordnung) – bereits vor Anhängigkeit eines Rechts-streits – die medizinische Indikation feststellen lassen.
1) Vgl. R 33.4 Absatz 1 Einkommensteuer-Richtlinien.
2) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 9 vom 1. Mai 2010, Steuer-Spartipp Nr. 2, Seite 18 und AWA -Ausgabe Nr. 2 vom 15. Januar 2008, Steuer-Spartipp Nr. 2, Seite 18.
3) Vgl. Urteile vom 11. November 2010, Aktenzeichen VI R 17/09 und VI R 16/09.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(04):18-18